Immer noch hungrig
Was für ein Start. Es geht also einfach so weiter. Gab es vor dem Anstoß zur 49. Bundesliga-Saison vielleicht noch ein paar Zweifel über den Hunger der Young Guns, so wissen wir seit Freitag: Der Hunger ist noch lange nicht gestillt. Der 1.Spieltag der neuen Saison war nur die Fortführung der Vorführungen der letzten Saison.
Nahezu unmöglich nach den ersten 90.Spielminuten, nicht in den Chor der Begeisterten einzustimmen. Wieso auch? Wir haben eine Mannschaft, die ihr System weit über persönliche Befindlichkeiten stellt, die dadurch Abgänge wie von Sahin oder aktuell auch den Ausfall von Marcel Schmelzer ohne Qualitätsverlust auffangen kann. Mit Ilkay Gündogan verlagert sich das Spiel ein wenig nach vorne. Waren es bei Sahin die langen und großen Spieleröffnungen, so sehen wir von Gündogan ein Spiel näher an der Entscheidung. Noch muss sich der überraschend in die Nationalelf berufene 6er ein wenig an ein geändertes Anforderungsprofil anpassen. Aber bereits jetzt ist er zumindest ein Versprechen für die nahe Zukunft.
Schauen wir ein Stück weiter nach vorne in die offensive Denkzentrale unseres Spiels, sind Schwindelanfälle verzeihlich, ist jede Euphorie nach diesem Auftritt berechtigt. In Godards Film „Vorname Carmen“ heißt es: „Die Schönheit bringt uns mit ihrem Terror an den Rand dessen, was wir ertragen können.“ Und tatsächlich war die Götze / Lewandowski-Kombination am Freitag an der Grenze des Ertragbaren. Fußball in höchster Perfektion. Nicht nur für uns Fans, die wir durch alle möglichen Dinge im Leben vom Expertentum abgelenkt werden und den Unterschied zwischen Genies und Blendern manchmal überhaupt nicht bemerken, sondern auch von Menschen, die sich jeden Tag mit dem Spiel und seiner Entwicklung beschäftigen. Schon werden Vergleiche mit dem großen Vorbild CF Barcelona gezogen.
Auch Bundestrainer Jogi Löw gerät ins Schwärmen, wenn er dem BVB bescheinigt, dass sie „in diesem Jahr genauso stark, wenn nicht sogar stärker“ sein können als noch im überragenden Meisterjahr. Seit Tagen überschlagen sich auch die Medien mit ihren Lobeshymnen. Borussia, das ist klar, hat den deutschen Fußball endgültig im neuen Jahrtausend ankommen lassen. Es mag ein wenig gedauert haben, aber die Auferstehung des Stolzes einer ganzen Region, hat auch die Fußballlandschaft der Republik verändert. Inwiefern diese Veränderung von langfristiger Dauer sein werden, steht naturgemäß noch in den Sternen.
Die Änderungen in Dortmund sind jedoch erstmal von Dauer. Sie haben auch am ersten Ligawochenende Bestand gehabt und wenn nicht alles täuscht, werden sie auch in den nächsten Wochen Bestand haben. Was in den nun gut 3 Jahren mit dem Team um das Sextett Klopp, Buvac & Co und unter Führung von Watzke und Zorc entstanden ist, gehört sicher mit zu den unwirklichsten Erscheinungen der Neuzeit. „Das Leben auf der Erde, wie es heute da ist, hätte gar nicht genügend Zeit gehabt, sich zu entwickeln, nach unserer Kenntnis der Evolution. Eine programmierende Intelligenz von außerhalb muss an seiner Entstehung beteiligt gewesen sein... Wir sind alle Außerirdische.“ Noch einmal Godard, diesmal spricht ein tschechischer Professor in Godards Film Maria und Joseph.
In der Tat fühlte es sich spätestens am Freitag auf der Tribüne so an. Konnte man in der Meistersaison die unfassbaren Leistungen vielleicht noch auf die Erfolgswelle zurückführen, so geht das nach der Pause so einfach nicht mehr. Die Welle ist nicht gebrochen und rollt und rollt und türmt sich mittlerweile wie ein Tsunami in die Bundesliga-Luft. Sowas, da sind wir uns auf den Tribünen einig, hat die Welt noch nicht gesehen. Sowas ist außerirdisch. Zumindest außerirdisch gut. Der Wahnsinn geht weiter.
Er geht weiter. Auf dem Platz, aber auch auf den Tribünen. Viele Dinge, die wir im Moment anfassen, machen wir richtig. Wir sind da, wenn die Mannschaft uns braucht. Wir formulieren unseren Protest, wenn er formuliert werden muss und wir drehen uns um, wenn die DFL eine Eröffnungsfeier an der Grenze des Erträglichen veranstaltet. Auch die Welle auf den Tribünen ist noch lange nicht gebrochen. Aber sie wird brechen, so wie die Welle sich auch auf dem Spielfeld nicht einfach weiter aufbauen wird. Wir werden in dieser Spielzeit vor neue Aufgaben gestellt werden. Diese Aufgaben werden nicht nur auf dem Spielfeld liegen. Irgendwann werden die Spiele kommen, in denen uns für einen Moment die Leichtigkeit abhanden kommen wird.
Auf der Tribüne, auf dem Platz. Wir müssen diesen Moment nicht herbeischreien, ihn vielmehr mit aller Kraft immer weiter nach hinten schieben. Ein Start ist gemacht, die Ligakonkurrenz schwächelt und, Hand aufs Herz, bis auf Magaths Söldnersieg hätte der Saisonauftakt nicht besser verlaufen können. Wir sollten uns jedoch bewusst sein, dass uns auch ein „Weiter, immer weiter“ nicht einfach so in die Hände fallen wird. Wir müssen es noch einmal so machen wie 2010/2011. Es war ein grandioser Start, doch der Hunger ist noch lange nicht gestillt! Wir werden dafür kämpfen müssen und uns nicht von kleineren Krisen verschrecken lassen. Mach es noch einmal, Borussia! Weiter, immer weiter!
steph, 10.08.2011