Unsa Senf

Sonderzugvorfall nach BVB-Heimspiel Ein Sonderzug nach Nirgendwo

09.05.2023, 16:00 Uhr von:  janniksch
Die Eurobahn am Bahnhof Westfalenstadion

Nach dem 6:0-Erfolg unserer Borussia am vergangenen Sonntag, stieg auch unser Redakteur Jannik in den Sonderzug nach Hamm, welcher nicht weit kam und für viel Chaos sorgte. Hier schildert Jannik seine Wahrnehmung der Ereignisse und versucht eine Einordnung.

Die Chronik des Zug-Chaoses

Nach dem berauschenden 6:0-Sieg ging ich, wie viele weitere BVB-Fans, zeitnah nach Abpfiff zur Bahnstation "Westfalenstadion" (eigentlich "S-I-Park", ihr wisst schon), um den Sonderzug nach Hamm zu erwischen.

Es war voll am Gleis, sehr voll sogar. Aber es ist immer voll, sodass ich mir keine großen Gedanken bezüglich der Fülle des Sonderzuges nach Hamm machte. Dieser fuhr laut Plan von Gleis 2 um 20:01 Uhr. Ich warte die Zeit ab, bis der Zug pünktlich einfuhr. Großes Gedränge an den Eingangstüren, man kennt es. Der Zug füllte sich nach und nach, bis wir wie die Sardinen in der Dose Mann an Frau und umgekehrt standen und nach dem obligatorischen Quetschen bis die Tür zugeht, sogar recht pünktlich losfuhren. Die Stimmung war so ausgelassen, wie sie nach einem 6:0-Heimsieg nunmal ist. Der Zug kroch mit 10 km/h aus der Bahnstation bis sich mein erstes Lowlight ereignete: etwa 1,5 Meter von mir entfernt, zwischen vielen anderen Menschen, übergab sich ein Fan auf den Zugboden. Ob dies schon mit der schlechten Luft oder mit übermäßigem Alkoholkonsum zu tun hatte (vermutlich beides), vermag ich letztlich nicht zu beurteilen. Die Reaktionen aller Umstehenden war entsprechend: Platz machen. Das Gedränke wurde größer und der "Platz", den man hatte, noch knapper.

Nach schätzungsweise 500 Metern hielt der Zug plötzlich an. Das ist mir bei Sonderzügen schon öfter passiert, da diese in den regulären Zugverkehr eingeschoben werden und deswegen immer warten müssen, wenn andere Züge Vorrang haben. Es kam auch keine Durchsage, sodass ich fest von diesem Grund für den Stillstand ausging.

Die Luft wurde zunehmend schlechter. Es gab keine wirkliche Belüftung, der Eurobahn-Zug hat nur kleine Fenster, die sich entweder gar nicht öffnen lassen, und selbst wenn sie sich öffnen lassen, im Stehen sowieso praktisch keinen Effekt für die langen Zugwaggons haben. Die Fenster beschlugen und ein paar noch gut gelaunte Fans spielten Tic-Tac-Toe an der Scheibe.

Nach 10 Minuten Stillstand ohne Info und dezentem Kotzegeruch in der Luft, wurden die ersten Fans unruhig und brüllten Ihren Frust durch den Zug. Auch ich merkte eine Unruhe in mir, denn die Luft wurde stetig schlechter, der Schweiß lief nur so und der Platz war durch den Kotze-Vorfall erheblich geschrumpft. Ich bin ein normal großer Mann, regelmäßiger Konzert- und Festivalgänger, stehe auf der Süd und bin zudem ab und zu auch Saunagänger, sodass ich mit Gedränge und heißer feuchter Luft eigentlich gut klar komme. Andere können das nicht von sich behaupten. Besonders Frauen oder Kinder schien es zunehmend schlechter zugehen.

Nach rund 15 Minuten war es plötzlich jemanden zu viel und der Notschalter zum Öffnen der Tür wurde aufgezogen. Viele waren wütend darüber, denn dadurch konnte sich die Weiterfahrt ja nochmal verzögern. Nach ein paar Minuten wurde die Tür wieder geschlossen, aber wir standen weiter doof im Nirgendwo herum. Die Stimmung kippte nach 20 Minuten dann endgültig (es gab wohl weiteres Erbrechen) und eine Diskussion brach aus. Menschen brüllten wütend in die Zugkameras und einige wollten die Türen wieder öffnen. Nach 30 Minuten wurde die Tür erneut geöffnet und die ersten Fans verließen den Zug und sprangen ins Gleisbett. Ab da war mir klar, dass hier niemand mehr irgendwo hinfährt, sodass ich mich auch entschied den Zug zu verlassen. Bis dato gab es nicht eine einzige Durchsage im Zug.

Im Gleisbett machten Geschichten von kollabierten Personen weiter vorne im Zug die Runde und nun würden Krankenwagen kommen.

Da standen wir also, irgendwo zwischen dem Westfalenstadion und Dortmund in der Pampa. Viele gingen den bewaldeten Hang hoch, Richtung Straße und da ich keine Ahnung hatte, was ich sonst machen sollte, ging ich hinterher. Es gab auch draußen keine Informationen, wie es nun weitergeht.

Mit Navi in der Hand ging ich zur nächstgelegen U-Bahnstation "Westfalenpark", fuhr von dort zum Hauptbahnhof und dann von dort aus nach Hause. Auf dem Weg zur U-Bahn sah ich mindestens drei Krankenwagen, sowie diverse Feuerwehr- und Polizeiautos mit Blaulicht Richtung Zug fahren.

Vermeidbares Chaos?

Der größte Kritikpunkt war von vornherein die Kommunikation. Es gab schlichtweg keine Informationen, was los ist, ob und wann es weitergeht. Das erzeugte selbst bei mir als "bahnerfahrenen" Menschen eine gehörige Portion Frust. Letztlich soll wohl eine Türstörung den Halt verusacht haben.

Auch das wäre vermeidbar gewesen, hätte man mehr Waggons oder Züge eingesetzt. Kann man schon mit rechnen, dass Sonntagabends viele Leute schnell nach Hause wollen. Aber das ist eine andere Problematik.

Menschen über 30 Minuten lang eng gedrängt, in schlechter Luft und ohne Informationen irgendwo im Nirgendwo stehen zu lassen sorgt natürlich für Unruhe, bis hin zur kleineren Panik. Da muss man kein Psychologe für sein, um zu wissen, dass das ne dumme Idee ist.

Man hätte das Chaos letztlich durch transparente Kommunikation und regelmäßige Updates vermeiden können. Dann wären alle sicher von Feuerwehr und Polizei evakuiert worden.

Und zum Schluss: setzt endlich mal mehr Züge ein!! Selbst wenn der Zug fährt, ist es schon kaum erträglich mit dem Gedränge. Muss immer erst was passieren, bis man was tut?

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