...Jens Volke (Teil 1): "Das zeigt die Zeit"
Im Interview mit dem WDR vom 16.08. sprach Jens Volke, Fanbeauftragter beim BVB, über seinen Werdegang vom engagierten Fan bis hin zum Vereinsoffiziellen, über die Ultrakultur, Gewalt und das Verhältnis der Ultragruppierungen zur Polizei. Ein absolut lesenswertes Interview, das wir Euch deshalb auch noch einmal an dieser Stelle in aller Ausführlichkeit und in zwei aufeinanderfolgenden Teilen vorstellen möchten. Wir bedanken uns bei Gregor Schnittker und dem WDR für die Erlaubnis zum Abdruck.
Gregor Schnittker: Als Fanbeauftragter hast Du zu viel zu tun, um in Ruhe das Spiel zu sehen. Ist dies das größte Opfer?
Jens Volke: Ja. Das ist definitiv negativ an meinem Job. Das Spiel kann ich selten sehen. Immerhin spürt man manchmal, dass nicht so viel los ist und dann kann ich auch mal das Spiel anschauen. Ich habe bei uns das Glück, dass ich nicht den Gästeblock betreue, so dass ich bei Heimspielen noch einiges vom Spiel mitbekomme. Zuletzt hatte ich sogar mal einen Tag frei. Da war ich ganz normal auf der Südtribüne bei meinen alten Kollegen und wir haben zusammen ein Bierchen getrunken. Das kannte ich ja gar nicht mehr, das war natürlich klasse.
Gregor Schnittker: Ihr teilt euch bei einem Heimspiel auf?
Jens Volke: Ja. Ich bin zuständig für die Heimkurve. Das ist in aller Regel relativ unproblematisch. Da gibt es Kleinigkeiten, aber massive Probleme treten eigentlich nie auf.
Gregor Schnittker: Und der Kollege?
Jens Volke: Sebastian kümmert sich um den Auswärtsblock und den gegnerischen Fanbeauftragten. Da ist normalerweise mehr los. Da kommt es am Einlass vielleicht zu stressigen Situationen oder es gibt Dinge, wo man schlichten, klären oder vermitteln muss.
Gregor Schnittker: Wie sieht ein typischer Spieltag aus bei Auswärtsspielen?
Jens Volke: Das beginnt schon ein paar Tage vorher mit Gesprächen mit dem Fanbeauftragten des Gegners. Wir sprechen auch mit der Polizei und wenn wir Glück haben, informiert uns die Bahn über Entlastungszüge. Oft tut sie das leider nicht, dann erfährt man das häufig eher zufällig oder durch die Polizei. Am besten wäre es, wenn auch die Bahn auf unsere Wünsche einginge. Das Gegenteil ist meist der Fall. Als wir letzte Saison in Gladbach waren, wurde ein Entlastungszug angeboten, mit dem die Fans viel zu spät am Stadion gewesen wären. Da konnte ich nur noch "Herzlichen Glückwunsch" sagen, aber da wird keiner von uns mitfahren. Ideal wären Absprachen mit Bahn und Bundespolizei, wovon alle profitieren würden. Das gibt es aber leider zu selten.
Gregor Schnittker: Fährst Du mit den Fans im Zug zum Spielort?
Jens Volke: Das ist unterschiedlich. Wir fahren immer wieder auch mit dem Zug. Häufiger aber mit dem Fanmobil der Fanabteilung, um vor Ort als Ansprechpartner wahrnehmbar zu sein. Das hat sich bewährt, weil die Leute dann wissen, wo sie hinkommen können. Auf den Zugfahrten ist ansonsten in aller Regel das Fanprojekt mit dabei.
Gregor Schnittker: Wovon macht Ihr das abhängig, wie Ihr anreist?
Jens Volke: Das hängt vom Spiel ab. Nach Gelsenkirchen beispielsweise fahre ich immer mit dem Zug mit. Sebastian muss schon früh in Gelsenkirchen sein, um dort an der Sicherheitsbesprechung teilzunehmen. Insofern können wir sowieso nur einen Zug begleiten. Da suche ich mir einen aus, der für mich und meine Arbeit Sinn machen könnte. So machen es ja auch die Kollegen vom Fanprojekt. Dann hast Du eben das Glück oder Pech, je nachdem wie man das sieht, dass in genau dem Zug gar nichts passiert oder ganz viel Action ist.
Gregor Schnittker: Was ist ganz viel Action?
Jens Volke: Beim Derby passiert schon mal mehr, da kochen die Emotionen hoch. Ich will nichts beschönigen, aber Emotionen müssen nicht zwingend negativ sein. Das Derby ist eben ein Tanz auf der Rasierklinge. Da können die starken Emotionen unserer Fans positiv sein, es kann aber auch ins Negative kippen. Wobei die letzten Derbys wieder deutlich ruhiger gewesen sind. Problematisch für uns sind Krawalltouristen, die wir gar nicht kennen und die gezielt zu so einem Spiel kommen, um Theater zu machen. Die kann man schwer ansprechen. Insgesamt aber bieten die Derbys nicht diese bürgerkriegsähnlichen Szenarien, von denen oft gesprochen wird.
Gregor Schnittker: Andererseits kommt es auf den Zugfahrten zu Schmierereien, Vandalismus, Begegnungen mit Leuten, die sich nicht zu benehmen wissen. Wie viel Einfluss hast Du auf diese Dinge?
Jens Volke: Das kommt drauf an. Wir sprechen solche Leute dann an. Entweder sie reagieren oder sie reagieren nicht. Wenn sie uns nicht ernst nehmen, haben wir leider keine Möglichkeit mehr, die Dinge positiv zu steuern. Dann ist das Polizeiarbeit. Wir weisen dann daraufhin, dass da hinten die Polizei steht und die gleich einschreiten wird und damit hört unser Einfluss auf.
Gregor Schnittker: Wie schwer fällt Dir der Spagat zwischen loyalem Vereinsmitarbeiter und dem Ex-Ultra, der Tifo-Aktionen (wie etwa Pyrotechnik) vielleicht weniger problematisch interpretiert?
Jens Volke: Das ist nicht immer leicht, aber letztlich auch möglich. Man muss halt seine Grenzen kennen, wissen wozu man da ist. Das bedeutet, dass ich dem Verein gegenüber loyal bin. Das ist mein Arbeitgeber, der mich bezahlt. Andererseits habe ich auch in dieser Position viele Freiheiten. Hier erwartet ja niemand von mir, dass ich Stadionverbote ausspreche oder alles immer kommentarlos mittrage, was der Verein macht. Ich habe natürlich von Hause aus viel Verständnis für Faninteressen, damit beziehe ich mich gar nicht einmal auf die Diskussion um Pyro in der Kurve. Es ist aber ganz allgemein so, dass ich die Fanseite genau betrachte und analysiere und dann zwischen verschiedenen Parteien versuche, zu vermitteln. Den Fans erkläre ich die Sicht des Vereins und umgekehrt dem Verein die Sicht der Fans. Das ist mein Job.
Gregor Schnittker: Bist Du aus der organisierten Szene dafür kritisiert worden, dass Du die Seiten gewechselt hast?
Jens Volke: Nein, hier in Dortmund noch gar nicht und es ist ja auch kein Wechsel. Ich stehe ja durchaus dazwischen. Von Fans beziehungsweise Ultras anderer Vereine habe ich das allerdings schon mal als Kritik gehört.
Gregor Schnittker: Sind Ultras Fluch oder Segen?
Jens Volke: Auf keinen Fall Fluch. Für mich ist es größtenteils eine faszinierende Kultur, eine Jugendkultur, die eben auch Schattenseiten hat, was für eine Jugendkultur eben auch ‚normal‘ ist. Andererseits ist Ultra-sein gar nicht unbedingt eine eigene Jugendkultur, weil sie sich vielfältig zusammensetzt, anders als vielleicht Skater oder Graffiti-Leute, und weil auch Ältere dabei sind und sie sich inmitten anderer ‚Kulturen‘ bewegt und sich bspw. mit älteren Fans auch arrangieren muss. Ich sehe vordergründig erst einmal klar die positiven Seiten, ohne die negativen auszublenden.
Gregor Schnittker: In Dortmund gibt es jetzt 10 Jahre die Ultras von „The Unity“. Du bist im Grunde von Anfang an dabei gewesen. Was hat Dich zum Ultra gemacht?
Jens Volke: Davor hatte es bei mir ja auch schon eine persönliche Entwicklung in diese Richtung gegeben. Es gab Anfang Januar 2001 ein Treffen, zu dem ich eingeladen wurde. Dann bin ich dahin gegangen und habe schnell gemerkt, dass da Leute sind, die genauso wie ich ticken. Es ging darum, die Stimmung zu verbessern. Im Westfalenstadion war spätestens Ende der 90er nichts mehr los. Da kam nur was von den Fans, wenn schlechte Partymusik eingespielt wurde. Das war erschreckend und verlief fast parallel zum Stadionausbau. Die Südtribüne veränderte sich und wurde sehr ruhig. Dann haben sich engagierte Leute zusammengetan. Das lief zunächst gar nicht unbedingt mit dem Ziel, „Ultras“ zu sein, eigentlich hatten die meisten der Gründer damit gar nichts am Hut. Es ging erst einmal nur um eine bessere Stimmung. Andere Ultragruppen, wie etwa in Frankfurt, durch ihre guten Kontakte zu Atalanta Bergamo, hatten da schon eine eindeutigere Ausrichtung. Andererseits haben wir vieles übernommen. Fahnen, Megaphone, Vorsänger, erste Choreographien. Aber das entwickelte sich dann erst später zu einer Ultra-Gruppe im heutigen Verständnis. Vor allem durch die jüngeren Mitglieder, die eigene Vorstellungen einbrachten und nicht mehr in derselben Fankultur groß geworden waren wie wir Älteren.
Gregor Schnittker: Euer Motiv war es also, die Stimmung zu verbessern…
Jens Volke: Genau. Wir haben damals davon geträumt, mal eine größere Gruppe zu werden. Mit mehreren Hundert Leuten. Es ging grundsätzlich darum, wieder eine richtige Fankultur zu entwickeln. Zwar gab es viele engagierte Fanclubs, die auch regelmäßig auswärts fuhren, aber nach vorne brachte das die Stimmung nur wenig, weil jeder sein eigenes Süppchen kochte.
Gregor Schnittker: Bist Du heute noch Mitglied bei „The Unity“?
Jens Volke: Nein. Es verbietet sich nicht, aber es wäre für meine Position auch anderen Fans gegenüber nicht gut. Insbesondere auch anderen Ultragruppen gegenüber. Ich bin in dieser Hinsicht ja neutral und möchte auch nichts anderes signalisieren.
Gregor Schnittker: Mir sind aktuell drei Ultragruppen in Dortmund bekannt. Vertragen die sich untereinander?
Jens Volke: Ja, im Großen und Ganzen schon. Es gibt immer wieder mal Dissonanzen, aber das ist doch völlig normal, weil die Gruppen eben unterschiedliche Ausrichtungen und Schwerpunkte haben.
Gregor Schnittker: Ist es Deine Aufgabe, in solchen Fällen zu moderieren?
Jens Volke: Das mache ich schon mal und versuche zu helfen, aber das ist für mich sehr schwierig. Da spielt dann doch manchmal eine Rolle, dass ich sehr lange bei The Unity war.
Gregor Schnittker: Was unterscheidet einen Ultra-Fan von anderen Stadionbesuchern?
Jens Volke: Er oder sie, denn es sind ja auch junge Frauen dabei, versucht, mehr zu machen als andere. Das drückt sich optisch natürlich in Choreographien aus, was ein Riesenarbeitsaufwand ist, die man zusammen vorbereitet. Man sieht sich jedes Wochenende und auch unter der Woche, die Gruppe versucht, weitere Dinge anzugehen, diskutiert untereinander und mit anderen. Daraus entwickelt sich ein großer Freundeskreis, der wie eine Familie eine soziale Struktur hat, in der man sich orientieren und wohl fühlen kann. Der Zusammenhalt ist enorm wichtig, hat einen sehr hohen Stellenwert. Gleichzeitig ist das aber auch ein Problem, weil man häufig unter sich bleibt und immer seltener über den Tellerrand der eigenen Ultra-Kultur hinausblickt.
Gregor Schnittker: Du hast bei einem DFB-Kongress auf die soziale Funktion einer Ultragruppe hingewiesen. Was ist das Wesentliche daran?
Jens Volke: Eine Ultragruppe schult, wie das sonst auch Sportvereine und Fanclubs tun, für das echte Leben. Es geht um Ideale, um den Einsatz dafür und um Zusammenhalt. Man kann sich in der Gruppe ausleben, positionieren, unterordnen, an Regeln halten. Dabei muss man auch feststellen, dass sich einiges mit der Realität beißt. Wichtig ist es auch zu lernen, dass man mit den unterschiedlichsten Menschen klar kommen muss. In der Gruppe befinden sich Leute aus allen möglichen Schichten, auch unterschiedliche Ethnien. Ultragruppen sind oft bunt gemischt und ermöglichen ein Gemeinschaftsgefühl. Sie geben Halt und Orientierung.
Gregor Schnittker: Fehlt es vor diesem Hintergrund in der öffentlichen Wahrnehmung an Respekt Ultras gegenüber?
Jens Volke: Ich denke schon, aber das ist ja auch typisch für das Verhalten eines Teils der Gesellschaft jungen Menschen und Jugendkulturen gegenüber. Da gibt es meist immer häufig eine Grundskepsis. Dabei sind Probleme, die entstehen normal und fast jeder hat es in seiner Jugend selbst erlebt. Da schlägt man mal über die Stränge, da gehört irgendwie auch Rebellion dazu und es ist auch niemals die Welt der eigenen Eltern oder die der Erwachsenen. Das muss auch nicht immer jeder begreifen, was da alles passiert. Die Ultrakultur beim Fußball ist in diesem Sinne aber besonders spannend, weil sie auftritt, wo auch andere Gruppen ihren Platz finden. Auch Gruppen, die schon vorher da waren, ältere Fans, mit denen man sich arrangieren muss.
Gregor Schnittker: Diese anderen Fans sehen Ultras durchaus kritisch. Ständiges sichtbehinderndes Fahnenschwenken, einschläfernder Dauergesang, Platzhirschgehabe in den Kurven. Ist es den Ultras egal, was der Rest über Sie denkt?
Jens Volke: Nein, überhaupt nicht. Das kann ihnen auch nicht egal sein, weil sie ohne den Rest der Kurve nichts sind. Wenn die Ultras mit ihren 300, 400 oder 500 Personen da irgendwann alleine stehen und keiner macht mit, wenn keiner bei den Choreos die Papptafeln mit nach oben hält oder Tausende Fahnen geschwenkt werden, wenn keiner ihre Lieder mitsingt, und das sind ja auch nicht nur ihre Lieder, dann wäre das Ziel verfehlt. Dann wäre die Ultrakurve nichts wert. Das ist in der Szene allen sehr wohl bewusst. Aber man sollte ja auch nicht so tun, als wären ‚die‘ anderen Fans gegen die Ultras. Wenn das der Fall wäre, würde ja vieles nicht funktionieren, von zerstrittenen Kurven sind wir glücklicherweise noch weit entfernt. Aber an diesem ‚Innenverhältnis‘ müssen beide Seiten ständig arbeiten, gegenseitiger Respekt ist sehr wichtig.
Gregor Schnittker: Der Ultra, der gegen den modernen Fußball ist, steht in einem Dauerkonflikt. Eigentlich soll alles bleiben wie es ist oder wieder so sein wie früher, andererseits gibt es gegenläufige Ziele der Vereinsführung. Neue Sponsoren kommen auch, weil etwa in Dortmund die Stimmung so gut ist, dies auch Dank der Ultras. Klingt widersprüchlich…
Jens Volke: Das ist es und das wissen die Ultras auch. Aber Ultras sind natürlich auch Fußballfans, lieben den ihren Verein und wollen natürlich das Beste mit ihrem Verein erreichen. Es gibt aber oft Stimmen, die sagen: `Erfolg ist uns egal. Hauptsache wir bleiben echt.` Deshalb reiben sich Ultras etwa am geldbringenden Verkauf des Stadionnamens oder an anderen Dingen, die etwas mit Fußball moderner Prägung zu tun haben.
Gregor Schnittker: Sind Ultras schizophrene Wesen zwischen eigenem Anspruch und Realität?
Jens Volke: Ja, sind sie und das, wie gesagt, wissen die Ultras ja auch. Am konsequentesten wäre es, nicht mehr hinzugehen, zu sagen dass das alles ist nicht das ist, mit dem man sich zu 100 Prozent identifizieren kann. Und es gibt ja auch Fans, die das tun, die gab es aber auch schon früher, weit vor den Ultras. Aber wenn mir ein 15-jähriger erzählt, er könne mit dem Fußball von heute nichts mehr anfangen, dann muss ich doch lachen, welchen ‚anderen‘ Fußball kennt er denn? Ich kann mich gut erinnern, wie es hier in Dortmund vor einigen Jahren noch war. Da war es deutlich anstrengender schwieriger, sich mit dem BVB zu identifizieren.
Gregor Schnittker: Was denkst du, wenn (vermutlich) Ultras in Köln den Trainingsplatz besprühen mit Morddrohungen Richtung Spieler im Abstiegsfall, wenn in Frankfurt der Platz gestürmt wird, sich diese Ultras als Randalemeister 2011 selbst feiern?
Jens Volke: Das ist zunächst einmal unwürdig und noch dazu dumm, weil man ja wissen sollte, wie so etwas medial rüber kommt. Gut, jetzt kann man sagen, dass ist diesen frustrierten Ultras egal, was die anderen denken – wenn es denn wirklich Ultras waren. Man darf ja auch nicht vergessen, dass es immer mehr Jugendliche gibt, die gerne dabei wären, es aber nicht sind und dann durch solche Aktionen auf sich aufmerksam machen wollen. Die Ultra-Kultur hat eine gewisse Attraktivität für Jugendliche und die wird durch Berichterstattung eher noch angeheizt. Ich glaube, das war schon bei den sogenannten Halbstarken in den 50er Jahren so. Bei dem Randalemeister musste ich aber schmunzeln. Mit dem Spruchband „Randalemeister“ haben sich die Frankfurter Ultras aber doch einen Spaß gemacht, indem sie sich selbst so bezeichnen, um die negative Berichterstattung über sie zuzuspitzen. Das war reine Provokation. Das, was geschrieben worden war über die Frankfurter, war teilweise berechtigt, teilweise überzogen. Der Platzsturm im eigenen Stadion nach der Niederlage gegen Köln war natürlich kompletter Blödsinn. Ein Tabubruch, der so nie passieren darf, egal wie verständlich die Wut und der Frust über die Saison war. Aber auch dabei ist niemand zu Schaden gekommen. Es gab lediglich Sachschäden, das passt dann ja auch nicht so recht ins Bild der randalierenden Horden, oder? Da fehlte es mir insgesamt an einer differenzierteren Betrachtung.
Jens Volke: Ja, aber sicher fordern auch die Ultras zu Recht differenzierte Betrachtung und Berichterstattung ein. Deswegen war es umso ärgerlicher, dass das in Frankfurt passiert ist. Es gibt heute sicher auch viel mehr Nebensächlichkeiten innerhalb der Ultrakultur, die sich verselbständigt haben, die früher keine oder fast keine Rolle spielten, weil man damals häufig andere Probleme hatte. Graffiti oder generell ‚Streetart‘ spielt heute in fast jeder Ultragruppe eine große Rolle. Das sind dann oft die Jüngeren einer Gruppe, die das machen. Man sollte nicht den Fehler machen, die Arbeit einer Gruppe auf diese Dinge zu reduzieren, andererseits ist aus manch früherem Graffiti-Maler später ein großer Künstler geworden.
Gregor Schnittker: Die Desperados haben zuletzt das Kreuzviertel großflächig mit Flugblättern beklebt. Nicht gerade sympathiefördernd...
Jens Volke: Natürlich nicht, aber das ist den Ultras, und das machen ja nicht nur die Desperados in Dortmund, in so einem Fall auch völlig wurscht. Die sagen sich, das ist ein Teil der Kultur, so wie Graffiti eine Kultur ist, die nicht jedem gefällt und fertig. Damit markiert man sein Revier und das gehört aus Sicht vieler Ultras eben dazu.
Gregor Schnittker: Haben sich die Ultraszenen radikalisiert?
Jens Volke: Ein Teil der Szenen radikalisiert sich. Definitiv. Ganz bestimmt. Andere Ultragruppen, das muss man auch sehen, distanzieren sich heute aber ganz deutlich von Gewalt, deutlicher als früher. Ich glaube, dass jemand, der sich damit beschäftigt, das so erkennen kann. Es bilden sich neue Gruppen, um sich noch klarer von Gewalt abzugrenzen. Andererseits gibt es leider aber auch Gruppen, die sich in die andere Richtung entwickeln.
Gregor Schnittker: Manch Experte sagt, die Ultras stünden jetzt an einem Wendepunkt, was ihre Beziehung zur Gewalt angeht…
Jens Volke: Das höre ich jetzt aber auch schon wieder seit fünf Jahren. Ich weiß das nicht. Das zeigt die Zeit.
Im zweiten Teil des Interviews spricht Jens Volke über die Zusammenarbeit mit den Behörden, die Stadionverbotsproblematik und seine Wünsche für die neue Saison.