...Reinhard Beck (Teil 1): "Wir fühlten uns wie Versuchskarnickel"
Seit über 30 Jahren ist Reinhard Beck ein fester Bestandteil der Dortmunder Fanszene. Als Borussia ihre schwerste Stunde zu überstehen hatte und kurz vor dem endgültigen Kollaps stand, gehörte er zu der Gruppe Fans, die Verantwortung übernehmen und das bevorstehende Unheil abwenden wollten. Am Ende stand die Gründung der Fanabteilung, die heute einen wesentlichen Teil des Vereins ausmacht. Reinhard Beck nahm sich viel Zeit, um mit uns die letzten Jahre bei Borussia Dortmund Revue passieren zu lassen.
Im ersten Teil unseres Interviews werdet ihr mehr erfahren über die Motive und die Entstehungsgeschichte der Fanabteilung sowie die Reaktion Michael Meiers auf die Rebellion der Fans. Ebenso sprachen wir über die Haltung gegenüber Sponsoren, unliebsame wie erfreuliche Aufgaben und die wachsende Bedeutung der starken Artikulation von Faninteressen.
schwatzgelb.de: Die Fanabteilung wird in diesem Jahr vier Jahre alt und kann bereits auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Was führte damals zur Gründung der Fanabteilung und auf wessen Initiative ging sie zurück?
Reinhard Beck: Zur Gründung der Fanabteilung ist es durch die damalige finanzielle Situation gekommen, die uns in ihren Ausmaßen mittlerweile allen bestens bekannt ist. Die Überlegung innerhalb des Fankreises war, dass sich im Sinne einer Stärkung der Fanrechte etwas tun müsse und der Zeitpunkt für diesen Wandel einmalig sei. Zu diesem Kreis gehörten im Prinzip die gleichen Leute, die zuvor an den Fandelegiertentagungen des Vereins teilgenommen hatten, also Vertreter von The Unity, Desperados, schwatzgelb.de, ganz normalen Fanclubs sowie den unorganisierten Fans. Aus losen Gesprächen entstand in der Gaststätte „Zur Sonne“ im Dortmunder Kreuzviertel die Idee, diese Chance zu ergreifen und Fakten zu schaffen. Die Frage war nur, ob wir eine Abteilung innerhalb des Vereins oder einen eigenständigen Dachverband gründen sollten.
schwatzgelb.de: Wie seid ihr an den Aufbau dieser Interessenvertretung herangegangen und welche Ziele standen für euch im Mittelpunkt?
Reinhard Beck: Konkrete Ziele waren noch nicht definiert. Im Wesentlichen wollten wir unser Stimmrecht als Fans innerhalb des Vereins stärken, weil wir zu diesem Zeitpunkt fast alle Mitglieder des BVB waren und dennoch keinerlei Einfluss hatten. Daneben diente unser Vorhaben als Absicherung beinahe schon im Sinne eines Rettungsaktionsgedankens. Ohne genaue Informationen über die Dimensionen der Krise zu haben, hatten wir schon ziemlich üble Vorahnungen. Wir wollten uns deshalb ganz klar innerhalb des Vereins positionieren und unseren Machtfaktor als Mitglieder präsentieren, um im Fall der Fälle da sein, die Reißleine ziehen und sogar Vorstandsmitglieder abwählen zu können. Aus diesem Grund fiel schon recht bald die Entscheidung für eine Abteilung und gegen den Dachverband.
schwatzgelb.de: Existierte ein Szenario für den Eintritt des schlimmsten Falls hinsichtlich der Neugründung des Vereins?
Reinhard Beck: Gedanken gab es vereinzelt, die waren allerdings sehr theoretischer Natur und weit entfernt von einer Strategie. Es gab zu viele Unwägbarkeiten, die sich aus unserem Informationsdefizit ergaben. Wir diskutierten damals noch unter der Annahme, dass im Falle eines Zwangsabstiegs immer noch die zweite Bundesliga oder die Regionalliga für einen Neuanfang zur Verfügung stünden, weil wir nicht daran denken wollten, dass ein Crash der KGaA unweigerlich das Ende Borussia Dortmunds und die Löschung aus dem Vereinsregister bedeutet hätte. Das hätte uns direkt in die Kreisklasse katapultiert, woran wir ein Jahr nach der deutschen Meisterschaft und dem Uefa-Cup-Finale nicht mal im Traum denken wollten.
schwatzgelb.de: Ein Vorhaben dieser Größenordnung ließ sich nicht von eben auf jetzt realisieren, Vorarbeiten erheblichen Ausmaßes waren unumgänglich. Fans, Polizei, Verein und Sponsoren mussten vom Sinn der Neustrukturierung überzeugt werden, die Presse das passende Klima schaffen. Wer hatte die nötigen Kontakte zu diesen Akteuren?
Reinhard Beck: Wir hatten das Glück, dass es derartige Kontakte in jeder Richtung gab. Jens Volke hatte hervorragende Verbindungen innerhalb des Vereins sowie gute Kontakte zur Polizei, mit der es als einer von Wenigen kommunizierte. Aufgrund seiner Persönlichkeit war er in diesen Kreisen immer anerkannt, weil jeder wusste, dass Jens kein Dummer war und auch gut zuhören konnte. Daneben gab es mit Guido Schnittker jemanden, der schon bei den Fandelegiertentagungen immer wieder den Mund aufgemacht hatte und deshalb relativ hohes Ansehen unter den Fans genoss, und Olaf Suplicki, der bereits seit Ende der 1970-er Jahre immer aktiv war in der Fanszene. Ihn kannten viele im Verein noch aus seiner Fanarbeit, die er bis 1995 ausgeübt hatte. Ich hatte über meine Arbeit bei schwatzgelb.de gute Kontakte innerhalb des Vereins aufgebaut, darüber hinaus hatten wir über schwatzgelb.de exzellente Kontakte zu den Medien, die uns respektierten und zuhörten. Ich wusste also genau wen ich ansprechen konnte, was sehr wichtig war, um beispielsweise den medialen Druck erhöhen zu können. Letztlich waren es nur eine Hand voll Leute, die eine Abteilung für die Fans konsequent und kategorisch ablehnten. Der damalige Geschäftsführer Michael Meier gehörte beispielsweise dazu und machte keinen großen Hehl aus seiner Einstellung. Mir gegenüber sagte er Sie wissen ja, wie ich dazu stehe, intern äußerte er sich noch drastischer: Ihr holt euch damit die Seuche ins Haus und werdet schon sehen, was ihr davon habt.
schwatzgelb.de: Hat sich durch die Fanabteilung der Umgang mit diesen Akteuren geändert?
Reinhard Beck: Zu Präsident Rauball und Geschäftsführer Watzke hatten wir schnell eine Position gefunden, die durch gegenseitiges Beobachten und Respekt geprägt war. Sie hatten beide schnell erkannt, dass es uns nicht um persönliche Eitelkeiten, sondern ganz alleine den Verein ging, weshalb sie uns als Gesprächspartner ernst nahmen. Deutlich schwieriger war das im Umgang mit den anderen Abteilungen, in denen anfänglich vor allem Angst regierte. Eine Aktion wie Wir sind Borussia hätte vor drei Jahren zur Katastrophe geführt, weil das völlig falsch angekommen und für eine Selbstverherrlichung der Fanabteilung gehalten worden wäre. Das hat sich in den letzten Jahren geändert, denn mittlerweile hat man innerhalb des Vereins eine sehr hohe Meinung von der Arbeit unserer Abteilung. Das geht so weit, dass man in den Menschen, die in der Fanabteilung arbeiten, eine große Chance für den Verein sieht. Auch außerhalb des Vereins wird dieses Projekt mit großem Wohlwollen und sehr positiv begleitet.
schwatzgelb.de: Welche Schritte waren notwendig, um die anfängliche Skepsis zu überwinden?
Reinhard Beck: Wie immer im Leben ging es zuallererst um das Vertrauen. Wir mussten als Fanabteilung Vertrauen gewinnen und oftmals in Vorleistung treten, um unsere Absichten klar zu stellen. Ich nehme jetzt als Beispiel mal die Zusammenarbeit mit Christian Hockenjos, der als Bereichsleiter Organisation gleichzeitig der Sicherheitsbeauftragte des BVB ist. Hockenjos ist ein Mensch, der jedem erstmal eine Chance gibt und sich trotz etwaiger Ängste oder Befürchtungen darum bemüht, unbelastet an neue Dinge heranzutreten. Mit ihm hatten wir regelmäßig zu tun, wenn es um Stadionverbote ging, was grundsätzlich ein sehr sensibles Thema ist. Er ist offen auf uns zugegangen und hat uns zugehört, dafür mussten wir aber deutlich machen, dass wir zielorientiert und nicht opportunistisch arbeiten wollten. Also sind wir immer wieder mit neuen Ideen auf ihn zugegangen und haben uns Lösungen für die bestehenden Probleme überlegt, um zu signalisieren, dass wir verantwortungsbewusst handelten und dazu bereit waren, mehr Verantwortung zu tragen. Alles in allem waren es die ersten Erfahrungen, die es mit der Fanabteilung zu machen galt. Die anderen Akteure mussten sehen, dass die Jungs und Mädels ehrlich und zuverlässig waren, sich an Termine und Absprachen hielten und ein Interesse daran hatten, bestehende Konflikte zu überwinden. Das war entscheidend.
schwatzgelb.de: Das heißt, die Fans werden seit Gründung der Fanabteilung ernster genommen als zuvor.
Reinhard Beck: Absolut, gar keine Frage. Mittlerweile ist Borussia Dortmund in vielen Bereichen sogar Vorreiter, was klar auf die Arbeit der Fanabteilung zurückgeht. Wenn ich da als Beispiel den ewigen Konflikt zwischen Fans und Polizei nehme und an den Fankongress in Leipzig zurückdenke, war der BVB in Form von Christian Hockenjos der einzige Verein in Deutschland, der ein schriftliches Pamphlet an den DFB verfasst und über die gute Zusammenarbeit mit der Fanabteilung berichtet hat. Es gibt eine Reihe von neuen Modellen zur Handhabung von Stadionverboten, die bereits von anderen Vereinen kopiert wurden und bei denen der BVB bundesweit eine Vorreiterrolle eingenommen hat. Eines dieser Modelle ist zum Beispiel das der gelben Karte, bei dem zuerst eine Verwarnung als Vorstufe des Stadionverbots ausgesprochen wird.
schwatzgelb.de: Dieses Modell wird beim FC St. Pauli bereits seit einiger Zeit erfolgreich praktiziert.
Reinhard Beck: Genau. Die Bereitschaft zur Aufnahme neuer Ideen ist groß, weil die Mitarbeiter im täglichen Umgang mit den Fans feststellen, wie sehr ihnen das alles die Arbeit erleichtert.
schwatzgelb.de: Was hat sich für die Fans hinsichtlich ihres Durchsetzungspotenzials geändert?
Reinhard Beck: Puh, eine Menge! Ich glaube, dass viele Dinge mittlerweile auf einem sehr direkten und kurzen Weg geregelt werden. Einerseits wissen wir heute wen wir gezielt ansprechen müssen, wenn wir ein Anliegen haben. Andererseits haben wir viele Dinge sehr hartnäckig verfolgt und uns immer wieder eingeschaltet, wenn etwas nicht in den richtigen Bahnen lief. Ob das akute Missstände im Bereich Ticketing waren, persönliche Probleme oder sogar private Schicksalsschläge einzelner Fans – wir haben dafür gesorgt, dass den Fans unkompliziert geholfen wurde, wenn sich der Verein unangemessen verhalten hatte. Das haben wir nur selten in die Öffentlichkeit getragen, weil es sich oft um Themen gehandelt hatte, die niemanden etwas angingen und die man nicht unbedingt als großen Aufhänger hätte verwenden wollen. Hilfe zu leisten war für uns immer eine Selbstverständlichkeit und hatte den positiven Nebeneffekt, dass die Mitarbeiter der Geschäftsstelle sahen, wie es vielleicht anders oder sogar besser ging. Die haben sich von uns immer wieder dazu anleiten lassen selbst aktiv zu werden und gute Ideen gerne übernommen, was allen Beteiligten im Endeffekt vieles einfacher machte. Gleiches gilt im Bereich Ticketing, das seit jeher eines der größten Probleme darstellt. Der BVB war immer wieder an unseren Ideen interessiert und wollte unsere Meinung hören, da er eine gute Lösung der Kartenverteilung als Teil einer guten Dienstleistung verstand. Dementsprechend haben einige Treffen zu diesem Thema stattgefunden, um zumindest die größten Probleme klar benennen und abstellen zu können. Viele Dinge, für die wir hart und lange kämpfen mussten, sind mittlerweile selbstverständlich geworden – alleine aus dieser Sicht hat sich die Position der Fans schon deutlich verbessert und das Konfliktpotenzial deutlich abgenommen. Das Durchsetzungspotenzial ist damit um ein Vielfaches größer als noch vor wenigen Jahren.
schwatzgelb.de: Würdest du so weit gehen, die Fanabteilung als Lobbygruppe zu bezeichnen?
Reinhard Beck: Ich denke schon, da ein wesentlicher Teil ihrer Aufgaben aus Lobbyarbeit besteht. Man vertritt Interessen – möglichst die eigenen – gegenüber anderen Akteuren. Dabei muss man sehr gewissenhaft darauf achten, wie man mit dieser Situation umgeht, da es sehr leicht ist, in falsches Fahrwasser zu geraten oder missverstanden zu werden.
schwatzgelb.de: Wie sieht diese Lobbyarbeit aus und wo kann die Fanabteilung ansetzen?
Reinhard Beck: Ich verstehe das so, dass wir die Interessen der Fans innerhalb des Vereins und im Ligaalltag schützen und vertreten wollen. Wir machen uns Gedanken, wie man taktisch am geschicktesten vorgehen muss, wen man am besten ansprechen sollte und wie man diesen ganzen Prozess strukturiert angehen kann, um das bestmögliche Ergebnis für die Fans rauszuholen. Seit dem ersten Tag herrscht für uns das System Geben und Nehmen, das im Lauf der Zeit natürlich durch bessere Kenntnis der jeweiligen Gegenseite optimiert wurde. Ich nenne ein ganz klassisches Beispiel, das du persönlich miterlebt hast: der Regierungspräsident hatte zu unserem großen Entsetzen angeordnet, die Fluchtwege auf der Südtribüne frei zu halten und unsere traditionsreiche Tribüne zu diesem Zweck erheblich zu verändern – diesen folgenschweren Eingriff in unsere Fankultur mussten wir unbedingt verhindern. Wir haben mit allen Mitteln gekämpft und über den Standpunkt Auf gar keinen Fall ein Gespräch mit Hockenjos und den verantwortlichen Behörden des Regierungspräsidenten erreichen können. Dort wurden uns zwar erwartungsgemäß die Grenzen aufgezeigt, da sich ein derartiger Sicherheitsaspekt nicht einfach hätte wegdiskutieren lassen, doch mit leeren Händen standen wir am Ende auch nicht da. Wir boten an, die Freihaltung der Fluchtwege durch den Einsatz von Fanordnern zu sichern, um eine externe Überwachung zu verhindern, unseren guten Willen zu zeigen und Borussia unter Zugzwang zu setzen. Ergebnis war neben der milderen Umsetzung die Einrichtung einer Tauschbörse für Dauerkarten, die den Fans trotz der Blocktrennung einen Wechsel in einen anderen Block ermöglichen sollte. Sie sollten weiterhin bei ihren Freunden stehen können und nicht auf jahrelang gewachsene Strukturen verzichten müssen. Wir mussten für diesen Kompromiss echte Lobbyarbeit leisten, unsere Chancen ausloten und genau wissen, wann der richtige Zeitpunkt zum Einlenken gekommen war. So konnten wir den Verzicht auf ein Stück unserer Fankultur vielleicht nicht verhindern, aber wenigstens so klein wie nur möglich halten.
schwatzgelb.de: Nun gibt es neben den Abteilungen auf Vereinsebene eine Vielzahl bundesweit agierender und vereinsübergreifender Faninitiativen, die sich zumeist ähnlichen Themengebieten verschrieben haben. Welche Bedeutung haben diese Faninitiativen?
Reinhard Beck: Diese Initiativen sind unsere Stimme nach außen, unsere sehr starke Stimme nach außen. Wenn wir als Fanabteilung Borussia Dortmunds an den DFB schreiben, dass wir etwas für alle Fans erreichen wollen, werden wir letztlich mit leeren Händen da stehen. Dann können wir höchstens im Rahmen unseres Hausrechts agieren, unseren Verein unter Beachtung der Sicherheitsaspekte ansprechen und kleine Erfolge in unserem Stadion erzielen. Damit ist aber noch lange nicht allen Fans in der Liga geholfen! Im Rahmen der Frankfurter Fandemo setzten sich Olaf und ich als Vertreter der Dortmunder Fanabteilung mit Vertretern der Frankfurter Fanabteilung und des HSV Supporters Club zusammen und beschlossen die Gründung eines Bundesverbands als Vertretung aller Fans in Deutschland. Dieser Verband wurde Unsere Kurve getauft und sollte es uns ermöglichen, mit einer starken Stimme auftreten und Veränderungen erzwingen zu können. Natürlich wussten wir um bereits bestehende Initiativen wie BAFF und Pro1530, die waren aber sehr ultraorientiert und damit anders ausgerichtet, als wir uns das vorstellten. Unser zentrales Anliegen war es, auf breiter Basis ernst genommen und nicht als Randerscheinung abgestempelt zu werden. In unseren Reihen befanden sich fast ausschließlich Männer und Frauen, die bereits in Fanabteilungen, als Fanvertreter oder als Fanbeauftragte ihrer Vereine durch gute Arbeit aufgefallen waren. Da waren Leute dabei, die in ihrem Alltag als Juristen, Polizisten, Mediziner, Arbeiter oder Angestellte ihre Brötchen verdienten und sich bewusst nicht in die Gruppe der Ultras pressen lassen wollten. Wir waren Normalos, aktive normale Fans. Im Vorfeld der WM fühlten wir uns jedoch wie Versuchskarnickel, an denen man alles Mögliche ausprobieren konnte. Nun wollen wir über unsere Arbeit in den Fanabteilungen Erfahrungen im kleinen Rahmen sammeln und bei Unsere Kurve zusammentragen, um mit vereinten Kräften Kontakt zu DFB und DFL halten und diese Situation zukünftig verhindern zu können.
schwatzgelb.de: Du hast bereits angesprochen, dass der Umgang zwischen Fans und anderen Akteuren nicht ganz reibungslos funktionierte. Wer hatte die größten Probleme damit Faninteressen zu berücksichtigen? Gab es jemanden, der sich gegenüber einer Zusammenarbeit komplett verweigerte?
Reinhard Beck: Der Akteur, der die größten Probleme mit Faninteressen hat, ist naturgemäß die Polizei. Das muss ich aus der Erfahrung heraus ganz klar sagen, obwohl ich weit davon entfernt bin, pauschal über die Polizei zu meckern. Ich denke sogar, dass es eine ganze Menge Leute bei der Polizei gibt, die ein großes Interesse daran haben das Verhältnis zu den Fans zu verbessern. Nur musst du daran denken, dass es da eine Menge an Dienstvorschriften und selbst Weisungen aus den Ministerien gibt – je weiter man von der Basis wegrückt, desto schwieriger wird es mit dem Verständnis. Ein Herr Schäuble wird zum Beispiel nur schwer verstehen können, wie das echte Fanleben so aussieht und wie Fans so ticken. Das hat um Gottes Willen nichts mit seiner Behinderung zu tun, da gerade die Stadien von heute erstklassig auf die Bedürfnisse Behinderter ausgerichtet sind, sondern liegt ganz alleine an der um ihn herum betriebenen Lobbyarbeit. Er ist auf das angewiesen, was ihm seine Spezialisten und Berater so erzählen und zu ihm durchdringen lassen. Diese Erfahrung haben Jens und einige andere aus nächster Nähe gemacht, als es vor der WM mit Schily um die Ombudsstelle ging – die Interessenlage sah ganz anders aus, sich dagegen durchzusetzen war schier unmöglich. Bei einigen Vereinen ist zudem zu sehen, dass gerade aus dem wirtschaftlichen Bereich wie Geschäftsführung oder Profiabteilung kein großes Interesse besteht, mit den Fans zusammenzuarbeiten. Sie werden schlichtweg als Hindernis und Hemmschuh betrachtet. Hier muss ich wiederum eine Lanze für den BVB brechen, der sich diesbezüglich vorbildlich verhält. Aki Watzke als Geschäftsführer der KGaA – und das ist kein dummes Gelaber, sondern wirklich so – sieht die Fanabteilung als großen Gewinn. Das muss man ganz klar sagen: Watzke sieht auch unter kaufmännischen Aspekten die Fans als größtes Potenzial des Vereins. Wenn aus den Reihen der Fans eine Idee kommt, ist die für ihn zehn mal so viel wert wie die einer Werbeschmiede, die meint etwas mit Fußball zu tun zu haben. Das beste Marketing kommt aus den eigenen Reihen ist seine volle Überzeugung. Doch um zu deiner Frage zurückzukommen: Wenn ich eine Abstufung vornehmen müsste, wer die größten Probleme mit den Fans hat, würde ich zuerst die Polizei und an zweiter Stelle die DFL nennen.
schwatzgelb.de: Die DFL?
Reinhard Beck: Ich denke schon, dass die DFL kein besonders großes Interesse hat und Fans lieber als Handlungsmasse ansieht. Es ist ein Unterschied, ob man Interesse öffentlich zur Schau stellt oder – und das sage ich bewusst – heuchelt. Am liebsten würden die doch den Spieltag in fünf Tage aufteilen, damit das Fernsehen wirklich jeden Tag beschäftigt ist. Glücklicherweise haben sie aber eine massive Macht an Fans dagegen stehen, die Amok laufen und die Zentrale einrennen würden.
schwatzgelb.de: Das ist interessant, da Andreas Birnmeyer vom HSV Supporters Club die DFL etwas anders beschrieben hat. Er sah das Problem in der starren und verkrusteten Struktur der DFL begründet, die es kaum möglich mache, den großen Worten Taten folgen zu lassen.
Reinhard Beck: Das war meine Empfindung, die kann sich natürlich von seiner unterscheiden. Allerdings verfügt Andreas diesbezüglich über wesentlich mehr Einblick als ich, weshalb du seinen Ausführungen über die DFL besser mehr Glauben schenkst als meinen. Was die Polizei angeht, dürften wir in unserer Beobachtung jedoch kaum auseinander liegen.
schwatzgelb.de: Du hast bereits angesprochen, dass sich die Geschäftsführung Borussia Dortmunds der Fanabteilung gegenüber aufgeschlossen zeige. Wie groß ist der Einfluss der Fans auf eben diese Geschäftsführung?
Reinhard Beck: Man sollte eines nie unterschätzen: es wird alles gelesen, was in den einschlägigen Internetforen geschrieben steht. In der Zeit vor dem großen Internetboom – ich würde das jetzt mal bis hin zur Jahrtausendwende datieren – war es sehr schwer, die Meinungen der Fans genau zu bestimmen. Natürlich konnte man telefonieren und bei einzelnen Leuten nachfragen, aber es war mit erheblichem Aufwand verbunden. Die Macht der Vereine hingegen ergab sich aus der Pressemacht. Die Presse stand auf der Seite der Vereine, die genau wussten, wie sie die Berichterstattung zu steuern hatten. Das hat sich alles durch das Medium Internet geändert. Heute ist es so, dass die Vereine – und ich halte es nicht für übertrieben für alle Vereine und Fangruppierungen zu sprechen – sehr genau darauf achten, was im Internet geschrieben wird. Das wird sehr sensibel aufgenommen, auch weil die Medien mittlerweile erkannt haben, dass es interessant sein kann Fanvertretern mal ein Mikrofon ins Gesicht zu halten. Die vertreten keine weich gespülte 08/15 Meinung, sondern hauen gerne mal das ein oder andere Ding raus, das für ordentlichen Gesprächsstoff sorgen kann. Auch wir haben mit Olaf jemanden in unseren Reihen, der überhaupt keine Hemmungen hat sich mal so richtig in Rage zu reden, wenn ihn etwas stört – das ist eine Sache, die die Vereine sehr sensibel behandeln und bei denen sie ihre Antennen ausfahren, um die jeweiligen Stimmungen genau aufnehmen und für sich nutzen zu können. Ich glaube, dass es gerade bei Borussia Dortmund einen sehr großen Entwicklungsprozess gegeben hat, wenn man die Zeiten Niebaums und Meiers mit denen von heute vergleicht. Wenn man damals etwas aufschnappte und davon überzeugt war, das gut verkaufen zu können, wurde es übernommen und verkauft. Heute hat das eine andere Qualität. Das beginnt dort, wo Watzke bei einem bestimmten Problem die Leute zusammentrommeln lässt und sich mit denen auseinandersetzt, und geht weiter bis zu regelmäßigen Treffen und Meinungsaustäuschen mit dem Vorstand der Fanabteilung, bei denen abgeschlossene und kommende Aktionen diskutiert werden. Das beste Beispiel ist das Trikot der letzten Saison. Das ist ein Ding gewesen, das man bei Borussia für schick und toll hielt, bei dem aber schlichtweg niemand daran gedacht hätte, dass die Leute bei einem nicht schwarzgelben Trikot derart Sturm laufen würden. Wir haben wiederholt angeboten, bei diesen Dingen zu helfen und mit Rat zur Seite zu stehen. Wie sich Borussia Dortmund letztlich entscheidet, ist natürlich immer noch die Sache der jeweiligen Verantwortlichen, doch wenigstens können wir unsere Meinung sagen und dabei helfen, derartige Missgriffe zukünftig zu vermeiden. Gerade von dieser Art der Beratung wird heute sehr, sehr viel Gebrauch gemacht.
schwatzgelb.de: Im Zuge der Trikotdiskussion wurde der Fanabteilung ein Mitspracherecht für zukünftige Trikots zugesichert, doch meinem Vernehmen zufolge hat sich da recht wenig getan.
Reinhard Beck: Das ist richtig. Dieses Problem hängt weniger mit der Geschäftsführung zusammen, als dass es vor allem ein Nike-spezifisches Problem ist. Wir als Fanabteilung haben versucht mit jedem größeren Sponsor Kontakt herzustellen und uns dort persönlich vorzustellen, was beispielsweise bei Warsteiner, RAG/Evonik und Signal-Iduna sehr gut geklappt hat. Signal-Iduna war dabei ein Spezialfall, weil ich als Mitarbeiter und damaliger Vorsitzender der Fanabteilung natürlich einen sehr guten Draht zu den Leuten hatte. Dennoch muss ich gerade diesem Unternehmen ein großes Lob aussprechen, weil es wirklich gut auf unsere Vorschläge reagiert hat. Als es um die Umbenennung des Stadions ging, hatte eine Marketingagentur aus Düsseldorf die Planung übernommen: die wollte den kompletten Namensschriftzug blau machen mit der Begründung, dass es sich dabei um die Firmenfarbe der Signal-Iduna handelte. Ich war entsetzt und habe den Leuten erklärt, dass das fatal wäre und einen Sturm der Entrüstung auslösen würde: Blau ist die Farbe unseres Erzfeindes, das könnt ihr uns doch nicht aufs Stadion setzen! Die Werbefirma argumentierte dann über RAL-Farbtöne und andere Punkte, die ich nicht so stehen lassen konnte. Denn wenn ein Fan mit runden zwei Promille vorm Stadion steht, lallt der gerne mal, weiß aber noch lange nicht was RAL ist! Für den spielt es keine Rolle, was das genau für ein Farbton ist, der sieht nur die Farbe Blau auf seinem Stadion und tickt total aus. Mich hat es gefreut, dass sich die Signal Iduna letztendlich entschieden hat, den Schriftzug schwarz zu lassen und nur das Firmenlogo in der blauen Unternehmensfarbe beizubehalten. Dass dieses Verhalten keine Selbstverständlichkeit darstellt, kann man gut am Beispiel Nike erkennen. Natürlich ist da immer eine persönliche Komponente dabei, doch wir haben mehrere Anläufe unternommen und immer wieder versucht, mit den Leuten dort zu reden. Das Ergebnis war gleich Null und ich muss sagen, dass ich von diesem Verhalten grob enttäuscht war und bin. So wie ich das sehe, werden die der Geschäftsführung das Trikot, möglicherweise auch die Auswahl aus zwei oder drei Modellen, unter der erfüllten Grundbedingung schwarz-gelb auf den Tisch gelegt haben und Watzke blieb nichts anderes übrig, als eines der Trikots abzusegnen. Letztlich kommt man aber immer wieder bei der gleichen Feststellung raus: Nike hat gezahlt und bestimmt wie die Musik läuft.
schwatzgelb.de: Der Sponsor hat gezahlt und bestimmt wie die Musik läuft – viele Fans sehen darin eine große Gefahr für die Fanabteilung, die bekanntlich wiederholt Spenden von Sponsoren angenommen hat. Bewegt man sich nicht auf sehr dünnem Eis, einerseits Unabhängigkeit bewahren zu wollen, andererseits aber große Summen einzustecken?
Reinhard Beck: Da ich selbst schon Verhandlungen dieser Art geführt habe, zudem noch immer sehr eng dran bin und genau weiß wie die Bedingungen aussehen, kann ich das ganz gut beurteilen. Aus meiner Sicht sind zwei Aspekte zentral. Zum einen sind wir in keinster Weise mit dem HSV Supporters Club oder ähnlichen sponsorfreien Abteilungen zu vergleichen, weil wir keinen eigenen Etat haben. Diese Abteilungen bekommen ihre Mitgliedsbeiträge zur freien Verfügung gestellt und können mit diesen Etats arbeiten. Dr Rauball sagte uns bei unserer Gründung dagegen eines ganz klar: Ich kann euch alles geben, nur kein eigenes Budget. Ihr könnt es gemäß unserer Satzung zwar einfordern, doch müsste ich dieses Geld bei der Handball- und Tischtennisabteilung in gleicher Höhe streichen. Weil es nicht unser Ziel als Fanabteilung war, andere Abteilungen zu schwächen, entschieden wir uns dafür unser Glück ohne eigenes Budget zu versuchen. Hätten wir den Leuten erzählt, dass sie für die Fanabteilung einen extra Beitrag hätten zahlen müssen, wäre wohl bis auf den ganz harten Kern wie vielleicht The Unity niemand beigetreten. Also ließen wir uns das Recht verbriefen, eigenständig auf die Sponsoren zugehen zu können, was gleichermaßen überlebenswichtig wie notwendig war – die Sponsoren waren nämlich klar der KGaA zugeordnet, bei der Sportfive als externer Vermarkter noch ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hatte. Sportfive legte uns dankenswerterweise aber keine Steine in den Weg und verzichtete auf alle Ansprüche gegenüber der Fanabteilung, womit wir beim zweiten zentralen Aspekt angekommen wären: wenn wir einen Sponsor gefunden haben, darf der keine Forderungen an uns stellen und muss sich aus sämtlichen Belangen unserer Abteilung fern halten.
schwatzgelb.de: Gerade die Annahme, dass Sponsoren trotz hoher Summen keinen Einfluss nehmen wollen, wird aber nicht selten als blauäugig bezeichnet.
Reinhard Beck: Da muss man genau differenzieren. Wir waren uns von Anfang an einig, dass nur eine begrenzte Zahl Sponsoren für uns in Frage kommen könnte. Die erste Aktion mit Phone House war ein Testlauf, weil das Unternehmen auf uns zukam und eine Kooperation anbot. Wir waren natürlich noch unerfahren und haben das vielleicht nicht optimal gehandhabt, doch hat sich die Zusammenarbeit zwischenzeitlich ohnehin schon lange wieder erledigt. Wir beraten weiterhin gerne die Sponsoren Borussia Dortmunds hinsichtlich der Gos und No-Gos, da sich Werbeagenturen wie schon angesprochen gerne mal tolle Dinge einfallen lassen, die bei uns Fans ganz arg schlecht ankommen. Für die Fanabteilung sind jedoch nur zwei Unternehmen als Sponsor in Frage gekommen, weil die sich als einzige auf unsere Bedingungen eingelassen haben: Warsteiner und RAG/Evonik. Unser Standpunkt war knallhart: Wir nehmen Geld von euch und nutzen das für unsere Fanarbeit – unter der Bedingung, dass ihr keinen Einfluss auf uns nehmt. Wenn ihr uns vorschreiben wollt, wie wir uns zu verhalten haben, dass wir uns nur noch positiv über euch äußern dürfen oder eure Fähnchen in den Wind halten müssen, ist diese Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung beendet. Das ist ein schmaler Grat, da müssen wir nicht drüber diskutieren, ich kann aber aus der gelebten Praxis heraus sagen, dass sich beide Sponsoren bis heute völlig aus unserer Abteilung herausgehalten haben. Die haben gewisse Vorstellungen und reden mit uns wie jeder andere auch, dabei handelt es sich aber um deren eigene Konzepte. RAG/Evonik kommt beispielsweise auf uns zu, erklärt uns ihr Vorhaben und fragt nach, ob das ein Go oder No-Go ist. Das ist eine sehr wichtige Angelegenheit, für uns aber nicht immer einfach. Anfang des Jahres gab es zum Beispiel so einen prekären Zeitpunkt: wir steckten mitten im Abstiegskampf und zerbrachen uns den Kopf über Werbung – das kam nicht überall gut an.
schwatzgelb.de: Ich verstehe noch nicht, was Warsteiner und RAG/Evonik so viel anders machen soll als beispielsweise Coca Cola oder Easy-Jet.
Reinhard Beck: Mit Warsteiner haben wir neben den bedingungslosen Spenden einen ganz einfachen Deal: Wenn wir Veranstaltungen mit der Fanabteilung machen, bemühen wir uns um Lokalitäten, in denen Warsteiner ausgeschenkt wird. Im Gegenzug bekommen wir die Veranstaltungsorte und das Bier zum Nulltarif gestellt. Das ist alles. Was RAG/Evonik angeht, so finde ich, dass sich dieses Unternehmen am Verhalten seines Vorgängers E.On orientiert, der bei Borussia Dortmund gerade aufgrund seiner Zurückhaltung bei den Fans einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Die verantwortlichen Herren haben sich uns gegenüber dahingehend geäußert, dass sie kein aufdringlicher Sponsor sein möchten und lieber eine Rolle im Hintergrund bevorzugen würden, als groß auf die Pauke zu hauen. Da sind dann Vorschläge gekommen wie Wir chartern einen Zug nach Berlin und zahlen den für euch, wogegen wir nichts einzuwenden hatten. Natürlich kann man auch darüber streiten und Werbung beziehungsweise Sponsoren komplett ablehnen, doch müsste man dazu wiederum ein eigenes Budget haben.
(...)
Im zweiten Teil des Interviews stehen neben der Lobbyarbeit der Fanabteilung mögliche Auswege aus dem Interessenkonflikt zwischen Fans und Sicherheitskräften im Mittelpunkt. Ebenso werden Sinn und Notwendigkeit starker Sicherheitskontrollen, die Haltung der Politiker und Sponsoren gegenüber den Fans sowie eine mögliche Stärkung sozialen Engagements seitens des BVB genauer beleuchtet.
Fortsetzung: "Wir könnten zum Vorbild für ganz Europa werden"