Philipp Lahm kündigt Zeitenwende zur EURO 2024 an Philipp Lahm - Leider keine Satire
Im aktuellen Kicker meldet sich Philipp Lahm mit einem Gastbeitrag in seiner Rolle als Turnierdirektor der EURO 2024 zur Wort. Die dort getätigten Aussagen werfen leider nur ein zu bezeichnendes Bild auf das bizarre Selbstverständnis, das der Profifußball von sich hat.
In der aktuellen Kickerausgabe gibt es einen Gastbeitrag vom Turnierdirektor der anstehenden Europameisterschaften im Fußball, Philipp Lahm. Keine Frage, als Spieler ist Lahm hoch dekoriert und so ist es vielleicht zwangsläufig, wenn er auch als Funktionär nur die ganz großen Räder drehen möchte. Wie groß, zeigt schon der bescheiden zurückhaltende Titel „Zeit für eine Zeitenwende“.
Lahm gilt als nicht komplett doof, also wird ihm durchaus bewusst gewesen sein, dass er mit dieser Überschrift eine Parallele zur angekündigten Zeitenwende von Bundeskanzler Olaf Scholz zieht, in der es um die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik ging. Und die deutsche, ach was die europäische, Freiheit wird vermutlich in der Selbstwahrnehmung von Funktionären des DFB und der DFL auch auf dem Fußballplatz verteidigt.
Was folgt, wäre eine absolute Eins mit Sternchen, wenn es sich dabei um einen Aufsatz mit dem Thema „zeige auf einer Seite, warum der deutsche Fußball im besorgniserregenden Maße an Hybris leidet“ handeln würde. Ein paar Beispiele gefällig?
Es ist Zeit für eine Zeitenwende im deutschen Fußball. Und in der Gesellschaft. Fünf Jahre ist es her, dass Deutschland 2018 den Zuschlag für die EURO 2024 erhalten hat. […] Diese Jahre waren weltweit geprägt von extremen Veränderungen und ständiger Unruhe. Ein permanentes Umdenken war und ist gefragt.“
Das ist sicherlich richtig. Klimawandel, Fluchtbewegungen, Kriege und Naturkatastrophen. Der Blick in die täglichen Nachrichten, macht schon seit einiger Zeit nicht wirklich Spaß. Aber was hat das jetzt genau mit der EURO 2024 zu tun? Philipp Lahm erklärt es uns.
Dieses Turnier ist ein Aufruf für Solidarität und Fürsorge, sowie ein Wiedererstarken des europäischen Gedankens, um künftig besser den Krisen und Konflikten trotzen zu können.“
Ja, liebe Leute. Es geht um diesen Fußball, der schon im Tagesgeschäft daran scheitert, andere Werte als rein monetäre zu vertreten und sich in (erfolglosen) Diskussionen darüber verliert, ob man in der - natürlich alternativlosen - Zusammenarbeit mit jedem noch so schmierigen Despoten nicht auch mal ein kleines Zeichen der Solidarität setzen sollte, oder das nicht eher vom Fußball ablenkt.
Aber der Tonfall ist gesetzt und so geht es munter weiter.
Wir wollen ein Fußball-Fest der Freude feiern. Dafür braucht es jetzt neue Visionen und Ziele, noch mehr Mut und Optimismus.“
Der Punkt mit der fußballerischen Qualität wird sicherlich auch zwischendurch noch geklärt. Trust the process.
Es braucht in der Gesellschaft – wie auch im Fußball – authentische Führungspersönlichkeiten und Vorbilder, die Menschen zusammenführen und ihnen Orientierung geben.“
Herrjemine, gibt es in den Redaktionsstuben des Kickers wirklich niemanden, der den Mut hat, Philipp Lahm zu sagen, was für einen pathetischen Stumpfsinn er da verbreitet? Es geht um Fußball. Um eine Europameisterschaft. Weder löst der Fußball irgendwelche gesellschaftlichen Probleme, noch hat er auch nur annähernd eine gleichartige Relevanz. Die große Pointe setzt Lahm aber zwei Sätze später selbst:
Eine positive Grundhaltung ist gefragt. Zusammenhalt statt Selbsterhöhung.“
Diesen Satz muss man erst einmal bringen in einem Text, in dem der Fußball permanent um sich selbst salbadert und sich ungefragt ganz oben auf die Liste der wichtigsten Dinge im Leben setzt.
Wie wichtig Fußball und vor allem die Europameisterschaft sind, wird auch in kleinen Nebensätzen wie diesem dezent beiläufig zum Ausdruck gebracht:
In intensiven Gesprächen mit der Bundesregierung haben Celia Sasic und ich […]“
Die BUNDESREGIERUNG! Also, das zeigt ja wohl ganz klar, wie wichtig und staatstragend der Fußball ist. Aber natürlich soll das nicht selbsterhöhend sein. Man wollte nur mal eben erwähnt haben, dass man da auf Augenhöhe mit der Regierung arbeitet.
Am Ende des Textes, der auch genau so als meisterhafte Satire vom Postillon hätte geschrieben sein können, sitzt man mit offenem Mund da und weiß nicht genau, ob man lachen oder weinen soll. Wohl kein anderer Sport ist derart von sich selbst eingenommen, dass er sich als höhere Macht sieht, die irgendwie über den Dingen steht und als Fixpunkt für die Gesellschaft fungiert. Und bei keinem anderen Sport klaffen Selbstbildnis und Wirklichkeit derart weit auseinander.
Philipp Lahm führt dabei leider nur den Ton fort, den man auch aus Reden von Infantino und den restlichen Funktionärsknallchargen kennt und so steht zu befürchten, dass dieser Text vor allem eins ist: leider keine Satire.