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Weniger Sexy - Ein taktischer Rückblick auf die BVB Hinrunde

19.01.2024, 11:04 Uhr von:  Gastautor
Das Bild zeigt die Tribüne voller Fans von Borussia Dortmund in gelben und schwarzen Fahnen.

Nach einer enttäuschenden Hinrunde mit nur 30 Punkten und Platz 5, steht bei Borussia Dortmund die Champions-League-Qualifikation auf dem Spiel. Spielaufbau und taktische Mängel bedrohen die Saisonziele.

Mit einem 3-0 Auswärtssieg beim SV Darmstadt beendete der BVB die Hinrunde und steht damit nach 17 Spielen mit 30 Punkten auf dem fünften Tabellenplatz. Dies sind Zahlen einer ergebnistechnisch enttäuschenden Hinrunde, an deren Ende das Mindestziel der Champions League Qualifikation in Gefahr ist. Alarmierender sind jedoch die spielerischen Leistungen auf dem Feld. Nachdem man, trotz erkennbarer Defizite, zu Saisonbeginn noch eine ordentliche Punkteausbeute erzielte, blieben die Punkte im schweren Endspurt zunehmend aus und das von Edin Terzic ausgegebene Motto „Weniger Sexy, mehr Erfolg“ wurde als genau das enttarnt, was es damals schon zu sein schien: ein Mantra um von den bestehenden Problemen auf dem Feld abzulenken.

Zwar fällt die ergebnistechnische Bilanz nach der Hinrunde, dank des Überstehens der Gruppenphase in der Champions League, nicht komplett negativ aus, allerdings sollte man hier, wie Watzke es auf der Mitgliederversammlung forderte, analytisch vorgehen. Denn die Erfolge in dieser Champions League Gruppe, sowie die enttäuschende Hinserie in der Bundesliga und im DFB Pokal lassen sich erklären.

In den vergangenen Jahren wurde immer wieder über den BVB als Mannschaft gesprochen, die gegen „die kleinen Gegner“ entscheidende Punkte liegen lässt. Dies hat sich auch unter Edin Terzic nicht geändert. Hinzugekommen ist jedoch eine enorme Schwäche im eigenem Aufbauspiel, die dazu führt, dass man gegen hochpressende Gegner kaum kontrolliert herausspielen kann.

Dabei sind die Probleme des BVB im eigenen Ballbesitz kein neues Thema, sondern begleiteten die Mannschaft bereits in der vergangenen Saison, obwohl diese, nach einer sehr holprigen Hinrunde, auf Grund einer punktetechnisch sehr starken Rückrunde fast mit der Meisterschaft endete. Allerdings verließen mit Jude Bellingham und Raphael Guerreiro im Sommer zwei Leistungsträger den Verein, die die spielerischen Schwächen anderer Spieler zum Teil auffangen konnten. Diese Lücken sollten durch Ramy Bensebaini, Marcel Sabitzer und Felix Nmecha aufgefangen werden, was bisher jedoch kaum gelingt, besonders da diese Spieler andere Stärken haben.

Im eigenen Ballbesitz baut die Borussia das Spiel überwiegend in einem 2-3-2-3 oder einem 2-4-1-3 auf, gängige Ballbesitzformation für ein 4-3-3. Hierzu rücken die Außenverteidiger auf die Höhe des defensiven Mittelfeldspielers und agieren in Linie 2 als breite Anspielstationen. Doch die personelle Zusammensetzung sorgte bereits in der vergangenen Saison für spielerische Probleme. Weder Emre Can noch Julian Ryerson bzw. Marius Wolf sind Spieler die im Aufbau unter Druck für einen ruhigen Aufbau sorgen können. Auf der linken Seite war hier jedoch Raphael Guerreiro herausragend. Seine Pressingresistenz sowie sein Raum- und Spielverständnis waren in vielen Situationen elementar. Nunmehr wird er jedoch durch Ramy Bensebaini ersetzt, der zwar stärker in diesen Aspekten ist als seine aktuellen Partner, jedoch nicht die herausragende Stärke besitzt wie Raphael Guerreiro.

Das Bild zeigt ein taktisches Aufstellungsschema eines Fußballspiels.
Eine typische Aufbausituation der aktuellen Saison beim BVB im 2-3-2-3

Problematisch ist zudem die nicht vorhandenen Muster für diese planbaren Situationen, wodurch die vorhandenen Spieler, deren Stärken in anderen Bereichen liegen, mit Ihrer Entscheidungsfindung und Qualität alleine gelassen werden. In Drucksituationen, wie einem gegnerischen Pressing, greift man dann jedoch auf einfache und sichere Lösungen zurück. Dies sind dann meistens lange Bälle auf Niclas Füllkrug oder den Ball auf die freien Außenverteidiger.

Im Ligaspiel in Stuttgart lief der VfB den BVB beispielsweise aus einem 4-4-2 heraus an. Ziel der Stuttgarter war es hierbei den BVB zu langen Bällen oder zu einem Pass auf die Außenverteidiger zu zwingen. Wurde der Ball auf die Außen gespielt konnte man das Feld im Pressing halbieren und so ballnah gute Pressingsituationen schaffen. Dies schaffte man über ein relativ leichtes Mittel: man stellte hoch zu und wenn der Ball vom Innenverteidiger zurück auf Gregor Kobel kam, schob der Spieler mit und presste Kobel.

Das Bild zeigt ein taktisches Aufstellungsschema eines Fußballspiels.
Der VfB Stuttgart presst den BVB aus einem 4-4-2 heraus, sodass in den ersten beiden Aufbaulinien eine Mannorientierung entsteht

Dadurch wurde der Innenverteidiger zwar frei, stand jedoch im Schatten des pressenden Stuttgarters, sodass er nicht direkt anspielbar war. Die einfachste Lösung hier wäre ein entgegenkommender Sechser, der den Ball bekommt und direkt prallen lässt. Diese oder andere Lösungen fand der BVB jedoch fast nie und lief so immer wieder in das Pressing der Suttgarter.

Das Bild zeigt ein taktisches Aufstellungsschema eines Fußballspiels.
Schlotterbeck spielt unter Druck zurück auf Kobel, Millot schiebt durch. Özcan könnte entgegenkommen und den Ball auf den freien Schlotterbeck klatschen lassen

Auch auf Grund dessen ist das Aufbauspiel des BVB in dieser Saison sehr träge und man spielt früh in die Breite auf die Außenverteidiger, die dort von den Gegnern gut gepresst werden können. Generell hat man in dieser Saison große Probleme mit Gegnern die aktiv den Aufbau stören, da man kaum Möglichkeiten hat das Pressing sauber und flach auszuspielen. Dies führt zu sehr vielen langen Bällen auf den Zielspieler Füllkrug oder alternativ hinter die Kette auf die schnellen Außen. So kann man die Spiele jedoch selten kontrollieren, hat Probleme in gefährliche Zonen zu kommen und war weitestgehend von individueller Qualität oder Spielglück abhängig.

Exemplarisch dürften hier die Heimspiele gegen Heidenheim und Mainz in Erinnerung bleiben. In der ersten Hälfte konnte man die Spiele gegen tiefstehende Gegner jeweils kontrollieren, ohne jedoch eine Vielzahl an Chancen zu kreieren, bevor die Gegner in der Halbzeit jeweils auf ein aktiveres Zustellen umstellten und der BVB komplett die Kontrolle verlor.

Ein Problem hierbei sind die beiden Sechser Emre Can und Salih Özcan. Beide haben Ihre Stärken schlicht nicht im Spiel mit dem Ball und können diese beschriebenen Drucksituationen nicht auflösen. Eine sichtbare Folge in der vergangenen Saison war dann immer wieder das Zurückfallen vom Emre Can zwischen die Innenverteidiger. Hierdurch konnte er dem Druck im Mittelfeld zwar entgehen, allerdings entstand so im Zentrum eine große Lücke. Hier agierten in der vergangenen Saison häufig Jude Bellingham oder Raphael Guerreiro. Dies sollen nun Marcel Sabitzer und Felix Nmecha übernehmen. Beide haben hier jedoch nicht Ihre primären Stärken. Sabitzer agierte in seinen besten Phasen eher als offensiver (Pressing-) Achter der sich in die Tiefe orientiert und wurde erst beim FC Bayern und Manchester United in personeller Not in einer tieferen Rolle ausprobiert und schließlich nicht fest verpflichtet bzw. zum Verkaufskandidaten gemacht. Nmecha hingegen zeigt insbesondere als Ballträger interessante Ansätze, allerdings sind seine Aktionen teilweise sehr risikoreich, seine Entscheidungsfindung häufig zu langsam und sein Raum- und Spielverständnis nicht gut. Dazu dürfte auch er sich eine Linie weiter vorne wohler fühlen.

Das Bild zeigt ein taktisches Aufstellungsschema eines Fußballspiels.
Emre Can lässt sich zwischen die Innenverteidiger fallen und der entstehende unbesetzte Raum im Zentrum

Um eine bessere Besetzung im Zentrum zu ermöglichen, stellte Edin Terzic im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg dann seine Ballbesitzformation um. Hierbei orientierte er sich an einer von Guardiola, Arteta oder Xavi genutzten Formation und stellte im wiedergekehrten WM-System auf. Dadurch hat man in letzter Linie durch die vorhandenen drei Spieler meist eine eigene Überzahl und dazu im Mittelfeldzentrum, welches von vier eigenen Spielern besetzt wird, ebenfalls eine numerische Überzahl.

Man konnte auf diese Art das Spiel kontrollieren, schaffte es jedoch auch nicht diese Kontrolle in gefährliche Situationen zu bringen. Mit der selben Formation und Idee schaffte man es dann auch das Spiel gegen Borussia Mönchengladbach zu drehen.

Das Bild zeigt ein taktisches Aufstellungsschema eines Fußballspiels.
Der BVB im „WM-System“ im Spiel gegen den VfL Wolfsburg

Falls man in dieser Formation- dennoch auf die Außen spielt entstehen hier meistens 1 gegen 1 Situation, welche Bynoe-Gittens gesucht hat. Alternativ kann auch ein aus dem Zentrum vorrückender Achter oder Sechser als tiefe Anspielstation dienen. Durch diese Laufwege kann man gut Dynamiken erzeugen und tiefstehende Gegner gut bespielen. Allerdings wirkte die Vorgehensweise noch sehr improvisiert und wenig eingespielt. Da man diese Systematik weder in einem Testspiel vor der Saison, noch in einem der nachfolgenden Spiele (Ausnahme Gladbach) beobachten konnte, lässt dies den Schluss zu, dass man diesen Ansatz nicht langfristig verfolgen wird.

Der VfL Wolfsburg nutzte die beschriebenen Probleme des BVB gegen hoch pressende Gegner nicht und verteidigte stattdessen tief. Auch hier hat der BVB jedoch Probleme. Durch die Passivität kann der BVB als Mannschaft sehr hoch schieben, sodass die erste Reihe häufig an oder über der Mittellinie steht, während die letzte Reihe sich an der Abwehrkette des Gegners orientiert. Hierdurch wird das Feld extrem klein. Darüber hinaus stehen beim BVB häufig sehr viele Spieler entweder in der letzten Linie oder in kurzen Abständen zu dieser, sodass sich wenig Möglichkeiten ergeben über Kombinationen dynamische Aktionen auf die Abwehr zu inszenieren. Das Spiel wird in der Folge sehr statisch und einfach zu verteidigen.

Das Bild zeigt ein taktisches Aufstellungsschema eines Fußballspiels.
Eine theoretische Szene im BVB-Aufbau: 6 Spieler in der letzten Linie

In der Bundesliga sieht man diese Probleme nahezu wöchentlich, da hier viele Teams sich primär auf das tiefe Verteidigen gegen den BVB konzentrieren und / oder stark im Angriffspressing sind. Der positive Ausreißer in der Todesgruppe der Champions League lässt sich jedoch genau anhand dieser Probleme erklären, denn kein Team verteidigte den BVB in der Tiefe wie es viele Bundesligateams machen, sodass der BVB sich auf die eigene Defensive sowie anschließende Umschaltaktionen fokussieren konnte und lediglich im Heimspiel gegen Milan mehr Ballbesitz verzeichnete als der Gegner.

Darüber hinaus schafften es vor allem die beiden Hauptkontrahenten, Milan und Newcastle, nicht, den BVB durch eigenes Pressing vor Probleme zu stellen. Liegt dies bei Milan an der Kaderstruktur, die einen solchen Ansatz schwer ermöglicht, war vor allem der passive Auftritt von Newcastle in Dortmund überraschend, allerdings vermutlich mit den damaligen Verletzungsproblemen zu erklären.

Zur Rückrunde möchte man diese Probleme angehen und hat sowohl im Trainerteam als auch der Mannschaft personelle etwas verändert. Mit Nuri Sahin und Sven Bender stellt man Edin Terzic zwei neue Co-Trainer zu Seite, die sich um die O ffensive und Defensive kümmern sollen. Grundsätzlich ist die Idee nachvollziehbar, allerdings ist es fraglich, ob die personelle Umsetzung erfolgreich sein wird. Sowohl in den beiden Testspielen in Malaga, als auch beim Auswärtssieg in Darmstadt ließen sich im Aufbau- und O ffensivspiel kaum strukturelle Verbesserungen erkennen. Ein solches innerhalb von 2 Wochen in einem Wintertrainingslager zu etablieren erscheint auch als eine Utopie, da die Zeit hierfür, insb. bei den fehlenden Grundlagen, zu gering ist.

Jadon Sancho und Ian Maatsen hinegegen werden definitiv eine Verstärkung sein und mit Ihren individuellen Fähigkeiten Weiterhelfen. Sancho ist neben Jamie Bynoe-Gittens der einzige primäre Flügelspieler im Kader und bringt mit seiner Rolle als Kreativspieler eine Fähigkeit mit, die der BVB, insb. für den Ansatz von Terzic zu selten hat. Im Winter einen Spieler auszuleihen, der direkt der Spieler mit der höchsten individuellen Qualität ist, hilft jeder Mannschaft weiter. Bei Maatsen verhält es sich ähnlich. Er ist direkt der beste Spieler in der zweiten Linie und wird dem Spielaufbau, der immer wieder auf die Außenverteidiger gelenkt wird, sofort helfen.

Auf diese Weise geht man zwar nicht die Grundprobleme der Hinrunde an, was in einer Winterpause auch schwer ist, aber immerhin kaschiert man diese durch besseres Personal zunehmend. Spielerisch und Taktisch wird der BVB daher in der Rückrunde voraussichtlich kein anderes Bild abgeben, allerdings durch die zugewonnenen individuellen Fähigkeiten zumindest etwas besser aussehen.

Geschrieben von Andre Thomee

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