Ein Dreier als Höhepunkt
...und zur Ernüchterung für alle, die sich vom Titel zu viel versprechen, es geht im Folgenden ausschließlich um Fußball. Hinter uns liegen Tage der unnötigen Bundesligapause zugunsten der Nationalmannschaft. Unnötig deshalb, weil diese 14 Tage den nachweislich vorhandenen Lauf unseres BVB in Richtung Tabellenspitze unterbrechen und zum anderen, weil Stammspieler mal wieder sinnlos lange Reisen unternehmen müssen, um ihre Nationalmannschaften bei Klassikerspielen gegen Usbekistan und die niederländischen Antillen zu unterstützen. Hinzu kommt, dass diese Pause die Wartezeit auf die „geilste Woche seit Erfindung des Fußballs“ (O-Ton: Ich) ins Unermessliche steigert.
Die Jüngeren der schwarzgelben Fangemeinde können sich an eine derartige Woche sicherlich gar nicht erinnern und selbst für die Älteren wird es schwer. München – London – Derby, so heißen die Stationen binnen sieben Tagen. Von richtungsweisenden Spielen zu sprechen, wäre an dieser Stelle wohl arg klischeehaft, aber so ist es nun einmal. Der Ausgang jeder Partie wird relativ großen Einfluss haben auf die weitere Entwicklung im jeweiligen Wettbewerb. Und im Hinblick auf die Qualität der Gegner und ihre Tabellenpositionen (außer bei den Blauen – da stimmt die Relation Qualität und Tabellenstand in keinster Weise) kann man getrost von Spitzenspielen sprechen. Zur Erinnerung: München – Arsenal – Derby, liest sich das nicht geil? Vor einigen Jahren hätte da wohl noch Bielefeld – Concordia Ihrhove (Pokal) - Bochum gestanden, oder so ähnlich. Grund genug mit den nächsten Zeilen die Vorfreude zu steigern und einen Blick in die Zukunft zu wagen. Diese nicht immer ganz so ernst gemeinte Vorschau auf eine unglaubliche Woche soll einstimmen und gleichzeitig auch ein wenig vor allzu hohen Erwartungen warnen. Wir freuen uns alle auf sieben Tage, die hoffentlich den Weg in Dortmunder Geschichtsbücher finden werden.
Das Modell „Kristallkugel“
Sonntag, 20.11.2011, 11.32 Uhr. Aki Watzke sitzt hinter seinem Schreibtisch und klappt einen dicken schwarzgelben Ordner zu. Er schüttelt kaum erkennbar seinen Kopf, denn er klappt viel mehr zu als nur einen Ordner. Ein Stück weit klappt er die Zukunft des BVB zu und beraubt sich somit seiner eigenen Identität. Unauffällig lässt Watzke den schweren Ordner in die oberste Schreibtischschublade sinken und greift intuitiv zum Kaffeepott. Er gönnt sich einen großen Schluck des Vergessens, doch die erhoffte Wirkung bleibt aus. Noch einmal schüttelt er den Kopf, ein kleiner Seufzer verlässt seine Lippen. Fast im selben Augenblick öffnet sich unter demütigem Knarren die massive Holztür seines Büros. Michael Zorc tritt herein, seine Miene könnte selbst einen Regenbogen ergrauen lassen. Im Schlepptau befindet sich ein frisch rasierter Jürgen Klopp. Wort- und grußlos setzen sich beide an den ovalen Arbeitsplatz ihres Vorgesetzten. Aki Watzke ergreift das Wort. Es entwickelt sich ein knapp 10-minütiges Gespräch. Am Ende werden Hände geschüttelt und Wünsche ausgesprochen. Jürgen Klopp ist nicht mehr Trainer von Borussia Dortmund. Nach der demütigenden null zu sieben Schlappe beim FC Bayern kann es nur eine Entscheidung geben. Watzke muss die Reißleine ziehen und die Zusammenarbeit umgehend beenden. Der Vertrag wird in beiderseitigem Einvernehmen aufgelöst, denn auch Ex-Coach Klopp sieht ein, dass er die Mannschaft völlig falsch auf das Topspiel eingestellt hat und auch in Zukunft keinen Draht mehr zu ihr finden wird. Es ist also amtlich. Zorc und Klopp verlassen das Büro wieder und gehen fortan getrennte Wege.
Schön und gut, doch eine schnelle Lösung muss her, denn es verleiben ja noch das Spiel in London und das Derby. Watzke darf keine Zeit verschwenden und greift zum Telefonhörer. Nur eine Stunde später wird via offizielle Pressekonferenz vor unzähligen Journalisten die Trennung von Jürgen Klopp bekanntgegeben. Gleichzeitig verkündet man die Verpflichtung von Udo Lattek bis Saisonende. Doch damit nicht genug. Die Ereignisse überschlagen sich. In Frankfurt/Main gibt es ebenso eine Pressekonferenz. Punkt 14 Uhr sitzt Jürgen Klopp im Dreitagebart-Look zwischen Oliver Bierhoff und Theo Zwanziger und strahlt über beide Ohren. Jürgen Klopp, der neue Trainer der deutschen Nationalmannschaft. Seine erste Amtshandlung folgt dann auf dem Fuße. Er stellt nach nur fünf Minuten im Amt den endgültigen Kader für die EM-Endrunde in Polen und der Ukraine vor. Mit dem Herzen hängt er noch zu sehr an seinem BVB, deswegen finden sich weder Spieler der Bayern noch der Blauen im Aufgebot. Roman Weidenfeller löst Philipp Lahm als Kapitän ab und wird zum Stammtorhüter beordert. Hinzu kommt aus Gründen der Gegnerschwächung und Stärkung des eigenen Kaders die Einbürgerung von Piszczek, Kuba und Lewandowski. Dank UEFA-Sondergenehmigung sind sie sogar spielberechtigt. Einzig Neven Subotiv verzichtet auf die deutsche Staatsbürgerschaft, denn nach seiner Verletzung sieht er Schwierigkeiten Tele Santana als Stammspieler an der Seite von Hummels bei der EM zu verdrängen. Deutschland wird Europameister – ohne Gegentor wohlgemerkt.
Kleine Randnotiz: Wenige Wochen nach der Pressekonferenz in Frankfurt/Main bekommt Klopp reichlich Post von der Polizei. Er erhält insgesamt 12 Punkte in Flensburg und ein Bußgeld in Höhe von 25.000 Euro wegen mehrfacher Geschwindigkeitsüberschreitung auf der A45 zwischen Dortmund und Frankfurt. Seriöse Boulevardzeitungen decken diese Ereignisse auf, Klopps hervorragendes Image wird jedoch nur in geringem Maße beschädigt.
Beim BVB tut sich indes Folgendes:
Lattek gibt bei seiner Antrittsveranstaltung vor Presseleuten mit hochroter Nase die Aufstellung für das Spiel bei Arsenal bekannt. Kehl gibt den Libero, davor soll mit insgesamt sieben Mittelfeldspielern die Abwehr unterstützt werden, es gibt keine nominelle Spitze. Einzige Überraschung im Team ist Florian Kringe, „der fette mit die 6“ trägt als Anerkennung für seine früheren Verdienste sogar die Kapitänsbinde. Man ermauert ein 0:0 der unansehnlichen Sorte, Piräus verliert zeitglich in Marseille. Die Euro-League scheint gesichert (nur wenige Wochen später scheidet der BVB nach einem null zu fünf gegen Marseille als Tabellenvierter aus – aber das ist eine andere Geschichte). Zum Abschluss dieser ereignisreichen Woche wartet das Derby. Lattek gibt sich gewohnt kampflustig und schickt mit Barrios zumindest einen Stürmer aufs Feld. Das neue System fruchtet, die Blauen werden mit 6:0 aus dem Westfalenstadion gefegt. Sky-Legende Marcel Reif (der das wahnsinnige 3:3 im Heimderby 2008 als „Mutter aller Derbys“ bezeichnete) meint nach dem Spiel: „Die Mutter aller Bundesligaspiele!“. Eine turbulente Woche neigt sich dem Ende, bekommt zum Abschluss aber noch ihren handfesten Skandal.
Lattek ist nach dem Derbysieg im Sportstudio zu Gast. Aufgrund seines Alters und der undeutlichen Aussprache seines Gegenübers beantwortet er bereits die erste Frage nicht. Daraufhin wird Moderatorin Kathrin Müller-Hohenstein handgreiflich und beißt Lattek mit den Worten „Ich hasse Fußball“ das Ohr ab. Sie wird umgehend verhaftet und in die Obhut der Gerichte übergeben. Eine beispiellose Sportjournalismus-Karriere findet ihr jähes Ende. Das spektakuläre Finish einer geschichtsträchtigen Woche mit unvorstellbaren Ereignissen, die den Eintrag in die BVB-Geschichtsbücher sicher hat.
Und die Moral von der Geschicht‘?
Egal wie die erste Partie der ultimativen Fußballwoche laufen sollten – ob Niederlage, Unentschieden oder Sieg – weder Mannschaft noch Fans dürfen den Fehler machen, die Konzentration auf die kommenden Aufgaben zu verlieren, sondern müssen für das nächste Spiel bereit sein. Ein Misserfolg in München dürfte unsere Truppe wohl kaum aus der Bahn werfen, denn er hat keinen maßgeblichen Einfluss auf den Rest der Saison und schon gar nicht auf die Spiele gegen London und die Blauen. Und was auch passiert von Samstag bis Mittwoch, den Derbysieg lassen wir uns nicht nehmen!
Tim, 17.11.2011