DFB-Pokal Ein Plädoyer gegen den VAR
Die ersten beiden Runden im DFB-Pokal haben es gezeigt: Das Spiel ist ohne den Video-Schiedsrichterassistenten ein anderes - und besseres
Die ersten beiden Runden der DFB-Pokalrunde waren ein wahrer Genuss. Nicht allein, weil unsere Borussia beide Spiele gewonnen hat, oder weil mit Bayern und Leipzig die beiden wohl größten Konkurrenten ausgeschieden sind – und Saarbrücken so ganz nebenbei die wohl größte Pokalsensation seit Vestenbergsgreuth geschafft hat. Nein, die Spiele waren so toll anzusehen, weil diese Pokalrunden so viele Spiele zeitgleich aufbieten, dass es nicht möglich ist, den vermaledeiten VAR-Keller in Köln zu besetzen und die Spiele einzig und allein dort entschieden werden, wo sie stattfinden: Im Stadion.
Diese Spiele zeigen schmerzlich, welche Wucht und Präsenz der Fußball ohne den Video-Assistent-Referee vor seiner Einführung hatte. Sicherlich, es gab immer wieder Situationen, die von Schiedsrichtern falsch bewertet wurden und jeder Fan hat sich schon massiv über „den Blinden mit der Pfeife“ aufgeregt, aber erst jetzt, wo es fehlt, wird wirklich klar, was wir hatten. Wahrhaftigkeit.
Der Angriff rollt und man weiß genau, so lange man keinen Pfiff hört, ist er wichtig. Gleich wird etwas passieren. Eine Chance, ein Torschuss, ein Tor oder auch ein jämmerlicher Ballverlust. Irgendwas. Aber egal was passiert, es passiert eben. Die Handlung auf dem Rasen hat Bestand und das Resultat dieser Handlung wird unweigerlich zu purer Freude oder Ärger führen. Aber direkt, intensiv und vor allem: endgültig.
Der Fußball mit dem VAR ist nur ein verblasstes Abbild des Spiels, das wir jetzt im Pokal wieder genießen durften. Der Keller in Köln nimmt dem Fußball ein deutliches Stück seiner Direktheit und Wahrhaftigkeit, indem er jede Spielsituation unter Vorbehalt stellt. Die Dinge passieren nicht mehr, wenn sie passieren, sondern erst, wenn sie die nachgelagerte Kontrollinstanz erfolgreich passiert haben. Dabei geht es nicht einmal in erster Linie um die großen Emotionen, wie den Torjubel, die nur noch gedämpft erfolgen, sondern um das Spiel an sich. Man kann sich einfach nicht mehr sicher sein, ob das Spiel, das man da gerade in Echtzeit verfolgt, auch das Spiel ist, das wirklich passiert. Dem Spielverlauf wird eine weitere Dimension hinzugefügt, die die ursprüngliche Dimension aufheben kann – und der Fan ist irgendwie gefangen zwischen diesen beiden Dimensionen, schaut immer wieder zweifelnd zum Schiedsrichter und versucht zu entschlüsseln, welche dieser beiden Dimensionen jetzt die wahrhaftige ist.
In früheren Zeiten hieß es immer, dass ein Schiedsrichter gerade dann gut ist, wenn man seine Anwesenheit gar nicht bemerkt. Die Einführung des VAR hat aber genau das Gegenteil bewirkt. Der Schiedsrichter und sein Team werden viel stärker in den Fokus gerückt und vom Spielleiter zum Spielveränderer. Gottgleich ist ein großes Wort, aber in diesen 90 Minuten haben sie tatsächlich im gewissen Sinne die Allmacht, die Zeit zurück zu drehen, Dinge ungeschehen zu machen oder sie zu verändern. Sie können aus einem Tor für Team A einen Elfmeter für Team B machen. Der Schiri ist nicht mehr dann gut, wenn er das Spiel möglichst unauffällig leitet, sondern wenn er die richtigen Entscheidungen über seinen Verlauf trifft. Ein massiver Paradigmenwechsel.
An diesem Punkt kann auch keine Stellschraube etwas ändern. Egal, ob man den Funkverkehr mitzeichnet, die Eingriffsschwelle für den VAR skaliert oder die Schiedsrichter besser schult – was auf jedem Fall dringend notwendig wäre – das Schiedsrichterteam würde immer seine gestaltende und eingreifende Funktion haben.
Der Pokal zeigt in seinen ersten beiden Runden, wie tiefgreifend der Eingriff in das Spiel, die Einführung des VAR wirklich war. Der Kontrast zu den Ligaspielen ist enorm. Nur ohne VAR ist der Fußball wirklich real und greifbar. Weil er da ist, wo er sein soll: auf dem Rasen.