Viel Lärm um Nichts
Die knapp 11 mitgereisten Redakteure eures geliebten Fanzines schwatzgelb.de legten bei der Erstrundenpartie gegen den CFC aus Karl-Marx-Stadt eine eher lasche Einstellung an den Tag und unterschätzten den Gegner (in diesem Fall die Zeit) offensichtlich. Aber auch diese Spiele müssen gespielt werden und auch wir bringen dieses Spiel mit einem Minimum an Einsatz, dafür aber all unserer Erfahrung und individuellen Klasse über die Zeit und verdienen uns damit Runde 2.
Wer keine Lust hat, sich am Schicksal eines gewissen Herrn Matthias Schmitz aus Lohfelden zu ergötzen und damit einhergehend das ein oder andere sicherlich komplett und bewusst überzogene Ostdeutschland-Bashing zu ertragen, der möge bitte erst ab der Unterüberschrift („Bitte hier weiterlesen“) weiterlesen. Alle anderen Leser haben wir an dieser Stelle zumindest vorgewarnt. Nun aber zur Sache:
Matthias Schmitzs Problem mit Lärm
Matthias Schmitz aus Lohfelden hat ein Problem mit Lärm. Er arbeitet im Waldstadion (für uns wird es immer die Commerzbank-Arena bleiben) in Frankfurt, er pendelt, er bekommt nicht viel Geld für das, was er tut. Er tut es aus Leidenschaft. Ein Glücksfall führte diesen wundervollen Menschen und die schwatzgelb.de-Redakteure Ferdinand und Paolo auf einer einsam gelegenen Raststätte inmitten hessischer Einöde zusammen; nicht weit, aber auch nicht wirklich nah bei Rotenburg an der Fulda. Es begibt sich, dass ein Burger diese drei Schicksale zusammenführt. Während sich die Menschenschlange an der nahegelegenen Brotausgabestelle enttäuscht abwendet, in der Hand ihre nicht entwerteten Lebensmittelkarten, warten die drei Protagonisten nicht unweit auf einen Burger. Ein lautstarker Disput zwischen Paolo und Ferdinand bleibt nicht ungehört und so bietet sich der traumatisch vorbelastete Herr Schmitz an, den Streit zu beenden, indem er seinen Geist, seine Hand und seine Zeit anbietet, einen Bericht zu verfassen. Einen Bericht über blühende Landschaften, über Karl Marx, über ein Spiel der ersten Runde des Deutschen Vereinsfußballpokals.
Wer in Lohfelden wohnt, für den ist das trist-graue, himmelblaue Chemnitz ein Ausflug ins Paradies. Von der Büste des großen Karl Marx begrüßt, machten die drei sich über die diversen Versorgungsstände am Hauptbahnhof auf in Richtung Ostteil der Stadt. Dazu musste zunächst eine Mauer am Gelände des örtlichen Polizeisportvereins überwunden werden, die von der örtlichen Partei DIE PARTEI Chemnitz dort errichtet wurde. Denn wie heißt es in deren Parteiprogramm doch so eindeutig: „Die endgültige Teilung Deutschlands – das ist unser Auftrag!“
Der Gästeeingang wurde geentert, indem am bös guckenden aber lieb handelnden Ordnerpersonal, das relativ identisch mit dem Publikum beim BFC Dynamo am Freitagabend zu sein schien, vorbei flanierte. Was Matthias fast noch den Stadionbesuch kostete, war der in erster Instanz veranschlagte Eintrittspreis von 29 Ostmark für einen Stehplatz und immerhin 43 Ostmark für einen Sitzplatz. Er rechnete im Kopf irritiert gegen und bat dann kurzum den verdutzten Kassierer um Aushändigung des Restbetrags zum bereits in Vorkasse geleisteten Begrüßungsgeld. Die angefallenen Zinsen stundete er großzügig, doch offenbar ging der Kassierer nicht mit seiner Auffassung eines Individualausgleichs d‘accord.
„Lärchenzungen, Otternasen, Ozelotmilch“
Im Stadion an der Gellertstraße, welches laut Groundhopping-App kurioserweise an der Würzburger Straße liegt, bot sich ein unvollständiges Bild. Während drei der vier Tribünen ausverkauft waren, lag die kommende Haupttribüne einerseits mitten in der Sonne und war andererseits als Rohbau lediglich für die VIP’s der beiden Vereine sowie die Presse freigegeben. Das führte unter anderem dazu, dass der so genannte BVB-„Journalist“ eines großen Blattes mit 3+1 Buchstaben gepflegt neben den Oberen des BVB Platz nehmen konnte und für die nächsten 30 Ausgaben genug „Insider“-Informationen gesammelt haben dürfte. Verkäufer boten frische Otternasen feil, zwischen den verstreuten VIP-Gruppen (die Volksfront von Chemnitz, aber auch die Chemnitzer Volksfront waren zu erkennen) waren vereinzelt „Spalter“-Rufe zu vernehmen. Auf die Anzeigetafel dürften sie damals mindestens zwei Jahre gewartet haben. Ein wunderschönes Teil in schwarz und weiß gehalten, beste Auflösung, Full HD, Anschlüsse für alle Medien, LED-Beleuchtung. Lediglich die eingespielte Wiederholung der Spielszenen litt etwas unter der schlechten Ausleuchtung und war aus dem Gästeblock leider nur schwer zu erkennen.
So blieb einem nur die aufmerksame Betrachtung des bunten Erstrundentreibens, dessen eigene Gesetze auch heute keine Anwendung fanden. Schuld daran ist der strebsame Armenier mit dem klangvollen Namen Miki…nochwas, aber auch Ober Mejang tat sich positiv hervor. Er servierte das 1-0, das 2-0 war eine Mischung aus gefühlvollem Schlenzer, der Sonne im Rücken, dem Innenpfosten und einem Kicker, der seinem Zen immer näher zu kommen scheint. Positiv stach auch Neuzugang Gonzalo Castro im Mittelfeld hervor, bei dem man das Gefühl hatte, er spiele schon seit Ewigkeiten beim BVB. Allerdings hat der Name Castro bei einem Spiel in Ostdeutschland auch eine Stammplatzgarantie, schließlich fand das Spiel in Karl-Marx-Stadt. Leider erwischte es erneut den tapferen Roboterklon Manni Bender. Sein bionischer Muskel- und Skelett-Apparat fand in einem sächsischen Klopperholz-Skelett des Gegenspielers Nandzik seinen Meister. Wir drücken dem vierfachen Gesichtsbruch-Weltmeister unsere Daumen für eine schnelle Heilung.
Matthias Schmitz kennt bis zu diesem Tag lediglich die Spiele seines FSC Lohfelden, mit einer durchschnittlichen Zuschauerzahl von 12, bei einer Kapazität von 7.000 im Nordhessenstadion zu Lohfelden. Es ist kurz vor 12, als er seinen Platz in Block 20, Reihe 2, Platz 25 einnimmt und ein kühles Braustolz („Mit Braustolz ist der Tag im Arsch“) genießt. Was er nicht genießen kann, ist der Umstand dass einige Fans es sich in seiner Reihe bequem machen und er leider seinen Platz räumen muss. Im Stehplatzblock findet er jedoch ein ruhiges Plätzchen.
Denn Matthias Schmitz kann Lärm nicht ertragen und ist abhängig von seinem Job in Frankfurt im Security-Bereich. Dazu steht gerade seine Freundin Beate Z., die er dereinst in Zwickau in einem Metallwarengeschäft kennenlernte, vor Gericht. Eine stressliche Zusatzbelastung, die den auf dem rechten Ohr tauben Matthias sehr mitnimmt. Umso lobenswerter ist sein Einsatz über 90 Minuten in Chem-Nitz (benannt nach der örtlichen Chemiefabrik, am schönen Fluss Nitz gelegen), wo er für uns mit Stift und Block alle wichtigen Spielszenen notierte, die aber auch bei den Kollegen von Funk, TV, Online und Print nachrecherchiert werden können. Sein schönstes Erlebnis hatte Matthias deshalb auf der Rückfahrt, bot doch der Radiosender FFH einen Aktionsabend zum Thema „Lärm“ an.
Matthias schüttete der ebenfalls lärmgeplagten Moderatorin sein Herz aus. Da diese lange Zeit am Wiesbadener Kreuz wohnte, konnte sie Matthias viele wertvolle Hinweise über den Äther schicken, sodass er den Lärm in Frankfurt zukünftig besser ver- und ertragen kann. Unter anderem war es aber die schicksalhafte Verknüpfung seines Lebenswegs mit dem von Borussia Dortmund, der ihn, neuen Lebensmut fassend, in einen neuen Lebensabschnitt führte. An jenem Nachmittag in der sächsischen Nachmittagssonne fasst er einen Entschluss. Er wird von nun an öfter die Spiele dieses magischen Vereins begleiten.
Matthias sammelt gerne Stimmen
Nach dem Spiel trifft er B. K. aus O., um von dessen Expertise zu lernen. Auf die Nachfrage, wie er das Spiel bewerte antwortet dieser: „……………………… ………………… …………………… …………………………….(an dieser Stelle bitten wir den Leser eine beliebige Floskel zu einem schwierigen, aber doch typischen Pokalspiel einzubauen). Ich wusste immer, dass wir hier obsiegen würden.“
Auch den prominenten Präsidenten eines sauerländischen Landesligisten bekommt er noch vor das Mikrofon: „Ich bin froh, dass wir auch durch diesen Sieg hier und heute in einem internationalen Wettbewerb (Anmerkung der Redaktion: Die UEFA führt das großdeutsche Reich noch unterteilt) wieder Punkte zwischen uns und die Blauen bringen konnten.“
Karsten Krämer (Anmerkung der Redaktion: Realname der Redaktion bekannt) ergänzt, beseelt von der Freundlichkeit der Menschen: „Prima: Wir planen neben unserer Filiale in Singapur die Eröffnung eines Büros in Ostdeutschland! Denn auch heute hat man wieder gesehen, dass Sachsen ein weiteres Epizentrum der Echten Liebe werden kann. Mit Marcel Schmelzer und Sachsen Paule (Anm. d. Redaktion: designierter Büroleiter) verfügen wir denn auch über waschechte Ossis, die unsere Identifikationsfiguren für die Menschen hier werden sollen.“
Matthias freut sich über die fachliche Einordnung dieses besonderen Ereignisses und schreibt seine Eindrücke nieder. Dies ist seine Geschichte. Und so begab es sich also nahe des Wildparks Knüll im Rotkäppchenland im Stau, dass Matthias von Tinnitus, Lärmempfindlichkeit und Trommefellentzündung (Fachterminus den Redakteuren bekannt) urplötzlich geheilt wurde.
Bitte hier weiterlesen (ein Stimmungsbericht)
Chemnitz auswärts lautete also das Erstrundenlos unseres BVB im DFB-Pokal. Auf der Anreise trafen sich große Teile der Dortmunder Fanszene ein paar Kilometer vor Chemnitz, um die letzten Meter gemeinschaftlich in die Stadt hinein zu fahren.
Auffällig dabei war schon hier die geringe Polizeidichte. Wäre die Partie umgekehrt angesetzt und die Karl-Marx-Städter zu Gast in Dortmund gewesen, hätten Polizei und Presse wohl Wochen im Voraus ein Wettbieten um die größten Schauerszenarien in Gang gesetzt, insbesondere nach dem sich Chemnitzer Anhänger mit Graffiti im Dortmunder Stadtgebiet verewigt hatten. So aber fuhr ein erheblicher Teil der Dortmund Fanszene quasi unbehelligt bis fast vor das Stadion. Auch vor Ort zeigten sich die Beamten von ihrer entspannten Seite. Kamera war aus, Knüppel war weggepackt und Helme hingen locker an der Seite. Man hatte das Gefühl, dass die Polizisten sich vor allem langweilten.
So durften die Borussen dann auch locker zum Stadion marschieren nur hin und wieder wiesen vier bis fünf Beamte den Weg. Manndeckung, Kesselbegleitung und weiträumige Sperrungen völlige Fehlanzeige. Völlig überraschenderweise funktionierte das sogar. Keinerlei Sachbeschädigung, entspannte Gästefans und nur ein bisschen gestörter Verkehr waren das Ergebnis. Diese Einsatztaktik mag Mut bedeuten und klappt es nicht, ist der Einsatzleiter wohl massiv unter Druck. So wurde der Mut aber belohnt und alle Seiten hatten einen entspannten Tag.
Am Stadion selber ein ähnliches Bild. Der Ordnungsdienst war augenscheinlich fähig, durchaus hart durchzugreifen und auch die Tattoos die auf einschlägige erlebnisorientierte Fangruppen verwiesen, ließen nicht allzu viel Gutes erwarten. Zusätzlich waren die Ordner großflächig mit einer Klamottenmarke bekleidet, die in vielen Bundesligastadien auf Grund ihrer Nähe zur rechten Szene verboten ist. Alles kein schöner Anblick und bestätigte auf unerträgliche Weise die gängigen Vorurteile. Beim Einlass dann aber ganz entspanntes Vorankommen. Sehr sachlich und organisiert wurden die Fans ins Stadion gelassen. Die Kontrollen waren erträglich und höflich. Da kann sich mancher Disko-Pumper-Ordnungsdienst in anderen Stadien etwas abschauen.
Dass es dabei auch alle Zaunfahnen ins Stadion schafften, mag den DFB ärgern, dem Chemnitzer Ordnungsdienst war es aber gelinde gesagt erfreulicherweise ziemlich egal. Anstelle da nun ein Fass auf zu machen und mit Druck die Strafe durchzusetzen, ließ man die Fans gewähren. Alles andere hätte wohl auch zu größerem Ärger geführt, der unverhältnismäßig gewesen wäre. Insgesamt eine erfreulich unerwartet entspannte Atmosphäre in Chemnitz. Besonders beliebt war spätestens ab der 25. Minute der Mann mit dem Wasserschlauch, der unermüdliche die vorderen Reihen mit Wasser bespritzte - was bei der Hitze auch bitter notwendig war.
Der Rest ist bekannt. Der BVB gewinnt dieses Erstrundenspiel schlussendlich souverän und kraftsparend. Und auch die Abreise gestaltet sich sehr entspannt, sieht man von dem einen oder anderen Rückreiseverkehrs-Stau ab, der die Rückkehr nach Dortmund verzögerte.
Malte/Jakob/Nicolai, 11.08.2015