Der Düsseldorfer „Fußballgott“
Beim Namen Michael Rensing muss ich unweigerlich an den unglücklichen Anfang seiner Karriere denken. „Lehmanns Nachfolger in der Nationalelf wird auf jeden Fall Rensing und sonst keiner. Da können sich alle anderen auf den Kopf stellen“, sagte 2006 Uli Hoeneß in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung über den damals 22-jährigen Ersatztorhüter der Bayern. Was als öffentliche Rückendeckung gedacht war, entpuppte sich bald als schwere Hypothek, die Rensing nie zurückzahlen konnte. Rensing war wohl nie das alles überragende Talent, aber möglicherweise wäre er in einem fürsorglicheren und professionellen Umfeld besser auf die Herausforderungen einer Profikarriere vorbereitet worden und hätte nicht den Umweg über die zweite Liga nehmen müssen, um wieder in die Bundesliga zurückkehren zu müssen.
Dass man zumindest früher ohne überragendes Talent zum „Fußballgott“ und Nationaltorhüter werden konnte, zeigte in der Nachkriegszeit ein anderer Fortune: Toni Turek. Werner Raupp hat im arete-Verlag eine Biografie über den Torhüter der Weltmeisterelf von 1954 verfasst. Sein Protagonist, der dieses Jahr seinen 100. Geburtstag feiern würde, wurde in Duisburg geboren und begann hier auch seine fußballerische Karriere, die allerdings durch den Krieg jäh unterbrochen wurde, als sie gerade Fahrt aufnahm. Als Soldat kämpfte er sechs Jahre lang in Polen, Frankreich und Russland. Details aus seinem Leben sind über diese Jahre allerdings nicht bekannt.
In den ersten Nachkriegsjahren bewies Turek, dass es auch in dieser frühen Phase des deutschen Fußballs viele Spieler gab, die alle paar Jahre den Verein wechselten. 1946 verließ er seinen Heimatclub TuS Duisburg 48/99, um sich der Frankfurter Eintracht anzuschließen. Das Ganze geschah in einer Nacht-und-Nebel-Aktion: Als Duisburg am 1. Dezember 1946 gegen Hamborn antreten musste, wartete man vergeblich auf Turek und der Stadionsprecher musste schließlich verkünden, Turek sei „unauffindbar“. Dieser stand zu diesem Zeitpunkt bereits im Waldstadion auf dem Platz, um im Spitzenspiel gegen den 1. FC Nürnberg das Tor der Eintracht zu hüten. In Frankfurt blieb der Torhüter jedoch nur für ein Jahr, bevor er – dieses Mal unspektakulär zum Saisonende – nach Ulm wechselte. Mit den Schwaben war Turek nicht erfolgreich und 1949 stieg er mit ihnen in die 2. Liga ab. 1950 trieb ihn dann das Heimweh seiner Frau zurück an den Niederrhein, wo er sich Fortuna Düsseldorf anschloss.
Dort erlebte Turek seine erfolgreichsten Jahre. Hier avancierte er zum Nationalspieler und war mit 30 Jahren der bis dahin älteste Debütant. Unumstritten war Turek jedoch selten, auch Sepp Herberger gehörte oft zu seinen Kritikern. Im größten Spiel seiner Karriere, dem Finale von Bern 1954, war Tureks Leistung nach einem frühen Patzer, der das 2:0 für Ungarn markierte, jedoch tadellos. Werner Zimmermanns berühmte Radiokommentierung macht Turek für immer zum „Fußballgott“ und „Teufelskerl“. Sehr zum Ärger konservativer Kreise, die eine solche Sakralisierung des Fußballs zutiefst verabscheuten.
Raupps Turek-Biografie gehört leider zu den Fußballbüchern, die sich in streng chronologischer Manier von einem wichtigen Spiel zum anderen hangeln und zeitgenössische Spielberichte zitieren. Da die Leistungen eines Torwarts während eines Spiels immer wieder auffällig sind, gibt es zu Turek eine Unmenge an Beschreibungen, doch gerade deswegen bleibt das sportliche Bild von ihm bei der Lektüre lange Zeit eher unscharf. Erst am Ende Schilderung der sportlichen Karriere fast Raupp die Eindrücke zusammen und schildert Turek als einen Torhüter mit starkem Stellungsspiel, der sich auf der Linie am wohlsten fühlte. Im Eins-gegen-Eins zeichnete ihn eine Ruhe aus, die beinahe teilnahmslos wirkte. „Stellungsspiel“ bezieht sich in der zeitgenössischen Deutung und bei Raupp allein auf die Positionierung im Tor, nicht auf Strafraumbeherrschung oder gar auf eine letzte Absicherung der Defensive. Hier deutet sich an, dass sich das Verständnis vom Torhüterspiel in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat. Leider geht Raupp dieser Frage nicht nach. Entsprechend fehlt auch eine Einordnung Tureks in die Geschichte des Torwartspiels. War er für seine Zeit modern oder altmodisch? Prägte er eine Schule oder war er von der Spielweise her eher ungewöhnlich?
Raupps Turek-Biografie ist in ihrer Konzeption wesentlich anspruchsloser, um solchen weitergehenden Fragen nachzugehen. Wer sich mit einer reinen Schilderung der sportlichen Karriere Toni Tureks, der bis zum Beginn von Rensings Nationalmannschaftskarriere der einzige deutsche Nationaltorhüter der Düsseldorfer Vereinsgeschichte bleibt, der kommt dennoch bei diesem mit zahlreichen schwarz-weiß-Bildern ausgestatteten Büchlein auf seine Kosten.