"Das weiße Denken"
Lilian Thuram engagiert sich seit vielen Jahren in der antirassistischen Aufklärungsarbeit. Am 31.05.2022 machte der französische Rekordnationalspieler mit seinem neuesten Buch Halt in Dortmund und präsentierte es einem breiten Publikum.
Der Weltmeister von 1998 und Europameister von 2000 beendete im Jahr 2008 beim FC Barcelona seine sportliche Karriere. Seine sportlichen Stationen waren der AS Monaco, der AC Parma, Juventus Turin und schließlich der FC Barcelona. Insgesamt 142 Länderspiele bestritt er für die Équipe Tricolore. In der Champions League Saison 1997/1998 spielte er mit dem AC Parma gegen den BVB. Genau konnte er sich an den Ausgang der Spiele in Gruppe A nicht mehr erinnern. Schließlich wurde der BVB nach dem 6. Spieltag Gruppensieger vor dem AC Parma. Dies war nur eine Randnotiz, der Fußball spielte an diesem Abend keine wesentliche Rolle. Im Vordergrund stand das neueste Buch von Lilian Thuram: "Das weiße Denken".
Man wird nicht weiß geboren, man wird dazu gemacht
Der in Guadeloupe geborene ehemalige Fußballprofi begann seine Lesung mit einer Karten-Darstellung der Erde. Die sogenannte Peters-Projektion bildet das Größenverhältnis der Landmassen ab und kann, wie ein Fußball, aus beliebigen Richtungen betrachtet werden. Die Karte stand auf dem Kopf und erinnerte uns daran, dass wir auch hinsichtlich unseres Denkens die Perspektiven verändern müssen. Für mich war es der Beginn eines spannenden Abends, der mich faszinierte und auch auf Dauer meine Wahrnehmung verändern wird. In der Einleitung seines neuesten Buches stellt Lilian die Frage:“ Was bedeutet es eigentlich weiß zu sein?“ Gleichzeitig fragt er sich: "Nennt man Schwarze Menschen nicht auch People of Colour?“ Das ist der beste Beweis dafür, dass Weiße offenbar keine „Hautfarbe“ haben. Er glaubt, dass wir hier mit Mechanismen konfrontiert werden, die vergleichbar mit denen sind die zur Vorherrschaft der Männer über die Frauen geführt haben. Weiße machen nur 16,6% der Weltbevölkerung aus, gleichzeitig beherrschen sie die Nicht-Weißen in ihren Gesellschaften und in den internationalen Beziehungen.
Das 1. Kapitel des Buches beschäftigt sich mit der Geschichte. Warum hat so ein kleiner Kontinent wie Europa die Welt kolonialisieren wollen? Der Hang seine eigene Bedeutung zu überschätzen ist tief im westlichen Denken verankert und daran hat sich bis heute nichts geändert. Man legitimiert eine politische Entscheidung, indem man sie als Kulturkampf ausgibt und damit die Idee der weißen Überlegenheit stärkt. Die Geschichte wird immer von Siegern geschrieben. Wenn man sich mit Sklaverei und Kolonisation beschäftigt, ist dieses Denken und seine Auswirkungen auch heute präsent und aktuelle Beispiele gibt es genug. Interessant ist auch die Frage: “Warum setzt man Schwarze Menschen und Sklaverei gleich?“ Eigentlich ist das Wort „Sklave“ von „Slawe“ abgeleitet, weil die Völker Osteuropas häufig unterdrückt wurden. Auch hier sind wir in der Gegenwart angekommen.
Versucht man die Ursprünge des Rassismus zu analysieren, spielt auch die christliche Religion eine Rolle. Sie war in der Geschichte immer der beste Vorwand um Herrschaft zu legitimieren. In diesem Zusammenhang stellt Lilian Thuram die Frage:
Wie viele Weiße könnten sich wohl vorstellen, dass Gott Schwarz ist?
Selbst seine Mutter, glaubt er, hätte mit dieser Vorstellung ein Problem. Ist das nicht der endgültige Beweis für die „Weißwaschung“ unseres Denkens? In den weiteren Kapiteln seines Buches beschäftigt sich Thuram mit dem „Weiß sein“, aber auch mit dem „Menschlich werden“. Dabei geht es um die Verteidigung seines Territoriums, um den systemischen Rassismus und koloniale Überbleibsel. Diese real existierende Diskriminierung wird von Populisten offen ausgesprochen. Beispiel ist die Mauer, die Donald Trump zwischen den USA und Mexico errichtet hat, die für eine bestimmte Weltsicht steht. Es gilt, sich von fremdartigen Sitten, von Menschen mit anderer Sprache und vor Vermischungen mit unreinem Blut zu schützen. Der brasilianische Präsident Bolsonaro hat im Wahlkampf ähnliche Äußerungen gegenüber den Indigenen gemacht.
Das Drama Afrikas ist, dass der afrikanische Mensch nicht genug in die Geschichte eingegangen ist
Ein besseres Beispiel für absurdes weißes Denken kann es für mich nicht geben. Es zeigt, dass es nicht genug Veranstaltungen dieser Art geben kann. Wer sich mehr mit dem Thema Rassismus und ökonomischer Gewalt auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich die Ausführungen von Lilian Thuram in seinem Buch „Das weiße Denken“. Auf 295 Seiten schildert er nicht nur seine ganz persönlichen Erlebnisse, sondern hinterlegt viele Aussagen durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis.
Die Kooperationsveranstaltung von ballspiel.vereint!, dem Fan-Projekt Dortmund e.V. und der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 31.05. fand vor einem interessierten Publikum statt und führte zu einer regen Diskussion. Die Originalausgabe „La pensée blanche“ erschien im Jahr 2020. Im März diesen Jahres veröffentlichte die Edition Nautilus GmbH die deutsche Erstausgabe. Das Taschenbuch kann zum Preis von 22 Euro über den Buchhandel, beim Verlag Nautilus und bei Amazon.de (*) bezogen werden.
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