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Parteipolitische Neutralität nur ein Vorwand? CDU-Wahlkampf im BVB-Gewand
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Aki Watzke hat in den letzten Wochen eifrig Wahlkampf für Friedrich Merz gemacht. Währendessen wurde ein Antrag aus der Fanszene, den Verein gegen die AfD zu wappnen, von der KGaA abgelehnt. Grund: Der BVB müsse parteipolitisch neutral bleiben. Wie geht das zusammen?
Die Bundestagswahl ist vorbei. Friedrich Merz wird wohl ins Kanzleramt einziehen, bis Ostern möchte er eine Regierungskoalition schmieden. Warum das Thema in einem Fußballfanzine ist? Gleich mehrere Akteure von Borussia Dortmund haben sich in den vergangenen Wochen hörbar in den Wahlkampf eingemischt.
Roman Weidenfeller, Meister-Torhüter und Teil des Legendenteams, warb auf den Social-Media-Kanälen der CDU, Deutschland müsse "wieder Tabellenführer werden", deshalb unterstütze er Spitzenkandidat Merz. Zwei Tage vor der Bundestagswahl meldete sich außerdem Norbert Dickel zu Wort. Via Instagram vermied er zwar, eine konkrete Partei zu empfehlen, doch seine Forderungen – Leistung müsse sich lohnen, weniger Steuern, Eigenverantwortung statt Verbote – lassen vermuten, dass der Stadionsprecher seine Fans zu einem Kreuz rechts von Grünen und SPD bewegen wollte.
Der umtriebigste BVB-Wahlkämpfer für die Union war jedoch Hans-Joachim Watzke. Kein Wunder, schließlich ist er seit Jahrzehnten CDU-Mitglied. Aus seiner Verbundenheit zu Friedrich Merz hat er nie einen Hehl gemacht. In mehreren Interviews sprach er sich für seinen Jugendfreund aus dem Sauerland aus. Höhepunkt war ein Besuch des CDU-Parteitags Anfang Februar, wo er in Anspielung auf Merz’ ehemalige Tätigkeit im BVB-Aufsichtsrat verkündete: "Wenn du zehn Jahre unfallfrei bei Borussia Dortmund gearbeitet hast, kannst du auch Bundeskanzler, kannst du alles."
Der BVB misst mit zweierlei Maß
Ich finde es gut, wenn Fußballer und Funktionäre für Parteien werben, solange es sich nicht um extrem rechte handelt. Parteien sind die Grundpfeiler unseres politischen Systems, und ein Blick in die Welt – insbesondere in die USA – zeigt leider die Notwendigkeit, Demokratien zu stärken. Fußballer können Vorbilder sein, warum also nicht ihre Reichweite für dieses Ziel nutzen? Aus diesem Grund habe ich grundsätzlich auch kein Problem damit, wenn Watzke, Weidenfeller oder Dickel sich für eine Partei einsetzen, deren Werte ich persönlich nicht teile. Nicht zuletzt weil die deutsche Geschichte gezeigt hat, dass es eine stabile Demokratie nur mit stabilen Konservativen geben kann.
Was mich hingegen massiv stört, ist, dass der BVB in dieser Sache mit zweierlei Maß misst. Ein Rückblick: Im Frühjahr vergangenen Jahres wandte sich die Initiative ballspiel.vereint! vorab an den BVB, um den Verein gegen das Erstarken der AfD zu rüsten. Ziel des Antrags war, bereits jetzt vorzubeugen, sollte die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte Partei in Zukunft versuchen, den BVB für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Während die Vertreter*innen des e. V. dem Vorhaben grundsätzlich wohlwollend gegenüberstanden, sendete die KGaA von Anfang an deutliche Signale, dass sie sich am liebsten gar nicht auf dieses Terrain begeben möchte.
Das Hauptargument der KGaA: Der BVB müsse parteipolitisch streng neutral bleiben. Von der Erwiderung der Initiator*innen, die Neutralität ende, sobald eine Partei wie die AfD versuche, die demokratische Grundordnung nachhaltig zu beschädigen, ließ man sich nicht überzeugen. Einen entsprechenden Antrag brachte ballspiel.vereint! am Ende ohne Unterstützung der KGaA in die Mitgliederversammlung 2024 ein, wo er schließlich mit großer Mehrheit und ohne weitere Diskussionen beschlossen wurde.
Watzke setzt die Glaubwürdigkeit des Vereins aufs Spiel
Auch zu anderen Anlässen führt die KGaA regelmäßig die parteipolitische Neutralität des BVB ins Feld, jüngst im Rahmen der Verleihung des Leo-Baeck-Preises an Hans-Joachim Watzke durch den Zentralrat der Juden. "Borussia Dortmund ist hochpolitisch, aber parteipolitisch neutral", unterstrich er. Angesichts des leidenschaftlichen Wahlkampfs, den Watzke für seine CDU gemacht hat, fragt man sich, ob man den Zusatz, dass der Vorsitzende der Geschäftsführung von dieser Regel ausgenommen ist, schlicht überlesen hat. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass es Watzke nicht wirklich um parteipolitische Neutralität geht. Vielmehr scheint sie ihm ein willkommener Vorwand zu sein, Themen abzuschmettern, auf die er keine Lust hat. Anders ist sein Verhalten nicht zu erklären.
Eins muss klar sein: Entweder gilt dieser Grundsatz für alle oder für niemanden. Es kann nicht sein, dass Anliegen aus der Fanszene mit dem Verweis auf eine vermeintliche parteipolitische Neutralität abgeblockt werden, während der Geschäftsführer vor dem BVB-Wappen Werbung für den Kanzlerkandidaten seiner Wahl machen kann (wie in einer Reportage des ZDF geschehen). Die Grenzen zwischen Privatperson und Vereinsfunktionär wurden bewusst verwischt. Damit stößt Watzke nicht nur den Fans vor den Kopf, die sich in ihrer Freizeit für ein möglichst diskriminierungsfreies Umfeld bei Borussia Dortmund engagieren, sondern er riskiert auch, dass die bisher vorbildliche Arbeit des Vereins gegen Rassismus und Antisemitismus Glaubwürdigkeit einbüßt.
"Kein Bier für Rassisten" als Lichtblick
Denn auch ansonsten hatte man in diesem Bundestagswahlkampf das Gefühl, der BVB sei nur halbherzig bei der Sache. Rund um das Spiel gegen Union Berlin konnte man sich nur zu einem einfachen Wahlaufruf durchringen, nicht mehr als das bare minimum. Die Chance, auf großer Bühne an die eigenen Fans zu appellieren, das Kreuz im Sinne des antidiskriminierenden Grundwertekodex des Vereins zu machen, wie es Präsident Dr. Reinhold Lunow über seine privaten Social-Media-Kanäle getan hatte, ließ man verstreichen. Auch auf einen Aufruf, sich wenige Tage vor der Wahl am "Lichtermeer für die Demokratie" in der Dortmunder Innenstadt zu beteiligen, verzichtete der Verein, obwohl die Veranstaltung von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis getragen wurde. Dass Hans-Joachim Watzke die ihm zuteil werdende Aufmerksamkeit lieber nutzte, um zu rechtfertigen, dass seine Union mittlerweile auch vor Mehrheiten mit der AfD keinen Halt mehr macht, passt in das Gesamtbild.
Ausdrücklich positiv stach hingegen die Neuauflage der Kampagne "Kein Bier für Rassisten" der auf diesem Gebiet ohnehin sehr umtriebigen Fan- und Förderabteilung hervor. Ehrenamtliche Helfer*innen verteilten wie schon 2015 Tausende Bierdeckel in Dortmunder Kneipen, die nicht nur eine eindeutige Botschaft haben, sondern mittels eines QR-Codes auch Argumentationshilfen gegen gängige rechte Stammtischparolen liefern. Es dürfte jedoch kein Zufall sein, dass eine Abteilung des e. V. sich deutlicher positionieren wollte und konnte als die KGaA.
Die Verantwortlichen rund um Hans-Joachim Watzke müssen sich am Ende dieses Bundestagswahlkampfs hingegen den Vorwurf der Willkür gefallen lassen. Ob und wie der Verein sich in Zukunft politisch äußert, darf jedenfalls nicht mehr von den Vorlieben des Geschäftsführers abhängen.
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