Unsa Senf

Sportliche Chaosjahre

27.05.2022, 09:02 Uhr von:  kha
Rose steht mit verschränkten Armen in schwarzer Trainingskleidung am Rand und Blick auf das Spielfeld.

Drei Fragen zur Trennung von Marco Rose.

Wer am späten Freitagabend am Rheinlanddamm verweilte und beobachtete, wer sich da so alles einfand, der musste wohl schon entweder ein deutliches Magengrummeln verspüren oder in ein heftiges Kopfkratzen verfallen sein. Denn spätestens als Marco Rose mit seinem Berater dort aufkreuzte, dürfte klar gewesen sein, dass sich – entgegen aller vorherigen Bekundungen – etwas zusammenbraute, was für den Trainer nicht gut ausgehen konnte. Und so kam es dann ja, wie man später aus diversen Pressemitteilungen entnehmen konnte: Der BVB trennt sich von seinem Cheftrainer.

Damit hat Borussia nun den siebten Cheftrainer in sieben Jahren verschlissen und man darf und muss mittlerweile tatsächlich mal die Frage stellen: Folgt dem alles noch ein sportliches Ziel?

Gerade wenn wir uns nun den Fall Rose anschauen: Darüber, dass für ihn eine für Trainerverhältnisse hohe Ablösesumme gezahlt wurde, schauen wir hier mal hinweg, aber es müssen doch verschiedene Fragen erlaubt sein:

Konnte der Trainer „Borussia-Fußball“ umsetzen?

Zu Beginn der abgelaufenen Saison hieß es, man wolle wieder mehr „Borussia“-liken Fußball spielen. Dann schauen wir mal auf den Kader: War dies mit dem vorhandenen Kader möglich? Wenn man ehrlich zu sich selbst ist, müsste man zu dem Schluss kommen, dass das mit diesem Kader, alleine schon wegen der Abwehrprobleme, nicht möglich gewesen ist. Kann man dem Trainer wirklich vorwerfen, dass er mit diesem Kader nicht das spielen lassen konnte, was er selbst wollte und scheinbar auch die Führungsetage von ihm erwartete? Die ehrliche Antwort muss nein lauten. Ja, das völlig unnötige Aus im DFB-Pokal auf St. Pauli und auch das vorzeitige Aus in der Champions League hätte sich vermeiden lassen. Aber hier kommen wir zur nächsten Frage:

Wer ist verantwortlich für das instabile Konstrukt innerhalb der Mannschaft?

Seit mehreren Jahren ist es nun mittlerweile so, dass es einen eklatanten Konstruktionsfehler (ja, eine Mannschaft ist kein Gebäude, aber es fiel mir kein besseres Wort ein) innerhalb der Mannschaft gibt und zwar dahingehend, dass die zum Teil noch sehr jungen Spieler Leistungsträger sind, es aber außer ein oder zwei Spielern im Kader niemanden gibt, der Leitplanken für diese jungen Spieler aufzeigt. Also auf Deutsch Führung oder Haltung oder Mentalität zeigt, an der sich diese Spieler orientieren können, gerade wenn ein Spiel wie z.B. in Lissabon, auf St. Pauli oder gegen Glasgow nicht läuft. Auch hier würde ich sagen, dass dies eher nicht dem Trainer anzulasten ist. Was uns zur dritten Frage führt:

Was ist der sportliche Plan?

Weiter oben sagte ich ja bereits, dass es vor der Saison hieß, dass wieder mehr Borussia-Fußball gespielt werden solle. Wir alle haben ja wohl irgendwie ein Gefühl dafür, was dies wohl sein könnte. Allerdings scheinen die Verantwortlichen für das Scouting und die Kaderplanung der ersten Mannschaft davon noch nicht so viel gehört haben, denn immer wieder mal in den letzten Jahren konnte man bei manchen Verpflichtungen nur die Augenbrauen heben und sich fragen: Wie zum Teufel passt der denn zu Borussia-Fußball? Wenn man dann noch liest, dass diverse Transferentscheidungen „aus dem Bauch heraus“ getroffen wurden, dann wundert man sich, dass der BVB überhaupt noch so weit oben steht. Und es zeigt irgendwie auch mal wieder: Ganz tief in sich drin ist der BVB immer noch ein Amateurverein. Eigentlich sollte man von einer GmbH & Co. KGaA doch eigentlich ein professionelles, hochanalytisches und professionelles Verhalten gerade so wichtigen Dingen wie Kaderplanung erwarten dürfen. Dass dies gerade in unserer Profimannschaft scheinbar nicht der Fall ist, kann man nun wahrlich nicht dem Trainer anlasten.

Nun ist es natürlich auch nicht so, dass Marco Rose von allen Fehlern freigesprochen werden kann. Zum einen sei hier mangelnde Kreativität im Spiel genannt und das auch von seinen Zeiten bei den Fohlen bekannte defizitäre inGame-Coaching. Wie hilfreich ein gutes inGame-Coaching sein kann, kann man mittlerweile bei diversen Clubs beobachten und wo dies hinführen kann auch. Und dann natürlich auch dies unfassbare Verletzungsmisere, die in diesem Jahr beispiellos war. Und ja, es gab keine vollständige Saisonvorbereitung, Spieler kamen verspätet und sehr ausgepowert von der EM zurück, aber das allein kann nicht der Grund für eine derartige Verletzungsanfälligkeit sein. Auch wenn dies nur teilweise dem Trainer anzulasten ist, für die Belastungssteuerung trägt er nun doch die Verantwortung.

Watzke und Zorc stehen nebeneinander am Spielfeldrand und blicken betrübt in die Ferne
Hatten sich von ihren Trainerverpflichtungen der letzten Jahre sicherlich mehr erhofft: Watzke & Zorc

Jetzt ist also der siebte Trainer in sieben Jahren verschlissen. Es herrscht alles andere als Ruhe in der ersten Mannschaft des BVB. Dies ist aber imo absolut erforderlich, um vielleicht a) wieder so etwas wie Identität zu entwickeln und b) wieder eine emotionale Bindung alle Beteiligten auf dem Rasen, auf der Trainerbank und auf den Tribünen zu entwickeln und um wieder etwas Geiles aufzubauen. Auch wenn dies etwas Zeit braucht.

Den Trainer nicht alle halbe Jahre zu wechseln (ok, es war durchschnittlich nur jedes Jahr, aber you know what I mean) sondern Geduld, analytisches, vorausschauendes Handeln und endlich einen guten Plan, wie es sportlich funktionieren soll. Und wenn dies bedeutet, dass wir in einem Jahr mal „nur“ Zweiter werden und in den Pokalwettbewerben früh ausscheiden: So what?

Ich denke, alle Borussen sind geduldig genug, um so eine Saison zu ertragen, wenn absehbar ist, dass daraus etwas richtig Geiles entstehen kann. Aber die Geduld wird halt strapaziert, wenn man ständig die Trainer austauscht und man irgendwie das Gefühl nicht loswird: Bei den BVB-Profis weiß die rechte Hand nicht so richtig, was die linke tut.

Da brauchen wir endlich ein Umdenken! Wir brauchen für die erste Mannschaft unseres Vereins endlich eine klare Idee, wie Fußball gespielt werden soll und die dazu passende Mannschaft. Also keine Spieler mehr verpflichten, die bei einem anderen Verein positiv aufgefallen sind, sondern eine intensive Prüfung möglicher Transfers, die in unsere Idee, Fußball zu spielen, passen. Und die uns weiterbringen? Natürliche gibt es auch keine Garantie, dass Spieler funktionieren, aber das könnte die Chance gravierend erhöhen, Spieler zu uns zu holen, die der Mannschaft wirklich weiterhelfen.

Seit Montag steht dann ja auch schon fest, wer Roses Nachfolger wird: Sein Vorgänger Edin Terzic. Eine wirkliche Überraschung ist das nicht, denn rein vom Gefühl her hätte man vermutlich schon im letzten Sommer mit ihm weitergemacht, aber da war Rose bereits unter Vertrag. Und wie wir alle wissen: Dieser hat zwar in der letzten Saison im letzten Moment die Champions League erreicht und auch den DFB-Pokal gewonnen, aber gerade zu Beginn seiner Trainerzeit waren die Ergebnisse und auch die Spielweise alles andere als berauschend. Erst nach dem Frankfurt-Spiel, wo alles schon vorbei gewesen zu sein schien, ging es so richtig aufwärts. Und wenn wir das jetzt mal auf den Start der neuen Saison projizieren: Was passiert, wenn es einen miesen Saisonstart gibt? Wieder Krisensitzungen am Freitagabend am Rheinlanddamm? Oder am Ende der Saison wieder „nur“ der zweite Platz steht und ein frühes Aus in den europäischen Wettbewerben? Auch dann wieder Nachtsitzungen in der Geschäftsstelle? Oder wird man endlich ein wenig klüger reagieren und sich wieder mehr Zeit geben, um etwas zu entwickeln, so schwer wie das auch sein mag, wenn man in der Rückserie tatsächlich nur noch alle sieben Tage (grob geschätzt) spielt? Zu hoffen bleibt es auf jeden Fall, denn den achten Trainer in der achten Saison möchte ich nicht sehen. Das ist dem BVB eigentlich unwürdig, zumindest dem modernen BVB. Früüüüüher war das ja auch schon mal anders aber wir leben ja im Hier und Jetzt. Und wenn jetzt wieder der Trainer nach nur einem Jahr gehen müsste, dürfte es tatsächlich endgültig an der Zeit sein, mal andere Fragen zu stellen.

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