Mit dem BVB in Japan: „Hi, ich bin der Lars!“
Die BVB-Asienreise sorgte in Deutschland für Kritik, in Japan, Singapur und Malaysia hingegen für große Begeisterung. Der erste Teil des Stimmungsberichts widmet sich Japan - Land und Leute begeisterten die mitgereisten Fans, rund ums Stadion in Kawasaki feierten japanische BVB-Anhänger ein Freudenfest.
Viel war im Vorfeld geschrieben worden über die Asientour des BVB. Von einem neuen Höhepunkt der Kommerzialisierung, einem Störfaktor in der so wichtigen Saisonvorbereitung und der Kritik, das eigentliche Geld sei in den USA und nicht in Asien zu verdienen, war so gut wie alles mit dabei. Tatsächlich hatten alle Kritikpunkte einen wahren Kern, zielten jedoch ein wenig zu kurz. Der BVB konnte mit seiner Charmeoffensive in Asien punkten und seine Ziele weitgehend erreichen – dank freundlicher Unterstützung der Premier League sogar besser, als er es hätte erwarten dürfen.
Die Entscheidung zur Asientour war recht früh gefallen. Seit Jahren forderte die DFL insbesondere die deutschen Spitzenclubs zu Vorbereitungsreisen nach Asien und in die USA auf, um Pluspunkte zu sammeln und bei der Vergütung aus internationalen TV-Verträgen nicht noch weiter hinter England und Spanien zurückzufallen. Mehrere Clubs wie der FC Bayern, Bayer Leverkusen oder der 1. FC Köln hatten zuletzt Trainingslager in den USA oder Asien abgehalten, sodass sich Borussia Dortmund nicht länger aus der Verantwortung ziehen konnte.
Nach Japan, Singapur und Malaysia sollte es gehen, auch das stand bereits recht bald fest. Um sich möglichst gut an die Gegebenheiten vor Ort anzupassen, wurden die Spielpläne der asiatischen Ligen (die mitten in der Saison stecken) studiert, ein Termin Anfang Juli und eingespielte Gegner für ernstzunehmende Testspiele gesucht. Der Premier League hingegen waren derartige Überlegungen egal: Für ein Juxspiel des FC Liverpool gegen eine Ligaauswahl wurde kurzerhand der malaysische Spielplan geändert und ein ganzer Monat auf den Kopf gestellt, was den einheimischen Fußballfans so ganz und gar nicht in den Kram passte. Während Borussia Dortmund mit offenen Armen empfangen wurde, fand sich der FC Liverpool inmitten eines lautstarken Boykottaufrufes wieder – zu gerne hätte der BVB diesen Umstand mit einer abermals vollen Hütte gefeiert, doch hatten sich die Hausherren entgegen einer Bitte des BVB nicht von den extrem hohen Eintrittspreisen abbringen lassen (ca. 33 bis 70 Euro, normaler Eintritt in der Liga ab ca. 3 Euro).
Teil 1 - Land und Leute: Japan hat das Potential zu einem Lieblingsland
Wer Asien kennt, weiß, dass Vergleiche zu Europa oft schwerfallen oder bisweilen unmöglich sind. Unterschiedliche Wertesysteme können zu großen Herausforderungen werden, die Reizüberflutung aus fremden Sprachen, Verhaltensweisen, Schriftzeichen, Lebenswirklichkeiten und allerlei mehr schlichtweg überwältigen. Die Garküchen auf den Straßen würden jedem deutschen Gesundheitsamt die Haare zu Berge stehen lassen, vielbefahrene Verkehrsadern ohne jeden Fußgängerüberweg (oder gigantische Straßenkreuzungen wie Shibuya Crossing in Tokio) so manche Sorgenfalten auf die Stirn zaubern und die schiere Bildgewalt der ausufernden und oft anstrengenden Metropolen die Kinnlade in Richtung Boden befördern. Ähnlich, wie sich japanische Touristen in Neuschwanstein oder entlang der romantischen Straße manchmal wie in Disneyland fühlen, ergeht es dann auch vielen deutschen Touristen, die erstmals Asien erkunden.
Obwohl die meisten Punkte auch und gerade in Japan zutrafen, waren unsere Eindrücke doch ganz andere als in vielen weiteren Ländern Südostasiens. So übertraf die unwahrscheinliche Freundlichkeit, mit der uns die Japaner begegneten, vieles bisher erlebte noch einmal um Längen: Fragten wir nach dem Weg, begleiteten uns Passanten bis ans Ziel. Trafen wir bei der Karaoke nicht einmal jeden 20. Ton, jubelten die Kneipenbesucher und sangen für uns auch mal in ebenso schräger Form japanische Heimatlieder. Bemalten wir im Instant Ramen Museum (ein Museum, das ganz allein den großartigen Bechernudelsuppen gewidmet ist und Besucher zur Herstellung eigener Cup Noodles einlädt) unsere Pappbecher mit einem künstlerischen Talent, das jedem Dreijährigen zur Ehre gereicht hätte, freuten sie sich über die Begeisterung, mit der wir der Zutatenauswahl unserer eigenen Bechersuppen entgegenfieberten. Die Liebenswürdigkeit, in allem etwas Positives zu erkennen und dem anderen stets ein gutes Gefühl zu ermöglichen, ließ uns geradezu aus den Latschen kippen.
Dazu kam, ganz anders als in weiten Teilen Südostasiens, eine nahezu perfekte Organisation, die Japan gerade für Asieneinsteiger zu einem sehr angenehmen Reiseziel machen dürfte. Shinkansen-Schnellzüge, die im Jahresdurchschnitt sechs Sekunden (!) und landesweit an einem ganzen Tag zusammen nicht einmal fünf Minuten Verspätung erreichten, begeisterten uns ebenso sehr wie Markierungen an Bahnhöfen, an welcher Stelle man sich für welchen Zug anzustellen hatte. Auch viele andere Kleinigkeiten des Alltags waren mit einer Weitsicht organisiert, wie man sie sich in Deutschland gerade für ausländische Besucher wünschen würde. So konnten sich Touristen wie wir, die Schriftzeichen nicht lesen oder Ansagen nicht ohne weiteres verstehen konnten, auf die durchnummerierten Haltestellen verlassen und statt bei „Tanimachi-4-Chome“ bei T23 oder C18 aussteigen.
Neben mondänen und riesigen Partymeilen lernten wir auch schrullige und liebenswürdige Kneipenviertel schätzen. Golden Gai in Tokyo etwa, eine Ansammlung von weit über 200 winzigen Kneipen mit zum Teil gerade einmal vier Plätzen, ließ von Punkrock über Karaoke bis hin zur landestypischen Küche keine Wünsche offen. Interessant war vor allem ein Eindruck, der sich immer wieder bei uns einstellte – die Japaner, zu denen wir Kontakt hatten, erschienen uns in gleichem Maße introvertiert wie extrovertiert. Sie begegneten uns zurückhaltend und schüchtern, erwiderten aber bei nächstbester Gelegenheit nur allzu bereitwillig das Gespräch oder ließen im Nachtleben so ziemlich jede Sau raus, die man sich vorstellen konnte. In Supermärkten standen Kunden beim Durchblättern von Mangapornos eng gedrängt, in überbordenden Sexshops ließen sich Damen bei der Wahl abgefahrenster Spielzeuge von männlichen Angestellten beraten und gingen Pärchen shoppen wie bei Edeka an der Gemüsetheke – Händchenhalten in der Öffentlichkeit konnte man dafür so gut wie gar nicht wahrnehmen. Es galt als ausgesprochen unhöflich vor Dritten (laut) zu sprechen und diese damit möglicherweise zu stören, weshalb sich Passagiere in U-Bahnen entweder mit ihren Smartphones beschäftigten, schliefen oder schlafend stellten, doch gleich am ersten Tag tanzte ein Mann mit Schweine- und später Pferdemaske auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig zur großen Begeisterung aller Passanten.
Kurzum: Japan machte es uns mit seiner Kultur (auf die ich hier nicht weiter eingehen will, da sie für sich spricht) und der Liebenswürdigkeit seiner Menschen leicht, uns mehr als wohl zu fühlen.
Teil 2 - Fußball und seine Fans: Der BVB-Tross rollt durch Tokio!
Nach einer Woche Rundreise erreichten die ersten anderen Fans und BVB-Mitarbeiter Japan. Für viele war es die erste richtige Asienreise, einige hingegen waren schon weit herumgekommen. Insgesamt waren aus Deutschland ca. 30 Fans mitgereist, weitere kamen aus China, Thailand, Kambodscha und anderen Teilen Asiens.
Unser Fanbeauftragter Jens hatte für alle interessierten BVB-Fans einen Spielbesuch bei JEF United inklusive eines Treffens mit den örtlichen Ultras klar gemacht, der uns auf den japanischen Fußball vorbereiten sollte. Vom Bahnhof, etwa eine U-Bahn-Stunde außerhalb des Tokioter Stadtzentrums gelegen, ging es direkt zum Shop der Chiba Ultras – wobei Shop tatsächlich wörtlich zu verstehen war. Neben allerhand Fanschals, Klamotten und Devotionalien gab es deutsche Aufkleber („Pyrotechnik legalisieren“), Schellentrommeln von Corinthians Sao Paolo oder Kooperationschals mit Teams aus Italien und Russland zu sehen, die „just for business“ zum Verkauf standen und nicht notwendigerweise offiziell lizenziert gewesen sein mussten... Auch hochpreisige Ultra-T-Shirts und Trikots standen zum Verkauf, selbstverständlich inklusive aller wichtigen Sponsoren des Vereins – typisch für den südostasiatischen Fußball, in dem sich Ultragruppen mitunter nach Sponsoren benennen und sich vorwiegend über die Stadionstimmung definieren, ohne sich in besonderem Maße für weitere Fanbelange einzusetzen oder andere Nebengeräusche zu erzeugen.
Nach einigen Minuten des Fußball-Smalltalks nicht zuletzt über Pierre Littbarski und Geschenken für die weit gereisten Gäste, wurden wir zum Stadion geführt. Die Fukuda Denshi Arena war mit 9.250 Zuschauern für ein Zweitligaspiel an einem verregneten Nachmittag erstaunlich gut gefüllt, auch stimmungsmäßig hatten beide Kurven einiges aufgefahren. Die Kurve von JEF United hatte mehrere große Schwenkfahnen, einige Doppelhalter und auch sonst viel Fahnenmaterial dabei, die etwa 200 Fans des Gastvereins zeigten eine große Blockfahne zu Spielbeginn und hatten über 90 Minuten eine kleine Big Band mit allen möglichen Instrumenten am Start (ein Stimmungsvideo vom Spiel ist auf unserem Youtubekanal zu finden oder hier drunter).
Nach etwa 15 Spielminuten sprach uns ein Japaner in fließendem Deutsch an, ob wir die Gruppe aus Dortmund seien, von deren Anwesenheit wohl jeder im Verein schon gehört hatte. Es stellte sich heraus, dass er vor einigen Jahren bei 1860 und Werder Bremen II gespielt hatte und sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen wollte, uns willkommen zu heißen und Fragen zum japanischen Fußball zu beantworten. Auch die Chiba Ultras – mit ca. 40 Mitgliedern die größte von mehreren Ultragruppen bei JEF United, insgesamt sind es ca. 100 Ultras – winkten uns herbei und posierten bereitwillig für Gruppenfotos. Nach einem schnellen und dynamischen Spiel, dessen Qualität allerdings erst in der zweiten Halbzeit an Fußball erinnerte, ging es wieder zurück in die Stadt – und von dort in eine Kneipe, in der es sich die BVB-Botschafter bereits bequem gemacht hatten.
Kaum hatten wir das erste Fangetränk geholt, kam mit Lars Ricken ein Held unserer Kindheit zu uns und suchte umgehend das Gespräch: „Hi, ich bin der Lars! Ihr seid für das Spiel hierhergekommen?“ Ohne großes Aufheben interessierte er sich für die Geschichten, die wir zu erzählen hatten, und berichtete von seinen Erfahrungen in Japan. Von Berührungsängsten war ebenso wie bei Karl-Heinz Riedle nichts zu spüren, munter gingen beide auf deutsche wie asiatische Fans zu und präsentierten sich von ihrer besten und lockersten Seite. Bessere Botschafter hätte der BVB für die Asienreise kaum finden können, wie sich im weiteren Verlauf der Tour wiederholt zeigen sollte.
An unserem letzten Tag in Tokio ging es nach einem kurzen Ausflug zum Fischmarkt (der übrigens sehr sehenswert ist) zum Testspiel bei Kawasaki Frontale. Dort wurde zum ersten Mal sichtbar, warum die Kritik einer reinen Werbereise so nicht ganz zutraf:
Gut 2000 Japaner hatten sich rund um die Stadioneinfahrt versammelt, um die Ankunft des Mannschaftsbusse frenetisch zu bejubeln – auch auf dem Vorplatz spielten sich irre Szenen ab, als hunderte in schwarz-gelb gekleidete Fans bei Gewinnspielen teilnahmen oder sich am Merchandisezelt die Füße in den Bauch standen. In Windeseile waren unzählige Kagawa-, Reus- und Aubameyangtrikots ausverkauft (selbst das vierte Motiv (Immobile) erfreute sich bereits über größere Nachfrage), nicht wenige Fans legten mal eben 100 oder 150 Euro für T-Shirts und andere Fanartikel auf den Tisch. Das Stadion, das innerhalb kürzester Zeit ausverkauft gewesen war (das billigste Ticket lag auch hier bei gut 30 Euro), war zu etwa zwei Dritteln schwarz-gelb gefüllt und Japaner, deren Englischkenntnisse im Großen und Ganzen überraschend schlecht bis kaum vorhanden waren, bemühten sich mit scheinbar eigens für das Spiel erlernten Sätzen um Gespräche in deutscher Sprache.
Fortsetzung in Teil 2: Mit dem BVB in Singapur und Malaysia: Das Spiel des Jahres! (hier entlang)