Vlogger in der Kritik Stadionerlebnis im Querformat
Stadion-Vlogger schießen wie Pilze aus dem Boden und bringen die Stadionatmosphere auf die Smartphones der Republik. "Stadionerlebnis für jede*n", so würden die Vlogger sicher ihren Content beschreiben. Einige Fans, allen voran die organisierte Fanszene, stört sich jedoch an den Influencer*innen und auch eine Recherche von ZAPP erhebt Vorwürfe.
Was sind Stadion-Vlogger?
Zunächst möchte ich einmal alle auf einen Stand bringen, was es mit den Stadion-Vlogs auf sich hat. Wer das Phänomen kennt, kann diesen Teil überspringen.
Vlogs sind Videotagebücher von Influencer*innen, die ihre Zuschauer*innen mitnehmen, wenn es zu besonderen Ereignisse geht. Häufig werden diese rund um (exklusive) Veranstaltungen gedreht, bei denen die Influencer*innen Zutritt haben und in einer sehr subjektiven Art und Weise von dort berichten. DIese Videos bestehen häufig aus POV-Aufnahmen ("Point of View"), die im Zeitraffer und mit Musik unterlegt einen schnellen Einblick geben sollen, was die Person dort gesehen hat. Zum anderen gibt es die typischen Facecams (Gesichtsaufnahmen), in denen die Infulencer*innen erzählen, was gerade passiert oder passiert ist. Generell kann man sagen, dass die Videos mit extremen Emotionen arbeiten, insbesondere der "Überraschung". Selten kommt ein Video ohne ein "Oh mein Gott!" aus.
Deshalb eignet sich der Stadionbesuch wohl auch besonders gut für diese Art von Content, denn im Fußballstadion sind Emotionen der wohl wichtigste Faktor in puncto Atmosphäre und es passieren regelmäßig überraschende Dinge. Ein Leichtes also den Stadion-Vlog clickbaitmäßig mit einem "OMG"-überraschtes Gesicht-im Hintergrund Foto der Kurve-Thumbnail (Vorschaubild) auszustatten.
Was ist der Reiz?
Deutschlandweit und inzwischen auch weltweit haben Vereine wie der BVB massenhaft Anhänger*innen. Die Zahl ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. In Westfalenstadion passen trotzdem immernoch "nur" 81.365 Zuschauer*innen. Im Umkehrschluss heißt das: nicht alle Menschen, die wollen, können auch ins Stadion. Das Kontingent ist begrenzt. Auch können sich nicht alle die manchmal verfügbaren teuren Karten leisten. Ein Stadionbesuch ist damit ein Privileg und man sollte sich dessen bewusst sein, bevor man Menschen kritisiert, die die Stadionatmosphäre für andere Menschen einfangen und diese auf's Smartphone bringen.
Das Wachstum dieser Vloggerszene ist grundsätzlich erstmal ein Indiz dafür, dass das Erlebnis "Stadion", nach wie vor Leute fasziniert und begeistert. Das sind verdammt gute Nachrichten, vor allem für die Vereine, denen sicher noch die zunächst zaghafte Stadionrückkehr nach Corona im Gedächtnis ist. Das Publikum der Vlogger, vor allem junge Menschen, können durch diese Videos dem Stadion näher sein oder ein einmaliges Erlebnis nochmal nachempfinden. Das ist absolut okay und wir alle, die unseren Verein lieben, sollten dafür Verständnis haben. Als Kind oder Jugendlicher, ohne regelmäßigen Zugang zum WS, hätte ich diese Videos sicher auch tonnenweise geschaut.
Und auch ich gestehe heutzutage mal ab und zu einen Blick in Stadion-Vlogs zu werfen. Ob es eine magische Championsleague-Nacht im Westfalenstadion ist, die ich nochmal reveu passieren lassen möchte oder mich am Leiden des blauen Youtubers und Streamers Broski (aká Gamerbrother) erfreuen möchte, während GE die nächste Packung Richtung Abstieg bekommt. Es sind nicht die informativsten Videos, aber sie bringen einem ein wenig Emotion ins Leben.
Wo liegt die Kritik?
Stadion-Vlogger entwickeln sich inzwischen aber stärker zu einer echten Pest. Waren es früher "besondere" Spiele, wie Championsleague oder Derby, gibt es nun jedes Wochenende Vlogs aus allen Stadien der Republik. Die Probleme, die damit kommen, werden für viele Fans im Stadion, aber auch außerhalb spürbar.
Was stört nun also?
Kritikpunkt Nummer 1 ist die Selbstinzinierung der Influencer*innen. Via Facecam (die Fans im Hintergrund sind komplett erkennbar und nicht immer scheinen die das so richtig geil zu finden) wird das Spiel kommentiert und es werden komplett übertriebene Emotionen gemimt. Aus allem wird eine Sensation gemacht. Der Ball fliegt meilenweit über das Tor? Trotzdem ausrasten. Eine Grätsche trifft den Gegenspieler? Sowas hab ich noch nicht gesehen! Man kennt dieses Verhalten vielleicht aus diversen Reaction-Videos auf YouTube. Je krasser die Reaktion, desto besser der Clip. Das führt zu der bescheuerten Situation, dass wenn Tore fallen erst gejubelt wird, wenn das Smartphone gegriffen ist. Diese "Dreharbeiten" und die "Schauspielerei" stören umliegende Fans und sorgen auch dafür, dass das Stadionerlebnis verfälscht wird, denn "authentisch" ist das alles nicht mehr.
Ein weiterer Kritikpunkt der sich aus Punkt 1 ergibt: kein Support. Wer 90 Minuten das Handy aufs Spielfeld hält (zu der Thematik kommen wir noch), um ja bloß nix zu verpassen oder sich selber beim Reden filmt, der kann nicht supporten. Die Influencer schmücken ihre Videos zwar gerne mit Choreos, Fangesängen und guter Stimmung, aber tragen nichts selber dazu bei. "Handys aus dem Block" ist denke ich allen ein Begriff. Es spricht nichts dagegen mal ein Foto oder ein Video von der Stimmung zu machen. Aber hierbei geht es nicht um private Erinnerungen, sondern um Klicks. Und da muss jede Szene sitzen und nichts darf verpasst werden. Also Support: Fehlanzeige.
Mit dem Wachstum der Vlogger-Szene im Stadion wird die Kritik lauter, dass die eh schon raren Plätze im Stadion, nicht mehr an Fans gehen sondern immer öfter an eben diese Vlogger, die oft nicht einmal Fan des jeweiligen Klubs sind. Klar kann ich tausenden ein bisschen Stadion nach Hause bringen, aber vielleicht hätte dort auch jemand sitzen können, für den oder die der Platz im Stadion die Welt bedeutet hätte.
Vor inzwischen einiger Zeit erschienen (und ursprünglich auch Motivation diesen Text zu schreiben) ist eine Recherche des NDR-Medienmagazins ZAPP rund um die Stadion-Vloggerszene, in welchem vor allem der Frage nachgegangen wird, warum zu Hölle dürfen die im Stadioninnenraum filmen? Denn laut Stadionordnung des BVB ist es nach §10 Abs. 1 Punkt m) verboten "Fotokameras/ -apparate, Videokameras oder sonstige Ton- oder Bildaufnahmegeräte zum Zwecke der kommerziellen Nutzung oder Veröffentlichung[...]" mitzuführen. Expliziter regelt es §8 Abs. 5 "[...]Ohne Einwilligung des BVB ist es nicht gestattet, Töne, Fotos und/oder Bilder, Beschreibungen oder Resultate bzw. Daten der Veranstaltung aufzunehmen bzw. zu erheben, es sei denn, dies erfolgt ausschließlich zur privaten, nicht kommerziellen Verwendung. Jede kommerzielle Nutzung, gleich auf welche Weise und durch wen, bedarf der schriftlichen Einwilligung des BVB.[...]". Diese YouTuber verdienen in der Regel Geld mit ihrer Arbeit, daher müsste §8 Abs. 5 greifen, aber wie in der Recherche von ZAPP deutlich wird, ist es von Seiten der Vereine mindestens geduldet, dass Aufnahmen vom Stadioninnenraum und auch der Spielszenen so im Netz landen. Fazit der Recherche: Man schafft sich ein Lizenzierungsproblem, denn Andere bezahlen fettes Geld, um die Spielszenen zeigen zur dürfen und die Vlogger dürfen es scheinbar "einfach so". Außer du bist nicht groß genug, dann werden deine Videos natürlich wieder komplett weggeblockt bei YouTube & Co. Oder hat der BVB die Erlaubnis erteilt?
Beispiel: Marvinvlogt
Ein Vlogger der "nüchteren" Art ist Marvinvlogt, der auch in der Recherche von ZAPP vorkommt und auch Spiele des BVB besucht und diese filmt parallel kommentiert. Eine Absprache mit dem BVB die Szenen zeigen zu dürfen habe er nicht. Ausgestattet ist er nur mit seinem Handy und Kopfhörern. Gerne hätte ich euch ausführlicher seine Sicht der Dinge dargelegt, aber der zunächst offene Kontakt mit dem Management von Marvinvlogt brach letztlich einfach ab, ich bekam keine keine Rückmeldungen mehr und damit auch keine Antworten auf meine Fragen.
Wie steht der BVB dazu?
Was sagt denn jetzt der BVB zu der ganzen Sache? Ist man da Gegner, Dulder oder gar Förderer der ganzen Sache?
Auf Nachfrage meldet der BVB, dass er selbst mit zwei Influencern aus dem eFootball-Team zusammenarbeitet, die in unregelmäßgem Abständen Stadionvlogs für die BVB-eFootball-Kanäle und ihre privaten Kanäle produzieren. Diese stehen beim BVB unter Vertrag und man erhofft sich junge Fans für das Erlebnis Stadion zu begeistern. Man achte jedoch darauf, dass "DFL-Regularien in Bezug auf das Abfilmen von Spielszenen/Stadioninnenraum beachtet werden".
Darüber hinaus gebe es keine Kooperationen mit Stadion-Vloggern. Somit auch nicht mit Marvinvlogt. Dass es jedoch andere Vlogger, außer die eigenen, gibt, die Stadionausfnahmen machen sei dem BVB "natürlich bewusst", aber man bewerte es nicht als vollständig negativ, da es vielen Fans ein wenig Stadionatmosphäre nach Hause bringt. Bezüglich der Aufnahmen von Spielszenen durch diese Vlogger sei es jedoch "frustrierend", dass dabei Regularien der DFL missachtet werden.
Der BVB selbst lädt keine Vlogger ins Stadion ein und plant auch aktuell keine weiteren Kooperationen in diese Richtung. Man habe aber keine Handhabe, wenn es die eigenen (Werbe-)Partner tun. Es gibt diesbezüglich nur ein "Knigge" seitens des BVB, wie sich diese Influencer zu verhalten haben. "Diese Regeln wurden von den Abteilungen Marketing, Kommunikation und Fanangelegenheiten erarbeitet, mit Fanvertretern abgestimmt, juristisch geprüft und in anhängende Influencer-Guidelines gegossen". Die Weitergabe dieser "Knigge" ist jedoch nicht verpflichtend und die Partnern "können" dieses an die Influencer weitergeben.
Grundsätzlich arbeitet der BVB natürlich mit Influencern und Vloggern zusammen, beispielsweise im Bereich "Merchandising". Dabei achte man aber darauf, dass diese mit den Werten des BVB kompatibel sind. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit mit externen Influencern wird aber das Drehen von Stadionvlogs explizit ausgeschlossen.
Was bleibt?
Bei aller berechtigten Kritik müssen auch wir uns als Fans fragen, wie wollen wir Leuten entgegenkommen, die nicht ins Stadion gehen können? Prinzipiell sind die Vlogs meiner Meinung nach eine gute Möglichkeit Identifikation mit dem Verein und dem Stadion zu schaffen. Leider sind diese Stadion-Vloger selten selber Fans der Vereine, wodurch die Vlogs beliebig und oft nur auf Sensationssuche sind. Vielleicht müsste man überlegen, wie man Menschen außerhalb des Stadion Einblicke und Teile der Atmosphähre gewährt, ohne dass der Support oder der Fan drumherum leidet. Einen Mittelweg finden, zwischen Dokumentation der Leidenschaft und leben der Leidenschaft, damit wir alle an der Liebe zum Stadion teilhaben können.