Unsa Senf

Endlich wieder richtig Stadion

04.09.2022, 21:29 Uhr von:  Sascha
Vollbesetzte Südtribüne mit den Blöcken 12 und 13 im Zentrum. Sehr viele große und mittelgroße Schwenkfahnen wehen.

Abendspiel gegen Hoffenheim - klingt nicht besonders magisch. Aber unverhofft kommt oft und so herrschte endlich mal wieder richtig gute Fußballstimmung. Vom Gegner einmal abgesehen war es so, wie Fußball sein soll.

Man kann darüber streiten, ob das Westfalenstadion, wie Nobby Dickel vor jedem Spiel beharrlich behauptet, das schönste Stadion der Welt ist, oder nicht, aber in einem werden sich alle einig sein: das Stadion ist groß. Wer schon einmal am Spieltag auf dem Rasen gestanden hat, weiß wie klein man sich angesichts der hochgezogenen Tribünen und vor allem vor dieser riesigen, gelben Wand aus Menschen fühlt. Diese Größe ist gleichzeitig Versprechen und auch Bürde.

Sie verspricht eine enorme Lautstärke, einen gigantischen Lärm, den diese 80.000 Fans eigentlich erzeugen müssen. Und sie ist eine Bürde, weil dieses Versprechen auf ohrenbetäubenden Lärm nur all zu oft unerfüllt bleibt. Auch Stille ist in dieser riesigen Schüssel laut. Es ist bedrückend, wenn man spürt, dass der Funke einfach nicht zündet und das Gros der Fans schweigt. In der letzten Zeit war das häufiger der Fall und selbst, wenn man sagen konnte „war heute doch ganz okay“, blieb dabei ein schaler Geschmack im Mund. Weil man wusste, dass „ganz okay“ noch weit, weit von dem entfernt war, was eigentlich möglich ist. Laut – das war es, als Santana gegen Malaga den Ball über die Linie drückte. Lärm – den gab es, als Nobby wie wild „Mach mich hoch, mach mich hoch!“ ins Mikro brüllte, nachdem Novakovic für Köln gegen Leverkusen getroffen hat und wir wirklich Meister wurden. Natürlich, absolute Ausnahmesituationen, aber wer einmal das Westfalenstadion an diesem Anschlag erlebt hat, für den ist „okay“ nur ein schwacher Trost. Denen, die nicht wissen von ich spreche, möchte ich es so erklären: Wer einmal mit Herzblut bekocht wurde, wird von Fastfood zwar auch noch halbwegs satt, aber nicht mehr vollends begeistert.

Das Stadion ist immer dann zu großer Form aufgelaufen, wenn das Wechselspiel zwischen Mannschaft und Publikum funktioniert hat. Wenn man an vielen kleinen Situationen im Spiel gesehen hat: Die wollen. Im Gegenzug hilft die Tribüne den Spielern dann, zum Ende hin auch noch die letzten Tropfen aus dem Tank zu pressen, Kraft zu finden, wo eigentlich keine mehr ist und die letzten Meter auch mit müden Beinen zu machen. Um dann am Ende über die Ziellinie zu kommen und das befriedigende Gefühl zu haben, dass man es heute gemeinsam geschafft hat. Gemeinsam! Wenn diese Verschmelzung zu einem schwatzgelben Riesen funktioniert, an dem der Gegner abprallt, dann ist es genau der Zustand, der Fußball so faszinierend macht.

Wieder die Südtribüne. Am unteren Bildrand sieht man den Torwart und zwei Spieler von Malaga, die die Köpfe hängen lassen. Daneben Reus um Arm eines anderen Spielers. Auf der Tribüne umarmen sich die Menschen, recken Fäuste in die Luft.
Kollektives Ausrasten ist angesagt: Santana trifft im letzten Moment gegen Malaga

Dieses Gefühl gab es in der jüngeren Vergangenheit viel zu selten. Einerseits natürlich wegen der Pandemie, aber auch zum Ende der letzten Saison hin, hatte man viel zu oft das Gefühl gehabt, Publikum bei einer liebgewonnen Veranstaltung zu sein, anstatt in den emotionalen Ausnahmezustand zu geraten, der den Unterschied zwischen Zuschauer und Fan ausmacht. Dabei konnte man der Mannschaft oft nicht einmal den Vorwurf machen, den Sieg nicht gewollt zu haben, aber irgendwie auch nicht mit letzter Konsequenz, mit der allerletzten Bereitschaft und den Willen, alles zu geben.

Es ist schwer greifbar, woran man diesen Unterschied festmacht, aber die meisten, die gegen Hoffenheim im Stadion waren, werden zustimmen, dass dieses Gefühl auf einmal da war. Dass die Mannschaft auf dem Rasen nicht nur gewinnen wollte, sondern bereit war, für den Sieg ans Limit zu gehen. Und auf einmal waren die Tribünen wieder da. Mit einer leichten Schwächephase Mitte der zweiten Halbzeit war die Stimmung von Beginn an ganz gut und am Ende mal wieder richtig stark.

Bei mir war das nervöse Kribbeln wieder da, der Drang ab der 80. Minute, nicht mehr hingucken zu können. Den Blick auf den Boden gesenkt und ganz auf die Geräuschkulisse konzentriert. Jeder, dem es ebenso geht, kennt dann diese besondere Melodie, den das Orchester Westfalenstadion dann spielt. Es wird auf einmal leise, Gesänge werden von einem Murmeln ersetzt. Nicht, weil die Leute unzufrieden, oder gar desinteressiert sind, sondern weil der Gegner in Strafraumnähe ist. Und trotz der Stille hört man die Gedanken „Nein, nein, nein!“ der Leute um einen herum. Dann brandet lauter Jubel auf und man weiß, dass die Situation geklärt ist. Gefolgt von einem wilden Brüllen und dem Geräusch aufspringender Menschen, um die Spieler über den Konter zum hoffentlich siegbringendem Tor zu treiben. Irgendwann dann der Schlusspfiff, den man nicht hört, sondern nur an der Geste des Schiedsrichters erkennt und die Erleichterung.

Am Ende Gesänge, mit denen die Freude raus muss. Echte, aufrichtige Freude und nicht das geschäftsmäßige Lob für drei Punkte. Es hat lange nicht mehr so viel Spaß im Stadion gemacht, wie am Freitagabend. Davon will man mehr, deswegen freut man sich auf das nächste Heimspiel.

Und dann ist das Westfalenstadion tatsächlich das schönes Stadion der Welt. Okay, wenn auch vielleicht nur für alle mit einem schwatzgelben Herz.

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