Borussia Dortmund gegen den SC Freiburg Drei Ecken eine Gelbe
Vor dem Spiel sprach eigentlich alles dafür, dass wir heute eine höchst souveräne und deutlich verdiente Niederlage einfahren würden. Nach dem Spiel jedoch steht einer der schönsten Fußballtage der letzten Jahre zu Buche. Doch der Reihe nach.
Es scheint vielleicht absurd, dass ich vor dem Spiel von einer klaren Niederlage ausgegangen bin, sprachen doch alle Statistiken klar für den BVB. Allerdings bin ich mittlerweile schon lange genug Fan um zu wissen, dass die wichtigste Statistik beim BVB meistens die ist: je sicherer ein Sieg ist, umso unwahrscheinlicher ist er. Haben wir erst mal angefangen daran zu glauben, dass tatsächlich was möglich sein könnte, dann kommt der berühmte Einbruch und alle Hoffnung ist wieder dahin. Dazu kommt noch, dass ich fast Geburtstag habe - und um meinen Geburtstag herum gewinnt der BVB so gut wie nie. Eine klare Niederlage würde es also werden, unter dieser Prämisse fuhr ich zum Stadion.
Ich war dann auch relativ spät da und musste mich beeilen, was absurderweise dazu führte, dass ich sehr früh im Block war und die letzte halbe Stunde war es tatsächlich schon sehr eng. Sehr, sehr eng. Als ob doppelt so viele Leute da waren wie sonst. „Schau an, sobald wir öfter gewinnen, sind plötzlich alle wieder hier“, sagte die zynische Stimme in meinem Kopf nicht ganz ernsthaft. Als die endlos scheinenden Minuten bis zum Anpfiff dann endlich durch waren, war die Langeweile allerdings vorbei. Außer für Kobel, der hoffentlich was zum Lesen mitgenommen hatte.
Der BVB der ersten paar Minuten wusste durchaus zu gefallen und so war auch die Stimmung von Anfang an gut. Direkt nach der dritten Strophe von Heja BVB, stimmte der Vorsänger „Borussia Dortmund, du bist unsere Droge“ an, was alleine schon deshalb unterhaltsam ist, weil der gesamte obere Block 13 dann in wilde Pöbeleien verfällt. Danach ging es etwas harmonischer weiter. Zumindest auf der Tribüne.
Auf dem Platz kam die erste erwähnenswerte Szene nach einer Viertelstunde, als Adeyemi seinem Gegenspieler davonsprintete und dieser zum dritten Mal in fünf Minuten zum gleichen Foul griff. Nach der Verwarnung und der gelben Karte, folgte die gelb-rote auf den Fuß. Dumm ist noch nett gesagt, auch wenn der Platzverweis sicherlich hart war. „Wer schon gelb hat und so rein geht, kann nur wichtige Termine haben“, hat Dahlmann mal bei einer WM kommentiert. In diesem Fall müsste der Satz heißen: „Wer schon gelb hat und weiß, wie dieser Schiri pfeift, kann nur wichtige Termine haben.“ Der werte Herr in schwarz hatte die Karten so locker sitzen, wie die Amerikaner im mittleren Westen ihre Waffen. Wilde Spekulationen darüber, weshalb das so war („so hat er gestern im Puff die Scheine verteilt“, „vielleicht ist er frustriert, weil seine Frau weggelaufen ist“, „vielleicht ist seine Frau weggelaufen, weil er gestern im Puff war“), blieben unbestätigt. Der Freiburger jedenfalls wurde vom Stadion winkend und mit „Auf Wiedersehen!“ Rufen nach draußen begleitet und Streich gab an der Seitenlinie das Hampelmännchen. Nicht zum letzten Mal.
An dieser Stelle möchte ich auch Emre Can lobend erwähnen. Dass er es bei diesem Schiri geschafft hat, auf dem Platz zu bleiben, ist aller Ehren wert! (Und auch sonst war die gesamte Defensive heute sehr stabil.)
Der Ton war damit natürlich gesetzt, denn schon mit 11 gegen 11 hatte der BVB klare Vorteile gehabt, nun wurde es noch eindeutiger. Zumindest vorerst. Auch Süle, der im Gegensatz zu Kobel definitiv nichts zu lesen dabei hatte, stürmte wohl aus Langeweile immer wieder mit nach vorne und hatte auch mindestens zwei sehr gute Chancen. Das Tor schoss dann aber der andere Verteidiger. Eine Ecke (am Ende standen in der Statistik 14:0 - oder anders gesagt 4 2/3 Elfer) brachte den BVB in Führung. Es war kein klassisches Eckentor, denn die erste - ziemlich miese - Hereingabe wurde geklärt. An der Torauslinie erwischte Schlotterbeck den Ball und schoss ihn aus einem Winkel ins Tor, den es in keinem Mathebuch gibt. Auf der Tribüne gab es nach dem Jubel vor allem ungläubiges „Hä? Wer, wie und wieso war dieser Ball drin?“ Egal - mehr als verdient! Die Stimmung war zu diesem Zeitpunkt wirklich gut, so dass sogar mein absolutes Nichtlieblingslied „Wir lieben Borussia Dortmund“ funktionierte.
Auffällig war, dass vor allem auf der rechten Seite immer wieder sehr viel Platz war. Ein einsamer Wolf wusste dies des Öfteren gut zu nutzen, allerdings leider selten mit einem richtigen Ergebnis.
Langsam begann das Spiel aber deutlich an Fahrt zu verlieren und auf dem Platz und auf den Rängen machte sich Langeweile breit. Immer seltener glückten die Dortmunder Angriffe, immer seltener hielten sich die Gesänge für mehr als einen Durchgang, man machte sich bereit für die Pause. Alles hätte in Ordnung sein können, wenn da nicht der obligatorische Totalausfall der Defensive (und damit meine ich ausdrücklich die gesamte Mannschaft) gewesen wäre. Mit dem gefühlt ersten und statistisch zweiten Torschuss erzielten die Freiburger kurz vor der Halbzeit den Ausgleich. Statt zufrieden und etwas gelangweilt ging es genervt und etwas frustriert in die Pause.
Doch zum Glück hat der Fußballgott ja die zweite Halbzeit erschaffen. Hoch motiviert kamen Mannschaft und Publikum zurück und diesmal war man dabei auch effektiver. Innerhalb von wenigen Minuten klingelte es im Freiburger Kasten. Das erste Tor der zweiten Hälfte schoss Adeyemi, der somit irgendwie verantwortlich war dafür, dass der BVB das Spiel gewinnen würde (und sei es einfach nur deswegen, weil er unglaublich schnell ist - Bundesligarekord - und seinen Gegenspieler daher nach einer Viertelstunde unter die Dusche schickte). Es folgte kurz danach eine Chance von Reus, die etwas von „den hätte meine Oma auch gemacht“ hatte. Nur dass Reus nicht meine Oma ist. Aber Hauptsache du bist wieder da! Und ganz ehrlich, Marco, meine Oma hätte den auch nicht gemacht. Das Publikum vergnügte sich derweilen mit einem langen und intensiven „Unser ganzes Leben“, das jäh vom nächsten Tor unterbrochen wurde. Das 3:1 war die Entscheidung und der emotionalste Moment des Tages. Das erste Profitor für Haller im Trikot des BVB am Weltkrebstag. Viel symboltriefender könnte man die Geschichte auch nicht schreiben, wenn man sie erfinden würde. Man merkte sehr gut, wie auch das Stadion emotional mitgenommen war und so war das dreifache „Haller“ das lauteste, was die Tribünen an diesem Tag geliefert haben. Völlig aufrichtig. Völlig zurecht.
Der Rest war Schaulaufen auf dem Platz und Feierei auf den Rängen. Zuerst noch langsam angefangen mit „Supergirl“, „Lotusblume“ und dem BVB-Walzer, die alle drei normalerweise angeben, dass das Spiel entschieden ist und den ein oder anderen auch schon mal dazu bewegen, den Weg nachhause anzutreten, war es diesmal noch nicht mal die 60. Minute. Und keiner wollte nachhause! Es war einfach zu schön.
Als nächstes war Julian Brandt an der Reihe. Brandt brandte, wie nur Brandt brandten kann. Immer auf der schmalen Linie zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen Traumtor und leichtem Trab, den Zuschauer zwischen schierer Verzweiflung und dem Wunsch, seine Fussballkünste zu heiraten. Dass er mittlerweile auch tatsächlich Zweikämpfe führt, sprintet und grundsätzlich motiviert scheint, macht ihn zu einem der besten Spieler, der momentan im Trikot vom BVB aufläuft. Und in der Bundesliga insgesamt. Das Tor jedenfalls war dem Genie entsprungen. Einfach nur wunderschön.
Jetzt hielt es niemanden mehr. Der letzte Rest Schamgefühl wurde über das Tribünendach geworfen, „Wer wird deutscher Meister“ angestimmt und das ganze Stadion hüpfte mit. Auch auf dem Platz machte die Mannschaft schamlos weiter, kein Mitleid mit dem am Boden liegenden Gegner. Oder wie ich irgendwann nach einem am gegnerischen Strafraum eroberten Ball meinte: „Motivation ist, wenn sogar Guerreiro Zweikämpfe gewinnt.“ Wobei man bei drei Assists auch mal drei gerade sein lassen kann, sorry Raffa!
Einer ist noch unerwähnt geblieben: Bellingham machte ein eher durchschnittliches Spiel, was bei seinem absoluten Genie noch immer besser ist, als der größte Teil der Bundesliga. Einzig seine Meckerei über den Schiri darf er sich schnellstens abgewöhnen. Meistens nervt es, heute war es ein Hochrisikospiel, das zum Glück ohne Konsequenzen blieb.
Bleibt noch das letzte Tor des Tages: Reyna gab sich die Ehre und entlockte dem Stadion ein lautes und im Gegensatz zu den Meistergesängen auch absolut von Herzen gemeintes “der BVB ist wieder da!“
Oh ja, der BVB ist wieder da und es fühlt sich verdammt gut an!!!