Vorbericht zum CL-Achtelfinale des BVB gegen den FC Chelsea Blue is the Sündenfall
Seit 20 Jahren ist der FC Chelsea ein wichtiger, aber kein gern gesehener Teil meines Fußballlebens. Und das, obwohl er in dieser Zeit nicht einmal auf den BVB getroffen ist. Der Vorbericht zum Achtelfinalhinspiel.
Zu Beginn meiner fußballerischen Sozialisation spielte Chelsea keine Rolle. Anfang der 90er stand zunächst die Bundesliga im Zentrum meines Interesses. Und als dann, spätestens durch die internationalen Auftritte des BVB, mein Blick Richtung Europa wanderte, waren es eher Ajax, Juve und der doppelte Gruppengegner Steaua Bukarest, die in meinem Gedächtnis blieben.
Chelsea London lief
mir genau genommen nur zweimal über den Weg. Ende 1996 las ich in der Zeitung vom Wechsel eines
gewissen Gianfranco Zola vom AC Parma zum FC Chelsea. Der Name war mir
kurz vorher schon einmal begegnet, scheiterte dieser Spieler doch im
EM-Gruppenspiel gegen Deutschland mit einem Elfmeter an Köpke. Nach
dieser eher kurzen Anekdote begegnete Chelsea mir dann noch einmal
1998, als sie den VfB Stuttgart im Finale des Europapokals der
Pokalsieger mit 1:0 besiegten.
Um es also auf den Punkt zu bringen: Chelsea ging mir ziemlich am Allerwertesten vorbei.
Bis im Jahr 2003 eine Meldung die Runde machte: Der Russe Abramowitsch (der aufgrund seiner Staatsangehörigkeiten übrigens zudem als reichster Israeli und als reichster Portugiese gilt) kaufte den Chelsea FC. Abramowitsch hatte ein Fußballspiel gesehen, es hatte ihm gefallen und er hatte entschieden, dass er gerne einen Fußballklub besitzen will. Dass die Wahl auf Chelsea fiel, war nicht der Sympathie geschuldet, der Londoner Klub war hochverschuldet und dementsprechend ein Schnäppchen.
Abramowitsch war der erste ausländische Investor, der direkt in der Premier League einstieg und dementsprechend schlug sein Engagement hohe Wellen. Zwar hatte bereits 1997 der Multimillionär Mohamed Al-Fayed den damaligen Drittligisten FC Fulham gekauft und mit viel Geld in die Premier League gehievt, doch die Revolution, die den englischen Fußball im 21. Jahrhundert heimsuchte, begann mit dem Sündenfall des FC Chelsea.
Und plötzlich ging mir der FC Chelsea nicht mehr am Allerwertesten vorbei. Zunächst einmal teilte ich die geäußerten Bedenken vieler, dass Investoren mit einem sportlich fairen Wettbewerb nicht viel zu tun hatte. Erschwerend kam hinzu, dass ich mich in der Zeit plötzlich viel mehr mit finanziellen Dingen rund um den Fußball beschäftigen musste, als mir lieb war. Die Herren Niebaum und Meier hatten meinen geliebten BVB finanziell quasi zugrunde gerichtet und plötzlich war ein windiger Investor namens Florian Homm die letzte Rettung. Und als wäre das noch nicht genug, las ich 2005 diesen Text auf schwatzgelb.de, in dem ein Investor die 80-jährige Geschichte der Salzburger Austria ausradierte.
Die Vorstellung, dass meine geliebte schwarzgelbe Borussia irgendwann als FC Coca-Cola Dortmund in rot-weiß spielen könnte, löste in mir, auch wenn mir klar war, dass so etwas in Deutschland nicht so einfach möglich war, eine tiefe Abneigung gegen Fußballvereine im Besitz von Investoren im Allgemeinen und den FC Chelsea im Speziellen, der für mich der Vorreiter in diesem Bereich war.
Der Name FC Chelsea war also ab sofort in meinem Kopf negativ verknüpft und der Blick auf die englischen Ergebnisse war schöner, wenn eine Niederlage der Blauen vermerkt war. (Dies galt analog übrigens auch für Deutschland und in beiden Ländern traten diese Ereignisse zu dieser Zeit deutlich seltener ein, als mir lieb war.)
National stellte sich der Erfolg für Chelsea sehr schnell ein und 2005 konnte man den ersten Meistertitel seit 50 Jahren feiern. International blieb der große Wurf jedoch aus, größter Erfolg war der Einzug ins Champions League-Finale 2008, wo man, zu meiner Zufriedenheit, Manchester United unterlag.
Noch etwas schöner wurde es 2009, als Schiedsrichter Øvrebø Chelsea im Halbfinal-Rückspiel in der Nachspielzeit den fälligen Handelfmeter zum Einzug ins Finale verweigerte. Die Bilder des (zurecht) protestierenden Ballacks, den ich allein aufgrund seiner Vereinshistorie nicht leiden konnte, gaben mir das seltsame Gerechtigkeits-gefühl, dass auch viel Geld nicht vor beschissenen Schiedsrichterleistungen schützt.
In den folgenden Jahren verlor ich dann Chelsea etwas aus den Augen. Verantwortlich dafür war nicht, dass mittlerweile immer mehr Premier League-Vereine sich an Investoren verkauften und auch in Deutschland mit der TSG Hoffenheim ein neues Feindbild auf dem Radar erschienen war, sondern ein deutlich erfreulicherer Grund. Die sensationellen Leistungen meines BVB lenkten meinen Fokus auf die Bundesliga. International schien eh der FC Barcelona das Maß aller Dinge zu sein, so dass der Gewinn der Champions League für den Abramowitsch-Klub außer Reichweite zu sein schien.
Doch dann saß ich am 24.04.2012 vor dem Fernseher und musste ansehen, wie der hochfavorisierte FC Barcelona im Halbfinale der Champions League, trotz drückender Überlegenheit, zu Hause gegen die Londoner rausflog. Und als wäre das nicht schlimm genug, folgte am Tag danach der mir tief verhasste FC Bayern ins Finale.
Es trat das ein, was ich mir jahrelang nicht vorstellen konnte: Ich drückte in einem CL-Finale dem Klub die Daumen, der die Büchse der Pandora in der Premier League geöffnet hatte: dem FC Chelsea.
Es mag inkonsequent gewesen sein, aber ich wollte mir nicht, eine Woche nach unserem großartigen Sieg über die Bayern im DFB-Pokalfinale, von den mir leider in viel zu großer Zahl bekannten Bayernfans (Chelseafans kenne ich tatsächlich keinen einzigen) anhören müssen, dass sie ja das „Finale dahoam“ gewonnen hätten, das wäre ja viel großartiger als das Double dieser regionalen Sache. Ich wollte die Bayern weinen sehen und, was soll ich sagen, mir wurde mein Wille mehr als erfüllt. Für einen kurzen Moment also, war mir der FC Chelsea durchaus sympathisch. Und im Anschluss an das Finale dann auch eher gleichgültig. Das Investorenrennen geriet nicht nur in England immer weiter außer Kontrolle und mit Manchester City und Paris SG hielt ein neuer Begriff Einzug: Sportswashing. Staatsfonds von mäßig sympathischen Staaten nutzen den Fußball, um ihr eigenes Image aufzupolieren. Eine Grundhaltung gegen die Abramowitschs „Ich find’ Fußball geil, habe Geld, also kauf ich mir einen Verein.“ fast schon harmlos-arrogant erscheint. Außerdem galt es ja nun auch vor der eigenen Tür zu kehren, hatte doch in Deutschland mittlerweile der Konzern, der Austria Salzburg eliminierte, sich einen Verein gekauft und mit viel Geld in die Bundesliga getrickst.
Die folgenden Europa League-Siege der Blues gingen mir also wieder am Allerwertesten vorbei. Ich lernte durch Zufall die Vereinshymne der Londoner „Blue is the colour“ kennen und fand sie eigentlich ganz cool. Lediglich beim Amtsantritt eines gewissen Thomas Tuchel ging mir wieder durch den Kopf, dass ein unsympathischer Mensch ja auch irgendwie zu einem unsympathischen Verein passt.
Der folgende Titel der Londoner in der Champions League löste bei mir, auch coronabedingt, wenig Emotionen aus, verhinderte es doch immerhin den ersten Titel für Manchester City und verhalf dem BVB in den zweiten Lostopf bei der Champions League.
So richtig wurde mein Interesse für Chelsea erst in dieser Saison wieder geweckt. Nach dem Rückzug von Abramowitsch, bedingt durch den russischen Angriffskrieg, übernahmen amerikanische Investoren den Verein und brachten offenbar viel Geld mit. Die Londoner investierten in dieser Saison mehr als die gesamte Bundesliga (600 Millionen Euro zu 550 Millionen Euro) und in der Winterpause (330 Millionen Euro) sogar mehr als Serie A, Primera Division, Ligue 1 und Bundesliga zusammen. Auffällig dabei waren die langen Vertragslaufzeiten bis zu 8,5 Jahren, die dazu dienen, die immensen Ablösesummen auf einen langen Zeitraum zu strecken, um zumindest dem Anschein nach, die Finanzvorgaben einzuhalten. (Interessierten sei hier zum Thema der hervorragende Sport inside-Podcast des WDR empfohlen. Nicht Interessierten auch.) Chelsea dehnt die geltenden Finanzregeln bis an die Grenzen der Belastbarkeit, so dass UEFA und FIFA derzeit Regeländerungen planen, um diesem Vorgehen ein Riegel vorzuschieben. Ein Vorgehen, das in London übrigens Tradition hat. Bereits 1910 sorgte man dafür, dass die Football League feste Transferfenster einführte, nach dem man im Abstiegskampf kurz vor Saisonende mehrere Spieler verpflichtete.
Die derzeitige Transferstrategie ist eine gigantische Wette auf die
Zukunft, auch bedingt durch die schlechte tabellarische Situation des
FC Chelsea. Also geht man derzeit All-In und hofft, dass die
Neuzugänge die Qualifikation für die Champions League dauerhaft
sicherstellen. Bei 10 Punkten Rückstand auf die Champions
League-Plätze ist eine Qualifikation über die Liga zumindest in
dieser Saison nahezu aussichtslos, Warum also nicht alles drauf
setzen, die Champions League zu gewinnen? Dass dieser Plan jetzt
nicht der allerbeste ist, weiß keiner besser als wir. Ausgehend von
den letzten dürftigen Leistungen der Londoner in der Liga (1:1 in
West Ham, 0:0 in Fulham), spricht derzeit viel dafür, dass dieser
Plan schiefgeht. Die nächsten Jahre an der Stamford Bridge
versprechen spannend zu werden.
Und so begleitet
mich der FC Chelsea seit 20 Jahren und das tatsächlich, ohne in
dieser Zeit einmal sportlich auf den BVB zu treffen. Ein Umstand der
sich nun ändert.
Natürlich ist der FC Chelsea nicht die Wurzel allen Übels. Und natürlich wären wir heute investorenmäßig vermutlich an der gleichen Stelle, wenn Chelsea sich damals nicht an Abramowitsch verkauft hätte. Und erst Recht natürlich ist der FC Chelsea ein traditionsreicher Klub, der nicht nur auf die letzten 20 Jahre reduziert werden darf. Ich mag ihn trotzdem nicht. Und habe nichts dagegen, wenn wir für Chelsea zumindest ein bisschen das sind, was Energie Cottbus mal für uns war: Eine verdammt böse Überraschung.
YOU’RE SHIT AND YOU KNOW YOU ARE!