Auf St. Pauli brennt wirklich noch Licht
Als hätte ich’s geahnt. Ohne sich mit Ruhm zu bekleckern geht Dortmund an der Reeperbahn unter. Unser Spielbericht zu diesem Auftritt mit ohne Leidenschaft:
Ich sitze in der Kneipe nebenan, ein Mann wie ein Bär neben mir. Er hat in seinem übergroßen Totenkopfpulli verblüffende Ähnlichkeit mit dem Kommissar aus dem Münsteraner Tatort.
Vorm Stadion lässt sich währenddessen mittels viel viel Pyrotechnik erahnen, was drinnen hätte passieren können. Aber nein, nur Wunderkerzenhooligans und Einlaufmusik von die Amateure. Nun gut, auf in den Pokal!
Ich sitze noch nicht mal richtig auf meinem Barhocker, da geht schon los, was ich tief in meinem Inneren befürchtet und doch erfolgreich verdrängt hatte. In der vierten Minute kommt Amenyido angeflogen, Reus bietet ihm netterweise Geleitschutz. Drin, das Ding. Jetzt schon und auf der falschen Seite. Ich möchte mich übergeben. Jetzt schon und im falschen Umfeld. Hazard versucht im Alleingang nachzulegen, kommt auch zwei Mal zum Abschluss, scheitert aber nicht zum letzten Mal am Torwart, der den selben Friseur wie Haaland haben muss. Nämlich keinen. Oder ist das Kunst?
Das Stadion wirkt mit 2000 Mann einigermaßen gut gefüllt, stets bemüht, etwas Stimmung aufkommen zu lassen. Die übrigen, leeren Tribünen erstrahlen in „kein Fußball den Faschisten“ und „kein Mensch ist illegal“ - in der Liga und auch sonst wohl einzigartig.
Die folgenden Minuten enden eigentlich immer gleich: Dortmund gegen Torwart Smarsch, der (Wortwitz: VorwärtSmarsch!) wacher unsere gesamte Mannschaft zu sein scheint. Nicht mal Haalands 90km/h Schuss schockt ihn. Ich ahnte es. Ich ahnte diese Scheisse, wirklich. Dass Paulis Regenbogenlogo im Dunkeln leuchtet, verstört mich noch viel mehr. Die graue Maus erstrahlt immer mehr in Kunterbunt.
„Harald, noch ein Bier bitte!“ „Schönsaufen, wa?“ Jo. Ich antworte nicht. Frecher Bengel, warte ab. In Minute 118 kommen wir sicher stärker zurück. 789 Ballverluste und Kreisligapässse zähle ich in Minute 32 - Was soll ich auch sonst machen? Ah, mich über den Kleidungsstil aufregen. Dunkelgelbe Overalls unter neongelbem Trikot - spinnt ihr?
Ich schiele nach Köln, wo gerade ein spektakuläres Spiel zu Ende geht. Ja ja der Pokal. Man liebts. Und hassts als Kölner und Dortmunder hier und heute.
Fünf Minuten vor der Halbzeit bin ich schon fast im Pausenmodus als Witsel plötzlich den Ball im Tor versenkt. Unserem Tor! Unhaltbar. Und ungehalten bin ich! Man, ey! Aber ich muss ruhig bleiben, mein Herz. Und negative Motivation ist keine Motivation. Also Jungs: ihr macht das fast super. Bitte gebt noch etwas mehr, um dem gefürchteten CL-Sieger St. Pauli doch noch das Wasser reichen zu können.
Immer und immer wieder ärgert Ex-Schalker Burgstaller die Dortmunder. In der 56. Minute dann ein klares Handspiel in Paulis Sechszehner, das dann zwei Minuten später vom Kölner Keller doch noch Beachtung findet. Und dann noch vom Schiri höchstpersönlich mehrfach zurückgespult werden muss. Man, das sieht doch ein Blinder mit Krückstock! Hand! Elfer! Damit Haaland doch noch zu seinem Tor kommt. In der 58. Minute gelingt Dortmund also endlich der Anschlusstreffer und… Ja und jetzt? Jetzt werden sie wach, jetzt kommt die große Aufholjagd! Oder auch nicht. Vermutlich liegt’s am Rasen. Marco wird in der 70. Minuten kurz wach, macht Druck. Keiner macht mit, Hummels mahnt zur Ruhe und schon war’s das wieder.
Wenigstens auf Bochum ist Verlass. Viel Spaß im Finale. Gegen wen auch immer. Dortmund spielt währenddessen leider immer noch; krampfhaft versuche ich, wach zu bleiben.
Der zweite Wechsel, den ich bewusst wahrnehme, findet in der 90. Minute statt und wird somit wohl kaum noch die große Wende einleiten können. Der erste Wechsel, der uns allen Ernstes mit Zagadou eine Defensivkraft beschert, reißt alte Wunden auf. „Wir mussen die Ergebnis halten!“ Ansonsten passiert nicht mehr. Abpfiff, Ende, raus.
Jude liegt auf dem Boden, für ihn geht nach dieser unnötigen Niederlage mal wieder die Welt unter. Die anderen klatschen lachend mit ihren Gegenspielern ab, Betroffenheit sieht anders aus. Warum sollte man sich auch um den letzten verbliebenen Titel bemühen, um so junge Talente halten zu können? Denn sind wir ehrlich: die Meisterschaft und die EuroLeague sind genauso zum Scheitern verurteilt.
Im Interview nach dem Spiel antwortet Marco Reus auf die bittere Wahrheit „Pokal raus, CL raus, Bayern in weiter Ferne“ mit: „Sollen wir jetzt aufgeben oder was?“ Schon passiert, Marco. Heute von Minute 4 an.