Mein Oppa holte den Pokal
Oliver Multhaup erzählt über das Leben mit seinem Großvater Willi "Fischken" Multhaup, der als Trainer von Borussia Dortmund 1966 den Europapokal der Pokalsieger gewann.
„Multhaup heißen Sie, sagen Sie mal, haben Sie was mit dem berühmten ‚Fischken’ Multhaup zu tun?“, werde ich auch heute noch, genau 50 Jahre nach dessen historischem Triumph im Europapokal mit Borussia Dortmund oft gefragt, wenn ich meinen Namen erwähne. Erstaunlich oft und nicht nur von älteren Semestern übrigens. „Ja, habe ich, er war mein Oppa“, sage ich dann als echtes Kind des Reviers immer. Und dann kommt es meistens wie aus der Pistole geschossen, was das damals für ein Ding war, Triumph in Glasgow, Libudas Bogenlampe, Aki Schmidt, Hoppi Kurrat, Lothar Emmerich, Hans Tilkowski, Sigi Held, ach ja, und der Rudi Assauer. Immer noch präsent bei vielen. Und nicht wenige wissen dann auch, dass „Oppa“ auch mit Bremen Meister war und mit Köln DFB-Pokalsieger. Aber das Ding mit den Dortmundern, das kennen alle. Erster Sieg einer deutschen Elf im Europapokal und Liverpool geschlagen und so.
Das ist schön und es prägt. Als mein Großvater 1982 starb, war ich 15, natürlich kann ich mich sehr gut an ihn erinnern. Und tue das gern. Leider gibt es nicht mehr viele Bilder, die ihn mit mir und meinen Eltern zusammen zeigen, aber heute, selber fast 50 Jahre alt, könnte ich die Wohnung in Essen-Holsterhausen noch mit jedem Detail beschreiben, in der er mit meiner „Omma Henny“ gelebt hat. Und in der ich oft und gern gespielt habe und viel Zeit verbracht habe. Da gab es nämlich all die Maskottchen der Vereine, die er trainiert hatte und die ich dann knuddeln durfte, besonders den „Hennes“, den Geißbock der Kölner. Die Wohnung war für damalige Verhältnisse ultramodern, was mir imponierte. Es gab schon Anfang der Siebziger eine Spülmaschine, es gab eine ausklappbare Brotschneidemaschine, es gab elektrische Eierkocher, Farbfernseher, Braun Stereoanlage und einen Teakholz-Schaukelstuhl, sein und mein Lieblingsplatz.
Er legte Wert auf Einrichtung, schön dekoriertes Essen, gute Tischmanieren, schicke Erscheinung. Er war streng und sensibel zugleich, eine Seite an ihm, die, wie man heute weiß, auch viele seiner Spieler geschätzt haben.
Etwas, was mich aber ganz besonders mit meinem Großvater verbindet, ist seine berühmte karierte Schirmmütze. Schauen Sie sich die Bilder aus Glasgow an, da trägt er diese Mütze. Sie war, neben dem weißen Wollpulli beim Training und den stets hochmodischen Anzügen und Jacken, sein Markenzeichen. Es gibt ein Foto von mir mit dieser Mütze, da war ich ein knappes Jahr alt, 1968 geschossen. Die Mütze habe ich heute noch, ich habe sie als Leihgabe dem DFB-Museum in Dortmund zur Verfügung gestellt und sie hat einen tollen Platz in der Ausstellung.
Wenn ich heute gefragt werde, ob Fußball in unserem damaligen Familienleben eine große Rolle gespielt hat, dann muss ich ja und nein sagen. Nein, weil Fußball an sich selten Thema war. Fischken hatte, soweit ich mich erinnere, wenige Kontakte zu den ehemaligen Weggefährten in den Vereinen, eher sporadisch zu einigen der damaligen Dortmunder Spieler. Er umgab sich gern mit seinen alten Freunden aus Essen, diese Freundschaften hatte er offenbar immer gepflegt.
Der einzige, der damals oft bei uns war und von dem ich auch schon damals wusste, dass er ein Fußballfunktionär war, war der Bremer Ligaobmann Edu Hundt, für mich „Onkel Edu“. Im Stadion war ich nie mit meinem Opa. Was immer noch ganz viele verwundert, vielfach wird gedacht, dass er doch überall ganz tolle Ehrenkarten hätte haben können. Und was macht man mit den Enkeln? Klar, zum Fußball gehen. Das wollte er aber nicht. Er hatte sich nämlich sehr bewusst aus „dem Geschäft“ zurückgezogen und genoss sein Familienleben, denn ein Familienmensch war er. Die Wohnung meiner Großeltern war sehr oft samstäglicher oder sonntäglicher Treffpunkt für die ganze Familie Multhaup. In die Stadien zog es ihn zwar nicht mehr, dafür war die „Sportschau“ lautstarkes Unterhaltungsinstrument an jedem Samstag.
Trotzdem war mir natürlich sehr bewusst, dass „Oppa Willy“ ein berühmter Trainer war. Denn natürlich waren meine Freunde alle fußballbegeistert, natürlich sind wir zu „Rot-Weiß“ oder „ETB“ ins Stadion gegangen und viele von den Steppkes wussten alles über Fußball, was irgendwo aufgesaugt werden konnte. Und alle kannten deshalb den „Oppa“, vor allem natürlich die Eltern. Und das Dortmunder Ding, das war auch damals schon klar, war etwas ganz Besonderes. Mein „Oppa“ ist Europapokalsieger. Das war schon was.
Im Hinblick auf meine eigene fußballerische Karriere kann ich nur anmerken, dass er wohl beim ersten Ballkontakt im zarten Alter bereits ahnte, dass ich als Fußballer keine Zukunft haben würde. Gesagt hat er das auch. Kann ich mich natürlich nicht dran erinnern, hat mir mein Vater aber viel später mal erzählt. Er hatte Recht, ich habe auch nur sehr kurz Fußball gespielt, bin dann zum Radsport gewechselt.
Als Fischken Multhaup oder besser „Oppa Willy“ starb, war ich noch Schüler. Leider hat er nicht mehr erleben dürfen, dass auch der Enkel später sehr viel mit Fußball zu tun hatte. Als Fotograf bei Bild, der Deutschen Presse Agentur und der amerikanischen Nachrichtenagentur AP habe ich über Jahre die deutsche Nationalmannschaft und diverse Ligateams bei Großereignissen, im Pokal und in der Bundesliga begleitet. So war ich auch „live“ dabei, als die schwarz-gelbe Mannschaft des BVB um Matthias Sammer am 28. Mai 1997 in München das Champions-League-Finale gewann, 31 Jahre und 13 Tage nach dem historischen Sieg in Glasgow. Das hätte dem „Oppa“ sicher gefallen.
Oliver Multhaup, 49, ist als geschäftsführender Redakteur Mitglied der Chefredaktion der WAZ. Er hat über 20 Jahre den Fußball als Sportfotograf intensiv begleitet.