
Im letzten Auffe Ohren-Podcast #145 fiel ein Satz, der mich kurz aus der Bahn geworfen hat. Sinngemäß klang dieser Satz so:
"An die Saison 2011/2012 erinnere ich mich kaum, da war ich in der sechsten Klasse."
Sechste Klasse.
Ich war damals Mitte 20. Für mich fühlt sich diese Saison immer noch so an wie gestern… oder zumindest vorgestern – für andere ist sie ein verschwommener Ausschnitt aus der Kindheit. Ich erinnere mich noch genau, wie sich diese Spielzeiten zu Beginn der 10er-Jahre anfühlten, rochen und klangen: Klopp an der Seitenlinie mit dem berühmten Grinsen, das manchmal in ein Raubtiergesicht umschlug. Die Gelbe Wand, die in diesen Zeiten irgendwie noch ein Stück lauter wirkte.
Spiele, die sich ins Gedächtnis brannten – Toni da Silva knallt den Ausgleich gegen Hoffenheim kurz vor Schluss ins Tor, Kevin rasiert erst die Gegner und sich dann selbst die Haare, die Panik beim 0:2 im Rückspiel gegen Real und die Gewissheit danach, doch nach London fahren zu dürfen… und Málaga... und... und... Das war nicht nur Fußball, das waren prägende Ereignisse und ein wesentlicher Teil eines Lebensabschnitts.
Und jetzt stelle ich mir vor: Wer heute 20 ist, war damals unter zehn. Wer gerade erwachsen geworden ist und heute in der Südtribüne steht, hat vielleicht die Meisterfeier 2011 nur rückblickend online nacherlebt, mit dem Blick eines Kindes, das damals noch nicht verstand, was „Double“ bedeutet. Und die Jahre davor?
Rosický? Koller? Ewerthon gegen Bremen? Van Hooijdonks Freistöße gegen uns im UEFA-Cup? Für sie sind das YouTube-Namen und Anekdoten älterer Fans. Für mich sind es Spieler, Ereignisse und Spiele, die aus meiner eigenen Erinnerung stammen – jederzeit abrufbar, inklusive des Gefühls, das sie damals in mir ausgelöst haben.
Logischerweise erinnere ich mich natürlich selbst an die Zeit, in der ich um die zehn war – Mitte der 90er-Jahre, mit den großen Erfolgen unter Hitzfeld. Daran habe ich selbst nur Fragmente als echte Erinnerungen, zum Beispiel das CL-Finale 1997 mit den Toren von Riedle und Ricken. Aber auch das Hackentor von Del Piero haben wir damals auf dem Bolzplatz nachgespielt.
Sich dieser Altersunterschiede bewusst zu machen und zu akzeptieren, dass Fans allein aufgrund ihres Geburtsjahres natürlich andere Erlebnisse gemacht haben und machen werden, verändert den Blick auf den Verein und uns Fans als Ganzes. Wer die Klopp-Jahre als Erwachsener erlebte, weiß, wie außergewöhnlich dieser Erfolg war – gerade im Kontext der Jahre 2004/2005, als wir finanziell eigentlich schon am Ende waren und es Tage gab, an denen wir nicht wussten, ob es den Verein in dieser Form am nächsten Tag noch geben würde. Wer die Klopp-Jahre als Kind sah, hat vielleicht ein romantischeres Bild von den Jahren drumherum, in dem Niederlagen weichgezeichnet sind. Wir Älteren tendieren (leider) immer noch dazu, jede aktuelle Mannschaft mit „damals“ zu vergleichen. Jüngere Fans bauen erst jetzt ihre eigenen Maßstäbe auf und trauern eher vergangenen Idolen wie Haaland, Bellingham oder manch anderem internationalen Star hinterher.
Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich in Gesprächen mit jüngeren BVB-Fans den Satz mit "Früher, als…" beginne – und dabei fast so klinge wie Menschen meiner Elterngeneration, wenn sie von den 90ern und der Zeit davor schwärmen.
Aber vielleicht ist das genau der Punkt: Fußball und der BVB sind nicht nur das Hier und Jetzt. Sie sind auch ein Archiv unserer eigenen Biografie und gleichzeitig etwas, das uns Fans über Generationen hinweg verbindet. Jede Generation macht ihre eigenen Erfahrungen, trauert vielleicht ein Stück weit darum, die großen Erfolge der Vergangenheit nicht miterlebt zu haben – und freut sich darauf, Teil der Zukunft dieses großen Vereins zu sein.
Denn egal, ob jemand Klopp als charismatischen Anführer kennt oder als den Mann mit der komischen Brille aus der Werbung, der heute eher fragwürdige Entscheidungen trifft – wir alle stehen hinter dem BVB, fiebern, fluchen und feiern zusammen. Unsere Erinnerungen sind unterschiedlich, aber sie erzählen gemeinsam die Geschichte dieses Vereins.
Und vielleicht treffe ich in zehn Jahren einen Fan, der sagt: "An die Saison 23/24 und den Weg ins CL-Finale erinnere ich mich kaum – da war ich in der sechsten Klasse."
Dann werde ich lächeln und ihm erzählen, wie sich das damals angefühlt hat.
Heja BVB
Geschrieben von Qu Jott
In der Rubrik „Eua Senf“ veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen Texte, die uns von unseren Leserinnen und Lesern zugesandt wurden. Dir brennt auch ein Thema unter den Nägeln und Du möchtest einen Text auf schwatzgelb.de veröffentlichen? Dann schick ihn an redaktion@schwatzgelb.de.
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