Report

Ringen um den Grundwertekodex

05.09.2022, 10:12 Uhr von:  Malte S.
Auf einem Podium stehen bzw. sitzen Gregor Schnittker, Jakob Scholz, Götz Vollmann, Thomas Treß, Reinhold Lunow, Bernd Möllmann, Stefan Witte und Oliver Ricken. Jakob Scholz spricht ins Mikrofon. Im Hintergrund zeigt eine PowerPoint-Präsentation die Agenda des Abends.
Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wurde der aktuelle Stand der Verhandlungen vorgestellt

Wie steht es um den BVB-Grundwertekodex? Die zuständige Kommission hat am Donnerstag einen Zwischenstand gegeben. In vielen Punkten herrscht Einigkeit zwischen e. V., KGaA und Fanvertretern. Fraglich ist jedoch: Wie verbindlich ist der Kodex im Zweifel für das Unternehmen Borussia Dortmund? Insbesondere Fans sind besorgt.

Die Vereinsfarben des BVB sind schwarz-gelb, seine Heimspiele trägt er in Dortmund aus. Außerdem ist er Teil der Bundesliga und setzt sich für den Erhalt von 50+1 ein. Was eigentlich selbstverständlich ist, soll gemeinsam mit weiteren Punkten künftig in einem Grundwertekodex festgehalten werden. Die Idee hierzu entstand in der Fanszene, die während der Corona-Pandemie manche Selbstverständlichkeiten bedroht sah, Stichwort Super League.

Im November 2021 haben die BVB-Mitglieder deshalb entschieden, dass ein Grundwertekodex in die Satzung des eingetragenen Vereins aufgenommen werden soll, und die Fanabteilung mit der Bildung einer Kommission beauftragt. Diese soll bis zur nächsten Mitgliederversammlung einen Vorschlag erarbeiten. Die Beratungen, an denen Vertreter des Vereins, der KGaA sowie die Antragsteller beteiligt sind, fanden bisher nicht öffentlich statt.

Die Mitglieder der Grundwertekommission sind Jakob Scholz (Vorsitzender der Fanabteilung und Leitung der Kommission), Oliver Ricken, Götz Vollmann, Stefan Witte (Antragsteller), Reinhard Rauball (Präsident e. V.), Reinhold Lunow (stellvertretender Präsident e. V.), Bernd Möllmann (Schatzmeister e. V.) und Thomas Treß (Geschäftsführer KGaA). An den Beratungen darüber hinaus beteiligt sind Jan-Henrik Gruszecki (KGaA, Leiter der Stabstelle Strategie und Kultur), Björn Hegemann (KGaA, Leiter der Abteilung Fanangelegenheiten), Tobias Westerfellhaus (Vorstand Fanabteilung) und Jochen Korf (Fanabteilung, Protokollführung).

Am Donnerstagabend berichtete die Kommission im Strobels über den derzeitigen Stand und das weitere Vorgehen. Der aktuelle Vorschlag umfasst 09 Punkte (vollständige Fassung am Ende dieses Textes) und wird in Kürze in einem Online-Beteiligungsverfahren allen Mitgliedern zur Diskussion gestellt. Die finale Abstimmung folgt dann auf der diesjährigen Jahreshauptversammlung.

Während der Infoveranstaltung, an der rund 40 Fans teilnahmen, wurde schnell klar, mit wie vielen Konflikten der Prozess verbunden ist. Auf der einen Seite stehen die Antragsteller aus der Fanszene, die der Kommerzialisierung Schranken setzen möchten. Ihre Möglichkeiten sind jedoch begrenzt, denn die Lizenzspielerabteilung wurde bekanntlich vor über 20 Jahren in die KGaA ausgegliedert.

Kodex: 1. Wir sind schwarz-gelb mit traditionsreichem Wappen 2. Wir spielen hierzulande 3. Wir sind eine Familie 4. Wir sind offen zueinander 5. 50+1 bleibt 6. Borussia verbindet 7. Wir werden immer Borussen sein 8. Wir sind alle... 9. Wir spielen fair
Der Kodex in Kurzform

Zwar hat der e. V. – und damit auch die Mitgliederversammlung als sein oberstes Organ – im Sinne der 50+1-Regelung die Kontrolle über die KGaA. Ungeachtet dessen ist die KGaA wirtschaftlich dennoch ihren Aktionär*innen verpflichtet, möchte sich möglichst viele unternehmerische Freiheiten bewahren und kann deshalb nicht ausschließen, wirtschaftliches Handeln im Zweifel über bestimmte Ideale zu stellen.

Im Mittelpunkt steht deshalb die Frage: Wie verbindlich ist ein Grundwertekodex des e. V. für die Geschäfte der KGaA? "Wir müssen akzeptieren, dass 95 Prozent der Anteile an der KGaA in Aktionärsbesitz sind. Wir wollen der KGaA deshalb nichts in die Satzung schreiben", machte Geschäftsführer Thomas Treß klar. Weil Vermögensrechte der Aktionär*innen betroffen seien, habe man manches "vorsichtig formuliert".

Die KGaA setzt sich zusammen aus der „Borussia Dortmund Geschäftsführungs-GmbH“ auf der einen Seite, die als so genannte Komplementärin zu 100% Tochter des Vereins ist und volle Personalkompetenz besitzt, also die Zuständigkeit zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung. Auf der anderen Seite stehen die (Kommandit-)Aktionär*innen. Das sind Großaktionär*innen wie Evonik, Signal Iduna und Puma, aber auch kleinere Teilhaber*innen. Ihnen ist gemein, dass sie keinen direkten Einfluss auf die geschäftsführende Gewalt haben. Dennoch steht die KGaA ihnen gegenüber in der Pflicht, schließlich investieren sie ihr Geld in das Unternehmen.

Insbesondere an einer Formulierung äußerten gleich mehrere der anwesenden Mitglieder Kritik. Im Vorschlag der Kommission heißt es, man bekenne sich unter anderem “im Rahmen unserer wirtschaftlichen Möglichkeiten” zur Teilnahme an nationalen Vereinswettbewerben. Manche Fans fürchten, der BVB lasse sich bewusst die Möglichkeit offen, irgendwann vielleicht doch noch Teil einer Super League zu werden. Der Versuch einiger europäischer Schwergewichte, sich den nationalen Ligen zu entziehen, scheiterte im vergangenen Jahr zwar schnell. Die Ereignisse haben in der Fanszene jedoch Spuren hinterlassen, auch weil der BVB sich öffentlich erst mit Verzögerung gegen die Pläne stellte.

Auch Reinhold Lunow, designierter Nachfolger von Präsident Reinhard Rauball, musste eingestehen, “das könnte wie ein Hintertürchen klingen”. Gemeinsam mit Thomas Treß versuchte er jedoch zu beruhigen: Der Passus beziehe sich auf die Sportarten im e. V. Sollte beispielsweise ein Aufstieg der Handball- oder Tischtennis-Abteilung ein wirtschaftliches Risiko bedeuten, wolle man sich vorbehalten, auf ihn zu verzichten. Überzeugen konnten sie die Kritiker*innen damit nicht wirklich. Was vielleicht auch daran lag, dass Thomas Treß an diesem Abend mehrmals betonte, die KGaA könne durch einen Kodex grundsätzlich nicht verpflichtet werden. Auch Antragsteller Stefan Witte räumte ein: “Der e. V. hat zwar gesellschaftsrechtlich den Hut auf, aber die Mitglieder können allenfalls über den Vorstand und der dann direkt an die Geschäftsführer der Geschäftsführungsgesellschaft Einfluss auf die KGaA ausüben.” Der Kodex solle deshalb nicht juristisch formuliert sein, sondern Leitplanken darstellen.

Trotzdem gehen die rechtlichen Beurteilungen teilweise noch auseinander, und zwar bei der Frage der Haftung. So sieht Geschäftsführer Treß die Gefahr, der Vorstand des e. V. könne sich mit dem Grundwertekodex im Zweifel selbst eine Falle stellen: Treffe die Geschäftsführung der KGaA auf Weisung des Vorstands des e. V. eine Entscheidung, die gegen die Interessen der Aktionär*innen ist, müsse der e. V. für einen möglichen Schaden haften. Götz Vollmann sieht das jedoch entspannter: “Ich kann die Bedenken von Thomas Treß verstehen. Die Frage, ob eine solche Haftung wirklich greift, muss aber noch durch Juristen geprüft werden.” Auf eine externe Prüfung hat sich die Kommission bereits geeinigt. Sie soll noch vor der Mitgliederversammlung im November erfolgen.

Als Fanabteilungs-Vorstand können wir bei der ganzen Sache eigentlich nur verlieren


Jakob Scholz

Thomas Treß betonte, dass man in Kernpunkten wie 50+1, Vereinsfarben oder Super League “nullkommanull auseinanderliegt”. Und doch schien durch, dass an manchen Stellen des Papiers um jedes Wort hart gerungen worden sein muss – oder wie Treß es nannte: "Formulierungen mit Reibungsverlusten”.

Mittendrin, quasi zwischen den Stühlen, sitzt die Fanabteilung. Sie soll das Verfahren moderieren, muss gleichzeitig aber die Interessen ihrer 17.000 Mitglieder vertreten. “Als Fanabteilungs-Vorstand können wir bei der ganzen Sache eigentlich nur verlieren”, beschrieb Jakob Scholz, Vorsitzender der FA, die Bredouille. Seine Sorge: “Nachdem wir anfangs eine gewisse Flughöhe ausgerufen haben, könnte man uns nun vorwerfen, unser Handeln sei zu weich und auf Konsens bedacht.” Auch vor diesem Hintergrund hatte sich die Kommission entschieden, die Beratungen mit Gregor Schnittker (IKU_Die Dialoggestalter) von einem externen Gestaltungsunterstützer begleiten zu lassen.

Wie geht es nun weiter? In Kürze beginnt das Online-Beteiligungsverfahren. Zwei Wochen werden die Mitglieder dann Zeit haben, über jeden Punkt des Grundwertekodex einzeln abzustimmen. In Freitextfeldern können sie außerdem Kommentare und Anregungen einfügen. Abhängig von den Ergebnissen wird sich die Kommission anschließend gegebenenfalls erneut zusammensetzen und Anpassungen diskutieren. Nach der geplanten juristischen Prüfung soll der Mitgliederversammlung 2022 ein finaler Vorschlag zur Abstimmung gestellt werden.

Der Kodex zum im Detail

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