Denn sie wussten, was sie tun- Tag gegen das Vergessen
Zum 13. Mal hat der BVB sich am 27. Januar, dem Tag zum Gedenken an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, in besonderer Weise mit der Dortmunder Stadtgeschichte während der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt. Bei der diesjährigen Gedenkveranstaltung standen vier Dortmunder Frauen im Mittelpunkt, die sich auf unterschiedliche Weise dem Terrorregime der Nazis widersetzt haben. Was allen Vieren gemeinsam war, war die Entschlossenheit sich dem Regime nicht zu beugen, und bewusst die damit verbunden Gefahren einzugehen. Vorgetragen wurden ihre Geschichten von Rolf Fischer und Dr. Wilfried Harthan, unterstützt von Mitarbeiterinnen des Borusseums. Musikalische Gedenkmomente mit Liedern aus der Zeit des Widerstands schufen Maik Hester und Peter Sturm.
Wer waren die vier Frauen, denen der Abend gewidmet war?
Charlotte Temming ist als Jüdin und Kommunistin gleich doppelt gefährdet, als die NSDAP die Macht ergreift. Tatsächlich schützt sie lange ihre Ehe mit dem „Arier“ Bernhard Temming, mit dem sie nicht nur einen gemeinsamen Sohn hat, sondern auch beruflich verbunden ist. Beide sind Teil der Kabaretttruppe Gruppe Henkelmann. Charlotte veröffentlicht schon früh politische und sozialkritische Gedichte, in denen sie zunehmend auch vor der nationalsozialistischen Gefahr warnt.
1944 kreuzen sich Charlottes Wege mit denen einer anderen Widerstandskämpferin, Martha Gillessen. Wie Charlotte ist auch Martha in der kommunistischen Partei aktiv. Verheiratet mit dem Großhändler Richard Gillessen, mit dem sie drei Kinder hat, begnügt sie sich ebenso wenig wie Charlotte mit der typischen Frauenrolle, sondern bleibt politisch aktiv in Zeiten, in denen dieses Engagement tödlich enden kann. So wird sie 1934 erstmals verhaftet, weil sie Flugblätter verteilt hat, auf denen die Nazilügen zum Reichstagsbrand aufgedeckt werden. Nachdem ihr Mann und ihr ältester Sohn eingezogen worden sind, flieht sie vor den Bombardierungen in Dortmund mit ihren Kindern nach Bestwig, wo sie anderen Widerstandskämpfern Unterschlupf gewährt.
Als dieses Versteck von einem Spitzel verraten wird, ist Martha in Dortmund, aber ihre Tochter Hannelore wird als Geisel von der Gestapo mitgenommen. Die Mutter stellt sich am nächsten Tag, während Charlotte der Gestapo entkommen kann. Martha wird in den berüchtigten Gestapokeller in Hörde verbracht, wo sie sich trotz des Verbots um Verletzte unter den Gefangenen kümmert. Während andere Frauen von der Gestapo weniger grausam behandelt und später freigelassen werden, weil sie nur als die „Anhängsel“ ihrer revolutionären Männer gelten, trifft Martha die volle Brutalität der Gestapo, da sie ganz offensichtlich aus eigenem Antrieb im Widerstand tätig gewesen ist. So wird sie kurz vor Kriegsende gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer kommunistischen Gruppe, zu der auch der Vereinswart der Borussia, Heinrich Czerkus, gehört, im Rombergpark ermordet.
Charlotte Temming, die von Martha Gillessen versteckt worden war, bleibt auch nach dem Krieg politisch aktiv und setzt sich für das Mahnmal in der Bittermark zum Gedenken an die dort ermordeten Gefährtinnen und Gefährten ein.
Die „Eiserne Johanna“ der Steinwache
Die dritte Frau, deren Schicksal uns an diesem Abend ins Gedächtnis gerufen wird, ist die Bergmannstochter Johanna Melzer. Wie Martha Gillessen kommt auch sie aus einer politisch aktiven Familie. Als sie schließlich von den Nazis verhaftet und in der berüchtigten Steinwach verhört und gefoltert wird, schreibt sie an ihre Familie: „Meine Auffassung ist, daß man für seine Überzeugung Opfer bringen muß. Ich meine es damit sehr ernst und nehme nichts auf die leichte Schulter. Es gibt so viele, die hinter den Mauern sitzen und trotzdem treu bleiben.“ Trotz der massiven Misshandlungen und wochenlangen Verhören durch Otto Cassebaum schweigt sie hartnäckig und erhält von den Mitgefangenen den Namen „Eiserne Johanna.“ Entschlossen steht sie ein für ihre Überzeugungen, ohne die ihr Leben keinen Sinn habe, wie sie der Familie erklärt. Sie wird zu 15 Jahren Haft verurteilt, die sie bis zum Kriegsende verbüßen muss. In der jungen Bundesrepublik engagiert sie sich sofort erneut für die kommunistische Partei und wird Mitglied des ersten frei gewählten Landtags NRW. Doch aufgrund ihrer kommunistischen Haltung erfährt sie auch in der Bundesrepublik politische Repressionen und Anfeindungen bis hin zu Anklagen.
Ganz anders gestaltet sich das Schicksal Marga Spiegels. Sie ist Jüdin und somit automatisch bedroht. Nachdem sie zunächst mit ihrem Mann Siegmund und ihrer kleinen Tochter Karin aus Ahlen vor antisemitischen Verfolgungen in die Anonymität der Großstadt Dortmund fliehen können, werden auch die Repressalien immer größer. Marga widersetzt sich auf findige Art: Sie trägt einen besonders bunten Mantel, dessen „Judenstern“ sie mit Druckknöpfen entfernen kann, wenn sie nicht als Jüdin erkennbar sein will, wohl wissend, dass dies hart bestraft wird, sollte sie dabei gesehen werden. Ihr Mann Siegmund erkennt die immer größer werdende Gefahr und es gelingt ihm, im Münsterland katholische Bauernfamilie zu finden, die bereit sind, sie zu verstecken. Allerdings muss sich die Familie dafür trennen. Während Siegmund tatsächlich zwei Jahre im Verborgenen leben muss, gibt sich Marga mit ihrer Tochter als Dortmunder Familie aus, die ausgebombt worden ist. Zwar fällt es der kleinen Tochter schwer, sich mit dem neuen Nachnamen – Krone – vorzustellen, aber die Tarnung hält bis Kriegsende. Trotz der eigenen Not ist Marga sich durchaus bewusst, welches Risiko ihre Beschützer eingehen und sie fragt sich, ob sie selbst so mutig wäre.
So überlebt sie mit Karin im münsterländischen Herbern den Krieg, doch große, fast schon resignative Zweifel bleiben ihr, als sie nach dem Krieg feststellen muss, dass nicht nur ein Großteil ihrer Familienangehörigen getötet worden ist, sondern auch Freunde und Bekannte nicht mehr zurückkehren werden. Dazu kommt, dass auch die Bestrafung der Täter so gut wie nicht stattfindet. Dennoch zeichnet Marga ihre Erlebnisse in dem Buch „Retter in der Nacht“ auf, das 1969 erscheint und wichtige Einblicke in die Situation der westfälischen Juden zur Zeit des Nationalsozialismus gewährt.
Demokratie ist Arbeit
Diese vier so unterschiedlichen Frauen haben mit großem Mut, viel politischem Bewusstsein und ungeheurer Entschlossenheit Zivilcourage bewiesen. Sie haben für sich, ihre Familien, aber auch für ihre Überzeugungen in einer Weise kämpfen und leiden müssen, wie wir es uns – glücklicherweise – nicht vorstelle können. Die Beschäftigung mit diesen Lebensläufen veranschaulicht daneben aber auch, wie schnell eine Gesellschaft in Extremismus verfallen kann. Diese vier gut ausgebildeten, aktiven Frauen haben erleben müssen, wie die Gesellschaft, in der sie ihr Leben geplant haben, aus den Fugen geraten ist und ihnen Unglaubliches abverlangt. Uns Nachgeborenen erwächst daraus die Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass die Prinzipien und Werte unserer Demokratie geschützt bleiben. Dass dies nicht selbstverständlich ist, und dass Demokratie kein Selbstläufer ist, ist in der heutigen Zeit unverkennbar. Bei allen Mängeln, Umständlichkeiten und bürokratischen Hemmnissen die eine parlamentarische Demokratie mit sich bringt, sollte uns die Auseinandersetzung mit den vier Frauen vor Augen führen, wie dankbar wir für unsere gegenwärtige Gesellschaft und unsere politischen Gestaltungsmöglichkeiten sein sollten. Dass wir diesen Gestaltungsspielraum auch füllen und nützen müssen, ist konsequente Folge dieses Gedankens. Das Gedenken an die Zeit des Nationalsozialismus auch im Fußball ist ein wichtiger Beitrag dazu. Danke an den BVB für diesen eindrücklichen Abend.