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BVB Lernzentrum und Lichter der Großstadt ...Johannes Böing und Gandhi Chahine über ihr gemeinsames Projekt: "Spiel mir den Ball"

01.07.2024, 12:09 Uhr von:  DocKay
Johannes und Gandhi sitzen im Hof des BVB Lernzentrums auf einem Liegestuhl und freuen sich auf das Interview
© schwatzgelb.de

Dortmund ist Host City bei der diesjährigen Fußball-Europameisterschaft. Parallel zu den Ereignissen auf dem grünen Rasen, aber auch im Vorfeld, gab es viele Aktivitäten. Wir stellen euch ein ganz besonderes Projekt vor.

schwatzgelb.de: Johannes, seit wann kennt ihr euch eigentlich und wer hatte die Idee für dieses Video?

Johannes: Gandhi und ich kennen uns seit ungefähr einem Jahr. Es war so, dass die Gruppe Lichter der Großstadt einen Beitrag eingereicht hat bei unserem Wettbewerb „Heimspiel für Civilcourage“. Als wir uns dann das erste Mal gesehen haben, wurde mir sofort klar, dass mir ein ganz besonderer Mensch gegenübersteht. Bei unserem ersten Treffen im Stadion stimmte sofort die Chemie und ich bemerkte sofort, dass auch er das Bestreben hatte, mit etwas Gutem in die Gesellschaft reinwirken zu wollen. Ein Wort gab das andere und so entstand relativ schnell die Idee, den Anlass der Europameisterschaft zu nehmen, um dieses gemeinsame Video-Projekt zu machen.

Erkläre mir kurz das Musik-Video Projekt „Spiel mir den Ball“ und die damit verbundene Botschaft

Im Westfalenstadion haben sich die Protagonisten im Halbkreis aufgestellt und präsentieren auf ihre Art die Vielfalt
Die Protagonisten stellen sich zu Gruppenbild im Westfalenstadion auf.

Gandhi: Uns war es wichtig, möglichst viele Leute mit unserer Botschaft zu erreichen. Die Botschaft auf den Punkt gebracht ist, wir wollen uns als Menschen begegnen. Wenn wir es schaffen uns als Menschen zu begegnen, dann werden wir Rassismus und Diskriminierung überwinden. Die Europameisterschaft ist natürlich auch ein guter Anlass, diese Message zu verbreiten.

Das BVB Lernzentrum ist ja für viele ein Begriff. Erkläre unseren Lesern kurz die Schwerpunkte eurer Arbeit

Johannes: Das BVB Lernzentrum ist eine Initiative des Fanprojekts und wir machen politische Jugendbildung am Lernort Stadion, das heißt, wir nutzen die Strahlkraft von Borussia Dortmund im Rahmen dessen, dass wir Workshops im Stadion anbieten und damit auch eine besondere Lernkulisse haben.

Was versteckt sich hinter dem Begriff Lichter der Großstadt?

Gandhi: Lichter der Großstadt ist ein Zusammenschluss von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich mit unterschiedlichen Themen unter anderem auch Diskriminierung, Rassismsus, Antisemitismus u.s.w. auseinandersetzten. Der Begriff Lichter der Großstadt hat dahingehend eine besondere Bedeutung, dass wir dadurch, dass wir jetzt Theaterstücke, Songs und Videoclips produzieren, einfach sichtbar werden. Wir bringen junge Menschen zum Leuchten und machen sie dadurch sichtbar für die Mehrheitsgesellschaft. Lichter der Großstadt ist überregional. Wir haben unseren Sitz zwar in Hagen, aber wir haben einen großen Einzugsbereich mit Leuten, die aus Witten, Gevelsberg, Schwerte, Dortmund und Bochum kommen.

Wer sind die Sons of Gastarbeita und welche Rolle spielen sie beim Projekt?

Gandhi: Sons of Gastarbeita ist meine Band, die es seit 1993 gibt und wir gehörten mit zu den ersten deutschsprachige Rappern. Wir sind damals entstanden nach dem Anschlag in Solingen auf die Familie Genç und wir sind eine Hip-Hop Band. Wir haben im Grunde genommen den Song produziert, das heißt Sons of Gastarbeita war beteiligt an der Songproduktion.

Johannes und Gandhi stehen auf der Treppe vor dem Aufgang zur Südtribüne. Sie sprechen zum Publikum. Das Ganze wird mit Kameras gedreht
Johannes und Gandhi stimmen das Publikum auf den Dreh ein.

Am 27.04.2024 fand im Westfalenstadion der „Dreh“ zum Video statt. Welche Erinnerungen verbindest du damit?

Johannes: Das sind richtig schöne Erinnerungen. Das sind natürlich so Highlights, da arbeitet man ein ganzes Jahr darauf zu. Da gibt es sehr viele mutige und engagierte Mitarbeiter bei unseren Projekten und am Ende sind das so Tage, da erntest du halt einfach. Du hast dein ganzes Engagement und deine Arbeit da reingesetzt und wenn du dann siehst, wieviel Leute kommen und wenn du siehst, wie viele junge Leute eine Bühne bekommen und anfangen zu strahlen, das ist einfach phantastisch. Wenn das ganze dann aufgeht wie ein schöner Hefekuchen im Stadion mit der Strahlkraft von Borussia Dortmund, dann ist das wunderschön. Das Gefühl, ganz viele Menschen mit dem Herzen zu erreichen, hat uns richtig berührt.

In der Wohnung von Gandhi sitzen viele Menschen verschiedener Hautfarbe auf dem Sofa und dem Boden. Es ist eine gute Stimmung
Drehort war auch die Wohnung von Gandhi
© Gandhi Chahine

Gab es noch andere Drehorte?

Gandhi: Ja, wir haben auf jeden Fall tatsächlich bei mir zu Hause im Wohnzimmer gedreht, weil wir zeigen wollten, Fußball ist nicht nur im Stadion sondern auch zu Hause. Menschen und Freund*innen kommen zusammen, genießen so ein Spiel und fiebern mit. Auch auf einem Bolzplatz haben wir gedreht. Alle haben einmal auf einem Bolzplatz Fußball gespielt. Nicht alle haben das Glück im Westfalenstadion oder in anderen Stadien zu spielen. Ich habe auch eine Bolzplatz-Vergangenheit und es sind mit Abstand meine schönsten Erinnerungen, die ich mit meinen Freunden auf dem Bolzplatz hatte. Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich darüber rede. Das verstehst du auch nur, wenn du Fußballfan oder Fußballer bist.

Ihr konntet Dede für das Projekt gewinnen, warum gerade Dede?

Dede steht zusammen mit Gandhi auf einer Plattform. Davor befinden sich drei Rollstuhlfahrer.
Es war eine Herzensangelegenheit von Dede, das Projekt zu unterstützen.

Johannes: ja, wir haben uns natürlich schon Gedanken gemacht, wer passt da und bei Fußallspielern muss man schon gucken, wer ist da geeignet. Einfach nur einen Spieler zu nehmen ob der Popularität, das wäre uns zu billig gewesen. Dede passte deswegen, weil er sich sehr mit dem Projekt identifiziert hat. Man hat es ja auch gemerkt und gesehen, wie leidenschaftlich er dabei war. Wir hatten auch im Nachgang noch einmal Kontakt und er war sehr interessiert daran, das Endprodukt zu sehen. Das passte wie die Faust aufs Auge. Auf der einen Seite hat er natürlich mit seiner Popularität dem Projekt noch mehr Glanz verliehen, aber es war nicht abgekartert. Es war echt und er hatte Bock drauf.

Bei der „Release Party“ im Fanprojekt waren viele Ukrainer*innen. War es euch wichtig, auch hier ein Zeichen zu setzen?

Gandhi: Also, ich fand das so großartig, dass gerade die Menschen aus der Ukraine hier hingekommen sind, dass wir mit der ukrainischen Community in Dortmund zusammengesessen, zusammen gegrillt haben und uns ausgetauscht und haben. Auf jeden Fall, gerade die Menschen, die hier bei uns nach Sicherheit gesucht haben und jetzt ein Teil unserer Gesellschaft geworden sin. Da gilt meine absolute Solidarität und das war für mich eine ganz große Bereicherung, dass sie dabei gewesen sind und deshalb haben wir uns auch bewusst entschieden, in dem Song auch auf ukrainisch zu zählen. Wir wollten ein Zeichen setzen, dass sie ein Teil von uns sind und dass wir sie im Blick haben.

Die Produktion eines Musik Videos braucht bis zur Vollendung viele helfenden Hände. Welche Personen spielten eine besondere Rolle?

Johannes: Ja, am Ende trägt sich das Ganze auch durch sehr viel Engagement, das heißt, es ist so, dass du immer Personen brauchst, die sich damit identifizieren und einfach „Bock“ haben. Wenn du das von A-Z mit Hauptamtlichkeit abdeckst, dann zieht das einfach nicht. Das Besondere des Projektes ist, dass es auf der einen Seite professionell ist und, dass es auf der anderen Seite lebt, echt und authentisch ist. Das ist, glaube ich, das Erfolgsgeheimnis. Gandhi, da gibt es sicher einige Protagonisten, die man hervorheben sollte.

Gandhi: Ja, auf jeden Fall, Germain hat die Musikproduktion gemacht. Jean-Luc hat den Film gedreht und geschnitten, der Mo hat die Tanzchoreographie gemacht und viele Jugendliche haben mit gerappt, mitgetanzt und mitgesungen. Dazu kam der Klaus Armin, der die Fotos gemacht hat. Viel Support gab es auch von Hakan, dem Vorsitzenden des Integrationsrats der Stadt Hagen und von Thomas Walter, dem Vorsitzenden des Kulturausschusses der Stadt Hagen. Nennen möchte ich auch noch Robin Hiermer von Radio Hagen. Es waren viele Leute, die einfach mitgekommen sind und das supported haben. Sie haben die Kids durch die Gegend gefahren und uns mit ihrem Herzen unterstützt.

Die dunkelheutige Mimi mit langem Haar tanzt und singt mit viel Enthusiasmus
Mimi hat fleißig mit gerappt, getanzt und gesungen

Ohne Sponsoren ist so ein Projekt nicht möglich. Wer hat euch finanziell unterstützt?

Gandhi: Unterstützung kam in erster Linie durch die BVB-Stiftung „Leuchte auf“, darüber kam auch der Kontakt zu Dede. Auch die Signal Iduna trug dazu bei. Zu nennen ist auch die Evonik-Stiftung und das Land NRW, vertreten durch das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration welches ebenfalls Projektmittel zur Verfügung gestellt hat. Das waren so die vier Hauptsäulen für die Finanzierung.

Plant ihr nach „Spiel mir den Ball“ weitere gemeinsame Projekte?

Johannes: Oh yes, oh yes. So ein Engagement hört nicht auf. Wir haben gerade gesagt, was machen wir als Nächstes? Ich denke, es braucht die Kombination aus großem gesellschaftlichen Anlass, wo man sagt, da docken wir jetzt einfach an und geben Professionalität mit dazu, gleichzeitig aber vermitteln wir Echtheit und verlieren nicht den Bezug zur Basis. Das muss ein schöner Mischmasch sein und zu guter Letzt ist es dann so, dass man natürlich Weggefährt*innen braucht, die das ganze supporten. Wir haben jetzt noch nicht gesprochen, aber es gibt immer wieder Wahlen, immer wieder Fußballturniere oder andere gesellschaftliche Ereignisse, wo wir immer andocken wollen. Ich bin so überglücklich den Gandhi und die Lichter der Großstadt kennengelernt zu haben. Man wird noch von uns hören.


Gandhi sitzt auf einer gelben Bank. Hinter ihm Bilder und Schals vom BVB
Gandhi Chahine ist der Kopf der Sons of Gastarbeita
© schwatzgelb.de

Gandhi: Auch bin froh, dass ich den Johannes und das BVB Lernzentrum kennengelernt habe. Das ist wirklich eine unglaublich tolle Kooperation, die auch auf gegenseitigem Respekt, auf Augenhöhe und mit großem Wohlwollen funktioniert. Das hast du halt nicht immer. Wir müssen uns, was unsere Haltung und unseren Anspruch angeht, auch nicht viel erzählen. Das war von vornherein eigentlich klar, worum es uns eigentlich geht. Mein Traum ist es, einfach zu sagen, wir haben jetzt viel mehr Zeit und in zwei Jahren ist eine Weltmeisterschaft und ich bin mir sicher, dass wir da wieder einen Song abliefern werden.

Wo kann man sich das Video anschauen?

Gandhi: Das Video ist auf der Seite vom BVB Lernzentrum zu sehen. Ich finde der Videoclip ist gut und den sollten sich alle Leute anschauen. Man merkt, dass Fußballfans den Song geschrieben haben. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass das Making-of mindestens genauso interessant ist. Das Making-of bringt den gesamten Spirit, das gesamte Engagement und alles, was dahinter steckt, zum Ausdruck. Ich finde, wenn du das Making-of zuerst gesehen hast und dann den Videoclip, dann kannst du den Videoclip auch besser verstehen und die ganze Arbeit, die dahinter gesteckt hat.

Kann man an den Aufrufen und Clicks schon jetzt beurteilen, welchen Erfolg das Video hat?

Johannes: Ich finde das immer schwierig, Erfolg nur danach zu bemessen, was es danach für einen Output gegeben hat. Natürlich ist es immer wünschenswert, wenn es viele Leute erreicht. Es ist verständlich, aber wichtig ist für mich erst einmal die Innenwirkung. Was erreichen wir für die Gruppe und die Jugendlichen? Was ist das für eine Wirkung, die wir da haben? Klar könnte man sich vielleicht immer wünschen, dass da ein Paar mehr Clicks sind, aber das ist nicht unsere Arbeit. Wir sind Pädagogen, wir wollen junge Leute unterstützen und denen eine Bühne geben und das ist uns hundertprozentig gelungen.

Gandhi: Und wir haben das alles ehrenamtlich gemacht. Junge Leute sind zu uns gekommen und haben nach Rat gefragt. Das ist ein großer Erfolg und das kann man nicht hoch genug einschätzen.

Johannes steht vor einem Bild der Südtribüne. Er hat die Hände in der Tasche
Der Leiter des BVB lernzentrums Johannes Böing
© schwatzgelb.de

Ich erlebe gerade im Stadion die EM Spiele und das friedliche Miteinander der beteiligten Nationen. Seht ihr darin auch eine Chance für die Zukunft?

Johannes: Ja, aber Fußball ist immer das ein oder andere. Es ist immer Chance und Gefahr zugleich. Ich würde mich hüten zu sagen, dass alles, was rund um Fußballspielen passiert, automatisch völkerverbindend ist. Es kann auch genau das Gegenteil sein. Fußball ist erst Mal eine Bühne und ein Medium und es gilt, dieses Medium richtig zu nutzen. Wenn man es richtig nutzt, dann wird ein Schuh draus.

In euren Projekten steht der Fußball im Zentrum eures Handelns. Eignet sich der Fußball als Botschafter?

Gandhi: Der Fußball eignet sich absolut als Botschafter. Menschen kommen zusammen und Menschen spielen in einer Mannschaft zusammen. Ich kann mich noch an meine Jugend erinnern. Wichtig war erst einmal, dass du Bock hattest mitzuspielen. Wenn du auf dem Platz gestanden hast, spielte es keine Rolle, welche Schule du besuchst, wo deine Eltern herkommen und wieviel Geld deine Eltern haben oder nicht haben. Es ging nur darum, dass du kicken konntest und Spaß hattest zu kicken. Trotzdem ist Fußball zunächst einmal ein Sport und es kommt darauf an, was wir aus dieser Leidenschaft für diesen Sport machen. Das ist das entscheidende und wir wollen damit eine klare Botschaft verknüpfen: Leute, lasst und doch zusammen feiern, zusammen spielen und zusammen Spaß haben. Wenn uns das gelingt, dann haben wir echt etwas erreicht.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Gandhi: Meine Botschaft ist einfach, Menschen nicht in Schubladen zu stecken. Wir neigen immer dazu, Menschen aufgrund bestimmter Merkmale in eine Schublade zu stecken. Es kann die Hautfarbe sein, die Religionszugehörigkeit, die Sexualität und so weiter und so fort. Oft ist es dann so, dass wir diese Etikettierung oftmals direkt negativ belegen. Mein Wunsch ist es, dass wir es lernen, uns als Menschen zu begegnen und uns gegenseitig Respekt entgegen bringen.

Johannes: Ich bin so sehr Fußballfan und Fan von Borussia Dortmund, dass es ein Teil meiner Identität ist. Im Fußallstadion zu sein ist für mich mit die größte Sache. Dies war schon als Kind so und ist es heute immer noch. Das ganze Drumherum, was der Fußball mit sich bringt, dürfen wir uns nicht kaputtmachen lassen. Mit kaputt lassen machen meine ich jetzt zum Beispiel auf die EM bezogen, Nationalisten das Feld zu überlassen. Oder auch Leuten, die Menschen aufgrund bestimmter Merkmale versuchen auszugrenzen. Fußball sollte im Kern das sein, was es ausmacht, eine identitätsstiftende Sache, dass Menschen sich begegnen und das Verbinden im Vordergrund steht.

schwatzgelb.de: Das sind schöne Botschaften. Vielen Dank für das Gespräch!

Unseren Lesern wünschen wir viel Spaß beim Anschauen des Videos.

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