BVB in der Identifikationskrise Es tut mir Leid, Edin Terzić
Das Lied der Identifikationsfiguren beim BVB ist ein Klagelied, und nun trifft es bald den Nächsten: Terzićs Abschied ist nur noch eine Frage der Zeit.
Borussia Dortmund, einst absolute Heimmacht, scheitert mal wieder zuhause trotz zwischenzeitlicher Führung. Über das Sportliche wird an anderer Stelle genug diskutiert. Ich nehme vieles nur noch schulterzuckend zur Kenntnis. Mir fehlt zunehmend die emotionale Bindung zu dem, was da auf dem Rasen geschieht. Dafür gibt es unzählige Gründe, viele davon fanpolitischer Natur. Doch einen anderen möchte ich hier hervorheben:
Mangelware Identifikation
Dem BVB fehlt es extrem an Identifikationsfiguren. Die Schmelzers und Piszczeks, die Subotics und Kubas, die Benders und Şahins – sie alle hatten einen krassen Vorteil: Sie kamen aus dem Nichts und haben Geschichte geschrieben. Sie haben eine der erfolgreichsten Ären der Vereinsgeschichte geprägt. Ihre Fußabdrücke sind viel zu groß, als dass ihre Nachfolger sie füllen könnten.
Noch so ein Vorteil wäre, gebürtiger Dortmunder zu sein. Doch selbst ein Marco Reus ist nicht über jeden Zweifel erhaben. Man muss nicht mal die Führerscheinaffäre anführen. Irgendwie hat Reus es nicht geschafft, sich trotz Dortmunder Herkunft, langjähriger Vereinstreue und teils starken (teils aber auch weniger überzeugenden) Leistungen in die Herzen aller Fans zu spielen. Ich für meinen Teil würde mir ein Karriereende von Reus in Dortmund durchaus wünschen, um wenigstens dieses kleine Quäntchen Identifikation und Emotion mitzunehmen, aber selbst diese Aussicht ist etwas getrübt. Der Vertrag endet im Sommer, Reus' Karriere aber noch nicht unbedingt. Ähnlich wie bei Mats Hummels, nur dass dieser sich mit seinem Abgang als Kapitän (!) nach München (!) vollends disqualifizert hat für die Rolle der Identifikationsfigur.
Das "M"-Wort
Man muss keine Trophäen in die Luft stemmen, um sich in die Herzen der Fans zu spielen. Die Herkunft ist ein Glücksfall, aber nicht ausschlaggebend. Es reicht schon eine gehörige Portion Kämpferherz, die Einstellung, niemals aufzugeben, eine gut getimte Grätsche auf matschigem Untergrund, auch noch am Boden liegend den Ball zu gewinnen, um in letzter Sekunde ggf. den ersehnten Siegtreffer zu erzielen. Mentalität. Davon sieht man dieser Tage herzlich wenig im schwarzgelben Dress. Stattdessen wird jeder Kredit, den die Fans gewähren und mit Support in Vorleistung treten, umgehend wieder verspielt.
Niemand erweckt den Eindruck, als könne man eine Bindung zwischen Spielern und Fans aufbauen. Die jungen Spieler, die gefühlt unsere einzige Hoffnung auf ein bisschen Kreativität auf dem Platz sind? Sie werden, so sie sich denn sportlich durchsetzen, bald weiterziehen, um Größeres zu erreichen. Wenn es gut läuft, starten sie dann so richtig durch (Bellingham, Haaland), und wenn man sich selbst überschätzt, wird man von der Wohlfühloase Borussia Dortmund wieder aufgefangen. Ein äußerst geringes Wechselrisiko also für Spieler der Marke Sancho oder in der Vergangenheit Şahin, Kagawa und Götze.
Insgesamt bewegen sich die Spieler heute durch ihr Vermögen und ihren Lebensstil in den meisten Fällen fernab der Realität der Fans, die sie anfeuern. Identifikation? Fehlanzeige!
Zudem entfernt sich ausgerechnet der Kapitän mit seiner Aussage zu den Investorenprotesten ein Stück weit mehr von den Fans, zumindest jenen, die den Protest tragen und unterstützen. Support wird eingefordert, aber bitte nur so, wie es einem selbst passt. Wenn die Fans zusammenrücken und die Mannschaft nach der verlorenen Meisterschaft aufbauen, obwohl sie selbst am Boden zerstört sind, wird dies gerne gesehen. Aber wenn die Fans dann mal für ihre eigenen Belange einstehen, ist es anscheinend zu viel verlangt, dass Spieler sich da einfach mal zurücknehmen und auf ihre eigenen (nicht vorhandenen) Leistungen konzentrieren. Die Lücke zwischen Tribüne und Rasen wächst merklich.
Einer von uns
Und dann haben wir da einen Mann an der Seitenlinie stehen, der der personifizierte BVB-Fan ist. Borusse durch und durch. Der diese Sehnsucht der Fans nach Identifikation und Bindung komplett verkörpert. Einer von uns. Der weiß, was dieser Sport, dieser Verein, jedes einzelne Spiel den Fans bedeutet. Der sich wahrscheinlich selbst zerreißen würde, wenn es denn helfen würde, den letzten Spieltag gegen Mainz in einen Sieg umzukehren, um dieser Stadt und diesen Fans, das zurückzugeben, was sie sich schon so lange ersehnen: eine schwarzgelbe Meisterschaft.
Aber nichts lässt die Zeit zurückdrehen. Nichts lässt die enttäuschenden Leistungen dieser Saison verblassen.
Edin Terzić ist die Identifikationsfigur. Und ausgerechnet er scheitert nun am Sportlichen. Es ist ein absolutes Trauerspiel, dass dieser Mann gehen muss. Der Moment wird dieses Jahr kommen, früher oder später: Entweder Terzić wird noch vor Saisonende entlassen, oder er ist im Sommer den Trainerposten los. Borussia Dortmund kann es sich nicht leisten, die Champions-League-Qualifikation zu riskieren. Daher ist es rational gesehen auch komplett richtig, eine personelle Veränderung an dieser Stelle vorzunehmen, und dennoch blutet einem das Herz. Weil es nicht irgendwen trifft. Es trifft Edin Terzić. Und so richtig diese nahende Entscheidung aus sportlicher Sicht sein wird, so schmerzt sie auf menschlicher Ebene besonders. Mal ganz abgesehen davon, dass es nur ein kleines Rädchen ist, an dem nun wieder gedreht werden wird, während die Probleme bei Borussia Dortmund viel tiefer liegen.
Man kann nur hoffen, dass uns dieser Mann, egal auf welche Weise, für immer treu bleiben wird. Und wenn wir wieder wie damals im Pokalfinale 2012 gemeinsam im Block stehen, um unseren BVB nach vorne zu schreien. Für uns, für dich, für Borussia! Danke, Edin. Für immer Borusse, für immer einer von uns.