...nur ein' Nuri Sahin
Drei Siege in Folge lassen für gewöhnlich die Kritiker verstummen. Das ist auch beim BVB gerade zu beobachten, wo noch vor Wochen angeblich alles schlecht war und heute scheinbar alles wieder tiptop in Ordnung ist. Das ist natürlich Unsinn, verschafft aber hoffentlich auch Spielern wie Ilkay Gündogan ein wenig Ruhe, nachdem dieser noch bis vor kurzem Ziel manch ungerechter Kritik gewesen ist.
Damit wir uns richtig verstehen: Es stimmt zweifelsohne, dass Gündogan im Spiel des BVB aktuell noch recht fremd wirkt – das war auch beim Sieg in Bremen kaum anders als in den Wochen zuvor. Wo Nuri Sahin dem Spiel der Borussia in der vergangenen Spielzeit seinen Stempel aufgedrückt hat, fehlt es seinem Nachfolger als spielerischem Part der Doppelsechs noch an der richtigen Bindung zum Rest der Mannschaft. Als torgefährlicher Gestalter, Kreativposten und Vorbereiter ist Gündogan bislang nicht in Erscheinung getreten.
Man muss jedoch auch feststellen, dass zum einen oftmals die Räume aus dem Vorjahr fehlen, seit sich die Gegner Woche für Woche gegenseitig in immer defensiveren Formationen zu übertreffen versuchen. Zum anderen fehlte es zuletzt auch oft an adäquaten Anspielstationen. Robert Lewandowski ist als einzige Spitze meistens gleich doppelt bewacht und aus der dahinter agierenden Dreierreihe offenbarte bislang nur Mario Götze eine starke Form. Vom Rest der dort Agierenden - Großkreutz, Kuba, Kagawa oder Perisic – hat lediglich Letztgenannter bislang wenigstens ansatzweise zufriedenstellend agiert. Das macht es nicht leicht für Gündogan, seinen Nebenmann auf der Doppelsechs und auch für die beiden Innenverteidiger, die sich in der bisherigen Saison zu viert um den Spielaufbau des BVB bemühen.
Der stets herangezogene Vergleich mit Nuri Sahin ist aber eben auch rein formal ungerecht: Erstens hat Gündogan selbst diesen immer stets abgelehnt. Zweitens betrug, wenn es mal rein nach den Zahlen betrachten will, auch die Ablöse Gündogans lediglich etwa die Hälfte dessen, was der BVB für Nuri Sahin erhalten hat – und das war dank der Ausstiegsklausel eigentlich bereits deutlich unter Marktwert. Drittens ist Ilkay Gündogan bereits verpflichtet worden, bevor der Wechsel von Nuri Sahin feststand, sodass von einer Ersatzverpflichtung ohnehin keine Rede sein kann. Nicht zuletzt deswegen hat wohl auch Jürgen Klopp frühzeitig kundgetan, dass das Spiel des BVB ohne Nuri Sahin zwangsläufig ein anderes werden würde. Viertens – und das ist zweifelsohne der wichtigste Punkt – brauchte auch Nuri Sahin eine ganze Weile, bis er zum Denker und Lenker der Meistermannschaft avancieren konnte. Der Nuri Sahin bei Jürgen Klopps Amtsantritt im Jahr 2008 war sowohl physisch, spieltaktisch wie auch von der Persönlichkeit her mit dem heutigen Neu-Madrilen kaum zu vergleichen. Insofern verbietet sich ein direkter Vergleich der beiden Deutsch-Türken nur aufgrund derselben Position, auf der sie spielen.
Auch Ilkay Gündogan wird diese Zeit der Entwicklung brauchen, die sein Vorgänger ebenfalls bekommen hat – und wer Jürgen Klopp in den zurückliegenden Jahren erlebt hat, wird wissen, dass der Trainer auch gewillt ist, seinem Neuzugang diese Zeit zu gewähren.
Freilich ist aber auch das Champions-League-Team Borussia Dortmund im Jahr 2011 ein anderes als die in der UEFA-Cup-Qualifikation ausgeschiedene Truppe von 2008. Die Erwartungen an den Meister und seine Spieler sind andere geworden – das haben auch Trainer und Vereinsführung eingesehen und erstmals wieder ein Saisonziel herausgegeben: die erneute Qualifikation für das internationale Geschäft. Ganz ruhig und völlig ohne jeden Druck können die jungen Spieler heute nicht mehr agieren – dafür sind die Ansprüche des BVB und seines Umfelds mittlerweile wieder schlichtweg zu groß. Umgekehrt tun aber weder wir Fans noch die mediale Öffentlichkeit der BVB einen Gefallen, die Mannschaft allein am zurückliegenden Ausreißerjahr zu messen. Der Erfolg von 2010/11 ist bei allen verständlicherweise gestiegenen Erwartungen beileibe nicht die Norm, an der die Jungs zu messen sind. Daran ändert auch den inzwischen wieder gute dritte Platz in der Tabelle nichts.
Auch Jürgen Klopp ist natürlich nicht entgangen, dass Gündogans bisherige Leistungen im schwarzgelben Dress noch nicht sein Potential widerspiegeln: „Ilkay ist mir noch nicht dominant genug für das, was er kann. Er soll seinen Möglichkeiten entsprechend mehr Anteil am Spiel nehmen und sich zur Offensive öffnen. Das ist der Entwicklungsfortschritt, den wir mit ihm gehen dürfen,“ so der Trainer über seinen Schützling. Dem ist wenig hinzuzufügen.
Nur eines: Zu diesem Entwicklungsfortschritt wird hoffentlich auch gehören, auf riskante Dribblings im eigenen Strafraum zu verzichten. Eines davon gelang Gündogan in Bremen zwar, der zweite Versuch aber scheiterte und hatte durchaus das Potential, sich in die jüngste Ansammlung der leichtfertig selbst verschuldeten Gegentore einzureihen.
Zum Glück sind solche Szenen im Spiel von Ilkay Gündogan eher selten. Und so genießt er nach seinen ersten Nürnberger Profijahren offenkundig nicht nur beim BVB und Trainer Klopp großes Vertrauen, sondern auch beim DFB und seinen Bundestrainern Jogi Löw und Rainer Adrion. Beim Verband, wo Gündogan vor Wochenfrist immerhin wenige Minuten lang sein erstes A-Länderspiel absolvieren durfte, hält man große Stücke auf den jungen Neu-Nationalspieler. Klopp, Adrion und Löw – es gibt sicher schlechtere Referenzen für einen Fußballer.
Unterm Strich gilt für Ilkay Gündogan daher dasselbe wie für die gesamte Mannschaft des BVB: Wir Fans sind gut beraten, unsererseits den Druck vom Kessel zu nehmen und dem Team Entwicklungszeit zu gewähren. Im Kader der Borussia tummeln sich Akteure einer Qualität, wie sie bei der Borussia lange Zeit nicht vorhanden war. Doch diese Entwicklung, die uns in den letzten Jahren bereits stetig wachsende Freude beschert hat, benötigt eben auch eine Weile – und erfordert die Gelassenheit, kurze Rückschläge zu akzeptieren. Allzu kurzfristiges Denken kann dabei definitiv nur schaden.