Zorc Schatten über Dortmunds Zukunft
Sommer 2022. Der nächste Neustart beim BVB. Der wievielte? Lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Aber: Alles sollte wieder anders werden. Der Ur-Borusse Edin Terzic kehrte aus dem Wartestand zurück. Machte also weiter. Nachdem seine erste Amtszeit eher ungewollt abgebrochen werden musste. Der „ewige Zorc“ ging in den Ruhestand. Eine neuer, frischer Sportdirektor kam. Einer, der dem BVB seit Jahrzehnten verbunden ist. Dazu: Üppige Transfers trotz begrenzter finanzieller Spielräume.
Herbst 2022. Der Neustart wird verschoben. Einige hatten es schon in der Sommervorbereitung so kommen sehen. Die Altlasten des Kaders waren schwer wie Plutonium in einem nicht vorhandenen Endlager für atomare Brennstäbe. Keine Bewegung möglich. Schon gar nicht Richtung Zukunft. Was auch die Verantwortlichen Watzke, Kehl und Terzic sahen. Mit einer größer angelegten medialen Kampagne sollten die Erwartungen an eine triumphale Saison eingefangen und Zeit und Ruhe erkauft werden. Zeit und Ruhe für einen Umbruch auf allen Ebenen. Für den Schritt weg vom überteuerten, wenig funktionalen Kader hin zu einer Zukunft auf auch finanziell tragfähigeren Füßen.
Der Kader der letzten Jahre trug den BVB durch herausragende individuelle Klasse in einer ohnehin schwächelnden Liga in die Champions League. Das garantierte hohe Gehälter, nicht nur für die Spieler, sondern für alle in höheren Positionen beschäftigte Personen. Allerdings haben die Jahre der Corona-Pandemie und die direkt im Anschluss darauf sattelnde Energie- und Inflationskrise ihre Spuren hinterlassen. In deren Folge wurde klar, dass der BVB finanziell insbesondere im Rahmen des Personalaufwandes abspecken muss - und damit auch individuelle Klasse verlieren würde. Aus Hakimi wurde Can. Aus Haaland erst Haller und dann Modeste. Aus Sancho mit Verzögerung Adeyemi. In diesem Kontext ist es umso bedauerlicher, wenn man einen Blick darauf wirft, wie viel Geld der BVB in den letzten bald 10 Jahren für Spieler wie Götze, Schulz, Hazard, Can oder Schürrle ausgegeben hat, ohne einen größeren Mehrwert daraus gezogen zu haben. Über viele Jahre wurden zudem Spieler wie Guerreiro oder auch Dahoud trotz kaum konstanter Leistungen (oder immer wiederkehrender Verletzungen) gehalten.
Um an diese Stelle jedoch eine „Einheit“ und einen wohldurchdachten Kader zu stellen, der im Zweifel sogar erfolgreicher agieren würde, als jene „Individualistenkader“, war es zwingend nötig, Spieler zu verkaufen. Auch, um die oftmals völlig überzogenen (und eher leistungsmindernden) Gehälter einzusparen. Als klar wurde, dass diese vom ehemaligen Sportdirektor, dem Dortmunder Denkmal Michael Zorc, maßgeblich zusammengestellten Kaderstrukturen auf dem im Sommer 22 herrschenden Marktbedingungen überhaupt nicht auflösbar waren, verpuffte manch Hoffnung auf den „Neubeginn“ bereits früh. Hinzu kamen noch dramatische Fälle wie jener von Sebastien Haller. Schon startete der immer noch unerfahrene Trainerneuling Terzic mit einem Gemisch von Altlasten und aktuellen Problemen in die neue Spielzeit.
Unter dem Strich blieb offenkundig, dass dem BVB die Luft fehlte, um noch weiter in seinen Bemühungen zu laufen. Zugleich wurde der Verein aber auch noch in seinen Planungen von jenem Zorc geführt, der bereits angekündigt hatte, ohnehin nicht mehr weiterlaufen zu wollen. Die Fehler der vergangenen Jahre, die man bei der Planung des Kaders begangen hatte, konnte auch in diesem einen Sommer nicht behoben werden. In der Vergangenheit hatte man die Fehler mit neuen Trainern bekämpft. Aus Jürgen Klopp wurde Thomas Tuchel und daraus Peter Bosz und Peter Stöger, dann Lucien Favre und der Übergang mit Terzic. Später Marco Rose. Wieder ein neuer Trainer in diesem Sommer. Einer, der schon einmal da und nie weg war. Der BVB setzte dann manche Fehler einfach weiter fort, was in einer zwar in der Sache kaum vermeidbaren, aber dann doch seltsam phantasielosen Verpflichtung von Modeste endete. Einem Spieler, der teuer war, der kaum wirklich in irgendein denkbares System passte und der zudem noch für alles stand, aber nicht für die Hoffnung auf Aufbruch.
Ewige Schwachpunkte im Kader, wie z.B. die defensiven Außenbahnen oder fehlende Kreativität in der Offensive, wurden gar nicht angegangen. Teils, weil man nicht konnte, teilweise aber auch, weil man nicht wollte oder nicht mehr wollen konnte, weil man auf anderen Positionen überteuerte „Namen“ kaufte, ohne das zwingend überhaupt Bedarf bestand.
Und so kam es, wie es kommen musste. Der Saisonstart verlief schleppend, zwar in Wellen und gerade international durchaus ordentlich und zuletzt dann eher schon desaströs auf nationaler Ebene, mit der Konsequenz, inzwischen auch tabellarisch dort zu stehen, wo man qua der gezeigten Auftritte auch hingehört: im Mittelfeld der Liga. Wie es die Gesetze des Fußballs wollen, kommt natürlich damit einhergehend auch direkt die Frage auf: Ist dieser Trainer der richtige? Angefacht auch noch davon, dass der ehemalige BVB-Trainer Thomas Tuchel auf dem Markt ist. Ein Mann, der durch den BVB wie eine lebensgroße Abrissbirne pflügte und hier derart viele Scherben hinterließ, dass noch heute manch einer erschrickt, wenn er nur ein Bild von diesem mehr als seltsamen Menschen irgendwo sieht. Aber: er hatte ja seine kleinen Erfolge hier. Dass diese – wie auch der letzte große Erfolg unter Edin Terzic, der DFB-Pokalsieg – im Grunde einzig auf eben jenen individuellen Qualitäten von Einzelspielern beruhten, die nun kaum noch vorhanden sind, wird dann gerne beiseitegeschoben.
Aber wie soll die enttäuschte Hoffnung, dass man nun aber endlich mal einen neuen Aufbruch schaffen würde, nun kanalisiert werden, wenn nicht auf den Trainer und seine Position bezogen?
Das Umfeld, also auch wir Fans, wird endlich verstehen müssen, welch große Fehler in der Vergangenheit bei der Gestaltung des Kaders gemacht wurden. Welch falsche Anreize gesetzt wurden, indem man Spieler viel zu hoch dotierte, indem man viel zu lange Spieler unter Vertrag gewähren ließ und indem man immer wieder den Individualismus auf dem Platz als Lösungsweg akzeptierte, der schlussendlich ja auch konstant an die immer gewaltiger werdenden Fleischtöpfe jener sportlich inzwischen fragwürdigen Champions League führte. Und man wird akzeptieren müssen, dass ein Auflösen dieser Denk- und Handlungsweisen (aber auch Zwänge) nicht in einem Sommer möglich ist. Wenn man diesen Weg endlich mal gehen will und wieder etwas „Gesünderes“ auf dem Platz agieren sehen will, wird man alles tun müssen, um den damit Beschäftigten auch eine Entwicklung zuzugestehen. Trainer und Sportdirektor brauchen Zeit. Und Geduld. Um überhaupt einmal anfangen zu können. Um überhaupt selbst einmal einen Kader zu erschaffen und zu betreuen. Und nicht von Altlasten in ihren Handlungen immer wieder ausgebremst zu werden. Und von diesen liegen in diesem Kader immer noch Unmengen.
Wenn wir also weiter auf Besserung hoffen wollen, dann werden wir zumindest den Personen neben dem Platz viel Geduld schenken müssen. Denn sie haben erst vor wenigen Monaten überhaupt damit begonnen, hier etwas Neues zu versuchen. Ihnen anzulasten, was Vorgänger erzeugten, wäre falsch und nicht gerecht. Und es wäre zudem kontraproduktiv.