Borussia Dortmund geht bei Holstein Kiel unter Diesmal ist es anders
Der BVB hat bei einem klaren Außenseiter verloren. Eigentlich nichts Neues mehr. Mittlerweile kann man sich aber nicht mehr einreden, dass es sich nur um eine kleine Panne gehandelt hat. Borussia Dortmund ist eine Ganzkörperbaustelle ohne wirkliche Behandlungsmethode.
In der Redaktion gibt es intern einen kleinen Running Gag mit der Artikelüberschrift „Quo vadis BVB?“. Wohl keine andere Überschrift wurde in der Historie von Schwatzgelb.de häufiger bemüht. Warum auch nicht? Sie ist kurz, prägnant und klingt gut. Aber bereits die Häufigkeit dieser Fragestellung zeigt eins: der BVB hat in der Vergangenheit schon so oft seinen inneren Kompass verloren, ist auf vermeidliche Abkürzungen hereingefallen und hat falsche Wege beschritten, dass er aktuell wohl endgültig in einem Dickicht aus falschen Personalentscheidungen, Ansprüchen, Stallgerüchen und Dysfunktionalität verirrt und verloren erscheint.
Dabei ist es ja nicht so, als wäre die erste Halbzeit an der Kieler Förde etwas nie Dagewesenes. Zuhause gegen Paderborn konnte man früher gegen einen Gegner ähnlichen Kalibers fast exakt eine Kopie des gestrigen Spiels bewundern und hinter vorgehaltener Hand munkelt man, dass es sogar ein Derby gegeben haben soll, in der man in einer Halbzeit komplett auseinandergebrochen ist und einen Vorsprung von vier Toren aus der Hand gegeben habe. Auch wenn es sich dabei eher um ein unbestätigtes Gerücht handelt. Aber diesmal ist es anders. Konnte man diese Spiele in der Vergangenheit noch als Kuriosität, als Warnruf verstehen und darauf hoffen, dass man mit der ein oder anderen personellen Stellschraube wieder alles heilen kann, zeigte das Spiel bei Holstein Kiel mit erbarmungsloser Klarheit auf, dass Borussia Dortmund eindeutig in einer immer schneller werdenden Abwärtsspirale steckt. Groteskerweise gehören zu dieser Abwärtsspirale auch eine Vizemeisterschaft und ein Champions-League-Finale. Wie man das alles trotz in der Mehrzahl spielerisch dürftiger Leistung geschafft hat? Auch das ist Teil des großen Mysteriums, das unser BVB darstellt.
Dieses Auseinanderbrechen in Kiel bei einem Gegner, dessen Spieler – und das ist wirklich nicht respektlos gemeint – namentlich außerhalb der Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins nur wenigen geläufig sind, ist ja nicht einmal etwas, was man als Fan dieser Truppe nicht zugetraut hätte. Man stellt an sich selbst erschüttert fest, dass einem solche Spiele nur noch halbherzig in einen Zustand von wahlweise Wut oder Enttäuschung versetzen und man das 0:3 kurz vor der Pause eher mit einem „Ach, guck mal an“ registriert. Ebenso wenig hat beim Anschlusstreffer zum 2:3 das große Hoffen und Bangen eingesetzt. Schon gegen Leverkusen zündete das heimische Westfalenstadion beim Anschlusstreffer nicht großartig, weil bereits nach wenigen Ballkontakten klar war, dass es sich bei dem Tor eher um eine Zufälligkeit für die Torstatistik handelte, statt dem Signal zum großen Sturmlauf. Gegen den deutschen Meister vielleicht noch verständlich, aber bei den Störchen als Abstiegskandidat spielte man, dazu noch in Überzahl, mit exakt der gleichen Mischung aus Ideen- und Saftlosigkeit um den Strafraum herum. Statt „los geht’s, das packen wir noch“ ein „hoffentlich ist das Gegurke gleich vorbei“.
Der Trainer ist schuld! Ja, aber...
Eigentlich muss man damit als Fan umgehen. Wenn man nicht gerade zu den Münchener Bayern hält, gehören Scheiß-Zeiten einfach dazu. Machste nichts, is‘ halt so. Was beim BVB allerdings fehlt, ist der Ansatzpunkt, der Besserung verspricht. Klar, die einfachste Art ist immer die Entlassung des Trainers. Nuri Sahin hat da auch wirklich nicht viele Pluspunkte auf seiner Seite zu stehen. Diese wiederkehrende Hilflosigkeit, wenn es darum geht, eine andere Variante als „gib den Ball Gittens“ zu finden, um halbwegs gefährlich in den gegnerischen Strafraum zu gelangen, geht auch auf seine Kappe. Und wenn man sich die jämmerlichen Versuche anschaut, einen Eckball oder eine Flanke in einer Art vors Tor zu bringen, bei der der Gegner nicht direkt in schallendes Gelächter ausbricht, fragt man sich auch mehr als einmal, was diese Leute in den schwatzgelben Trikots eigentlich den ganzen Tag so tun, wenn sie in Brackel auf dem Trainingsgelände herumlungern. Also Trainer raus und alles gut?
So blauäugig ist hier in der Bierstadt auch niemand mehr angesichts der Häufigkeit, mit der man in den letzten Jahren schon zu diesem Mittel gegriffen hat. Man sollte mal überlegen, die Tür zum Trainerbüro durch eine Drehtür zu ersetzen, damit sich die ständig wechselnden Haupt- und Co-Trainer nicht über den Haufen rennen.
Die Spieler sind schuld! Ja, aber...
Spieler, die eigentlich die Mannschaft führen sollten, verlieren in einem Spiel, in dem es um die vielleicht letzte Chance zum Anschluss an die CL-Plätze geht, den eigenen Ball in etwas, für das selbst das Wort „Zweikämpfchen“ noch eine Übertreibung wäre und jogg-gucken dann mäßig interessiert dem Gegner hinterher, wie er das Tor macht. Andere Spieler fallen bei der leichtesten Berührung schneller um als die FDP, wenn sie eine stabile Regierung bilden soll, und schauen dann mit Wauzi-Blick auf den Schiedsrichter in der Hoffnung, den Ball wenigstens per Freistoß behalten zu dürfen. Anschließend verfolgen sie aus der fötalen Bodenhaltung heraus, wie das Spiel weiterläuft und was die Spieler der anderen Mannschaft damit so anstellen können. Die Liste der Punkte, die man den Spielern ankreiden muss, ist ähnlich lang wie die für Nuri Sahin. Aus der aktuellen Truppe kann man vielleicht vier oder fünf Spieler für erfolgreichen Fußball gebrauchen, der Rest besteht aus allenfalls Mitläufern. Kicker, die dann zu großer Form auflaufen, wenn es eh läuft und man beim Stande von 4:0 Hackentricks zeigen kann, mit denen man die eigenen Social Media-Kanäle füttern kann. Im anderen Fall jammern sie wahlweise über eine angeblich falsche Position herum oder strengen sich nach Abpfiff besonders dabei an, Empörung über die eigene Leistung in die Kameras zu blaffen. Also Spieler raus und alles ist gut?
Die sportliche Leitung ist schuld! Ja, aber...
So blauä… ach, siehe Trainer. Dazu bräuchte es Vertrauen in die Arbeit derjenigen, die diesen Kader zusammenstellen. Am Rheinlanddamm hat man diese anscheinend, wie die kürzliche Vertragsverlängerung von Sebastian Kehl zeigt, außerhalb des Bürokomplexes eher nicht. Warum auch? Die aktuellen Transfergerüchte lassen darauf schließen, dass man gerade genau das Gleiche versucht, wie in der letzten Winterpause. Zwei, drei talentierte Kicker aus der Premiere-League leihen, die dort nicht zum Zuge kommen und hier Spielpraxis sammeln wollen. Dabei ist der Umstand, dass man jetzt bereits erneut in der Winterpause derart nachjustieren muss, ein Armutszeugnis für die planerische Arbeit im letzten Jahr. Vermutlich wird es so ähnlich weitergehen. Vielleicht retten uns diese Leihspieler wieder den Arsch, höchstwahrscheinlich allerdings wohl nicht bei diesem Tabellenstand. Dabei zeigen diese Kicker dann, was möglich wäre, wenn man das Geld sinnvoll ausgeben würde. Ganz Dortmund schwelgt zwei Monate in der Hoffnung, diese Spieler halten zu können, bevor sie dann wieder in den Flieger zurück auf die Insel steigen. Gleichzeitig verpflichten wir irgendeinen Random-Kicker für einen horrenden Betrag, den Nagelsmann für die letzten beiden Länderspiele vor der Sommerpause, bei denen das halbe Stammpersonal „verletzt“ ist, in die Auswahl berufen hat. Dieser Spieler hat vermutlich vorher auf einer Position auf sich aufmerksam gemacht, die wir in unserer Formation gar nicht haben, oder wir haben sie und suchen dann einen neuen Übungsleiter, der eine andere Formation spielen lassen will. Egal, irgendwas anderes wird diese Neuverpflichtung schon „auch spielen“ können. Stallgeruch ist da häufig auch nichts anderes als Eau de Pferdeapfel.
Am Ende stehen einfach Resignation und Ratlosigkeit. Es gibt nicht „das Problem“, sondern viele. Jedes einzelne davon groß genug, um eine echte Gefahr für Borussia Dortmund darzustellen – und irgendwie ist niemand da, dem man die Lösung auch nur einiger dieser Probleme zutraut. Was bleibt?
Arschbacken zusammenkneifen und hoffen, dass es doch nicht so hart kommt. Darauf zu hoffen, dass wir zufällig doch wieder den richtigen Weg kreuzen und es vielleicht irgendwann auch mal wieder „Vorwärts Borussia!“ statt „Quo vadis?“ heißt. Hoffnung ist wenig, ja – aber letztendlich auch etwas, das man als Fan besonders gut kann. Kapitulation ist schließlich keine Option.