Klatsche statt Coup für BVB in Madrid Mutlosigkeit als Genickbruch
55 Minuten durfte man vom unerwarteten Coup von Borussia Dortmund gegen Real Madrid träumen, ehe Trainer Şahin mit einer Systemumstellung nicht nur bei den Fans für Angstschweiß sorgte.
Disclaimer: Aus ästhetischen Gründen haben wir uns dafür entschieden, das überaus hässliche Pokaltrikot in diesem Spielbericht zu verpixeln. Ich mein, Euer Ernst, Puma?!
Real Madrid gegen Borussia Dortmund. Champions League. Flutlicht. Die Meister. Die Besten. Les grandes équipe. The champions.
Früher absolutes Gänsehautpotenzial. Mittlerweile stumpft man da etwas ab, weil diese Partie so gefühlt zwei Mal im Jahr stattfindet und den Besonderheitsfaktor zunehmend verliert. Und doch sollte man sich vielleicht gerade jetzt dieser Besonderheit bewusst werden und sie zu schätzen wissen. Denn so wie der BVB derzeit national auftritt, könnte es das letzte Aufeinandertreffen für einige Zeit werden. Ein Selbstläufer wird die Champions-League-Qualifikation jedenfalls nicht mehr.
Spätestens als der Ball zum 0:1 durch Donyell Malen im Netz zappelte, war es dann aber wieder da: das Kribbeln einer besonderen Nacht. Auf dem Papier haushoch unterlegen, drückte ausgerechnet der BVB dem Spiel in Halbzeit 1 seinen Stempel auf. Zucker, wie Serhou Guirassy sich mit dem Rücken zum Tor gegen die "Königliche" Abwehr behauptete und auf Torschütze Malen ablegte. Balsam für die schwarzgelbe Seele, wie Malen nur wenige Minuten später den Ball von der rechten Seite vor das Tor spielte und Gittens im Rücken der Abwehr durchstartete, um das Leder über die Linie zu drücken. 0:2 – kneift mich mal jemand?
Der einzige Haken an der Sache? Es waren erst 34 Minuten gespielt, und Real Madrid deutete schon mit zwei Aluminiumtreffern in der 1. Halbzeit an, dass es nicht bei einer weißen Weste für Gregor Kobel bleiben würde.
Aus ästhetischen Gründen würden wir auch gerne einen Mantel des Schweigens über die zweite Halbzeit legen. Aber ein paar Dinge seien dennoch gesagt:
Wer wie Nuri Şahin im Vorfeld davon spricht, mutig aufzutreten, muss dies als Trainer seiner Mannschaft auch vorleben. Wen man jedoch in Minute 55 einen offensiven Flügelspieler (Gittens) rausnimmt, um mit Innenverteidiger Nr. 3 (Anton) in einer 5er-Kette zu mauern, zeugt das eher von Schissbuchse als von Mut. Mit dem zweiten Wechsel (Groß für Malen) wurden dann auch jegliche Offensivambitionen begraben. Und so kam, was kommen musste: Real drehte auf, Real drehte des Spiel.
Dass Real Madrid – im Gegensatz zu Borussia Dortmund (da hilft auch das erreichte Finale 2024 nicht) – zu den besten Mannschaften der Welt zählt, ist kein Geheimnis. Dass sie in Halbzeit 2 den Druck auf das Dortmunder Tor enorm erhöhen würden, war so klar, wie Wasser nass ist. Es wäre vermessen, zu glauben, dass man sich gegen dieses Real Madrid ohne Systemumstellung und mit mutigeren Personalentscheidungen nicht trotzdem noch das ein oder andere Gegentor gefangen hätte. Vermessen ist es aber auch – das hat das Spiel gezeigt –, zu glauben, man könne gegen eine Offensive aus Mbappé, Vini Jr., Bellingham und Co. sinnvoll den Bus parken und die Null halten. Die Wechsel von Nuri Șahin erwiesen sich als Genickbruch. Wo war der angepriesene Mut? Mit einem 0:2 im Rücken hätte man auf Konter setzen könnten, nicht aber wenn man beide Flügelspieler (noch dazu Torschützen) – mit Gittens sogar einen sehr schnellen – vom Feld nimmt und Guirassy sich selbst überlässt. Aber klar, nachher weiß man eh immer alles besser.
Natürlich lag nicht alles am Trainer. Auch individuelle Stellungsfehler hatten ihren entscheidenden Anteil an den Gegentreffern, genauso wie persönliche Temposchwächen oder unglückliche Steilvorlagen für den Gegner. Davon abgesehen: Şahin ist ein junger Trainer und auch Trainer machen mal Fehler. Wichtig sind vor allem die Schlüsse, die er nun aus dem Spiel ziehen wird. Damit man da auf keinen Fall irgendwas schön reden kann, hat Real Madrid das Spiel nicht knapp und glücklich gedreht, sondern mit einer 5-Tore-Halbzeit ein echtes Statement gesetzt.
Mit einem Sieg hatte wohl eh niemand gerechnet, umso bitterer wie man dann jedoch die Zwei-Tore-Führung nicht nur verspielt hat, sondern regelrecht badengegangen ist. Will man dem Ganzen noch etwas Positives abgewinnen: Die Mannschaft kann sich diesmal nicht auf einem Erfolgserlebnis aus der Königsklasse ausruhen und ist gezwungen, in der Liga gegen Augsburg abzuliefern. Wer den BVB in den letzten Jahren verfolgt hat, weiß, welche Stolperfalle so ein Auswärtsspiel für die schwarzgelbe Mannschaft sein kann. Damit wir nicht wieder über Mentalität und Einstellung diskutieren müssen, wäre ein Auftritt wie in Halbzeit 1 über die gesamten 90 Minuten erforderlich.