Unsa Senf

We’ve come a long way…but we’re not too sure where we’ve been.

22.02.2022, 22:22 Uhr von:  Nina T.
Ansicht Südtribüne bei der Choreo mit einem riesen BVB Logo gegen Paris.

Am 29.02.2020 haben wir uns verabschiedet – „Bis in zwei Wochen!“ – und es sollte so ganz anders kommen. Ein bisschen Fassungslosigkeit ist bis heute dabei: Wir feiern in wenigen Tagen den, passenderweise nicht vorhandenen, zweiten Jahrestag einer plötzlichen, andauernden, völlig chaotischen Fernbeziehung.

Viele haben sich ihr Fan-Leben lang darauf verlassen, dass Kontakte allein durch die regelmäßigen Treffen bei Spielen aufrechterhalten werden, Stadionfreunde und Kneipenfreunde. Und ob sie nun völlig weg waren, weil man nicht mal mehr als den Vornamen ausgetauscht hatte oder die Freundschaft sich einfach nicht als Brief-/Zoom-/Telefonfreundschaft eignete, zumindest einen hat jeder von uns seit zwei Jahren nicht mehr gesehen oder gehört.

Wir haben allerdings auch in 24 Monaten nicht für Alternativen gesorgt… Zumindest anfangs hätten ja die Worte Facebook-Gruppe noch niemanden abgeschreckt. „Gruppe: Westfalenstadion“ oder „Gruppe: Eckkneipe“ gab es aber nicht. Jede und jeder hat die letzten 104 Wochen (völlig zurecht natürlich!) einzig und allein darauf ausgelegt, diese Fernbeziehung zu beenden. Bloß nicht damit abfinden. Keinesfalls dauerhaft anpassen. Zurück zur Normalität.

Nur stellt sich nach 728 Tagen doch die Frage, ob es überhaupt noch realistisch ist, dass es wieder wird, wie es war…?
Obwohl die, bei der Uni Dortmund in Auftrag gegebene, Studie des BVB vom März 2021 noch zu dem Ergebnis kam, dass rund 90 Prozent nach der Pandemie ins Stadion zurückkehren wollen, bleibt unsicher, wann nach-der-Pandemie sein wird oder ob sich in dem weiteren Jahr seit der Umfrage nicht doch mehr verändert hat. So konnte man zum Beispiel im berühmten Rezo-Video lernen, dass mit Fortschreiten der Klima-Erwärmung weitere Pandemien realistischer werden, weil Menschen und Tiere Lebensräume verlieren würden. Die Zeitangabe Nach-der-Pandemie hat also durchaus Parallelen zu dem berühmten Zitat aus Der brave Soldat Schweijk „Nach dem Krieg um sechs.“ – man weiß nicht wann das sein wird und wer es noch erlebt.

Die Wahrscheinlichkeit tiefgreifender Veränderungen steigt grundsätzlich proportional zur Dauer auf der Zeitachse.

Die Jubos Dortmund beispielsweise haben sich (unabhängig von der Pandemie) bereits im ersten Lockdown 2020 aufgelöst. Dabei spielten zufolge sowohl die Entwicklung der Kommerzialisierung, sowie ein Übergriff aus dem Umfeld der Blauen und Einschüchterungsversuche aus der rechtsextremen Szene eine Rolle. Die Jubos hinterlassen eine große Lücke im Stadion an zentraler Position. Leider ist, wie oben beschrieben, nicht ausgeschlossen, dass nicht auch die verbleibenden Ultra-Gruppen an Kraft verlieren und auch an anderen Stellen kleinere Lücken entstehen, die vielleicht frei bleiben oder auch wieder gefüllt werden.

Nach vorläufig 17.472 Stunden ohne organisierten Protest gegen die Entwicklungen im Fußball, ohne mediale Aufmerksamkeit – sogar im Gegenteil – weiterer Herabsetzungen aktiver Fanszenen, die wiederum größtenteils unwidersprochen bleiben, weil eben die Organisation fehlt: Wann auch immer nach-der-Pandemie sein wird, wir sollten uns durchaus darauf vorbereiten, dass es nach der großen Wiedervereinigungsfeier auch viel Engagement erfordern wird, den vor-der-Pandemie-Stand oder zumindest ähnliches wiederherzustellen.
Es besteht dennoch Hoffnung, denn wir sind alle mal von jemandem oder durch ein Ereignis fußball-sozialisiert worden. Sogar in unterschiedlichsten Altersstufen… Manche Eltern oder Großeltern haben, völlig uninteressiert, Kinder ins Stadion begleitet, haben sich plötzlich selbst in das Spiel und die Tribünen verliebt und sind geblieben. Es gibt jetzt Eltern, die darauf warten, ihre Kinder endlich in ein volles Stadion mitzunehmen. Selbst mit Sprachbarriere gibt es noch den online-Translator und dann wissen halt zum Beispiel auch sechs französische BVB-Fans aus Paris, warum sie gegen die falsche Borussia jedes Tor zusätzlich mit „Döp Döp Döp“ feiern müssen und haben einen Riesenspaß dabei.

Wir haben als BVB-Familie immer zusammengehalten und viele verschiedene BVB-Teams unterstützt, wir werden auch lernen mit neuen Familienmitgliedern eine Einheit für unseren Verein zu bilden.

…with danger on my mind I would stand on the line of hope and I knew I could make it.
BORUSSIA VERBINDET.

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