Im Gespräch mit...

BVB Fans in der Ukraine und Russland

19.03.2022, 09:33 Uhr von:  Ferdinand
Spieler von Borussia, Bielefeld und Schiedsrichter stehen um den Mittelkreis. Auf der Werbebande steht "Stop war" und "Stand with Ukraine"
BVB setzt sich gegen den Krieg ein

Wir haben in den letzten Tagen und Wochen schon ganz viel über den Krieg in der Ukraine gelesen und gehört. In Russland und in der Ukraine gibt es einige BVB Fans und wir haben mit zwei von ihnen über die Situation gesprochen.

Oleg ist 33 und kommt aus Kyiv. Igor ist 35 und kommt aus Russland. Beide heißen eigentlich anders, aber um sie zu schützen, erwähnen wir nicht ihren richtigen Namen. Bei Igor verzichten wir sogar auf die Stadt. In Russland ist es verboten, den Begriff „Krieg“ zu erwähnen, den Menschen drohen dafür heftige Strafen und sie können sogar für bis zu 15 Jahren im Gefängnis landen.

Umso mehr freuen wir uns, dass die beiden sich trotz der derzeitigen Umstände Zeit für ein Interview mit uns genommen haben.

Wie seid ihr BVB-Fans geworden?

Igor: Eigentlich schon in meiner Kindheit. Ich war vor allem vom CL-Sieg und dem Tor von Lars Ricken begeistert; seitdem gab es eine Sympathie zum Verein, die später zur „Echten Liebe“ angewachsen ist. So richtig verfolge ich die Spiele der Borussia seit der Kloppo-Zeit, ca. seit der Saison 2010/11 und versuche, kein Spiel zu verpassen. Als der BVB in Krasnodar gespielt hat, war ich dort und war schon einmal im Westfalenstadion.

Oleg: Ich bin schon länger BVB-Fan. Erstes Interesse an der Borussia hatte ich nach dem CL-Sieg 1997. Richtiger Fan bin ich wohl am Anfang der 2000er Jahre geworden. Ich kann mich immer noch an die Mannschaft erinnern. Mein Lieblingsspieler ist Tomáš Rosický. Und ich kann mich auch gut an die Spiele der Borussia gegen die ukrainischen Mannschaften, Dynamo Kyiv und Schachtar Donezk, erinnern. Die Mannschaft von Matthias Sammer war unglaublich. Ich habe leider noch kein BVB-Spiel im Stadion gesehen. Ich hatte es zwar schon länger vor, aber es klappte irgendwie nicht. Mal gab es keine Tickets, mal hatte ich keine Möglichkeit, nach Dortmund zu kommen. Aber ich bin mir sicher, dass ich irgendwann im Westfalenstadion bin und mit den Fans „Und wenn du das Spiel gewinnst“ und „Deutscher Meister wird nur der BVB“ singen werde.

Oleg, wie geht es dir, wie geht es deiner Familie?

Oleg: Naja, nicht gut. Meine Familie ist seit ein paar Tagen in Deutschland. Ich hatte zum Glück die Möglichkeit, meine Frau und Kinder mit dem Auto hierhin zu schicken, damit die in Sicherheit sind.

Ich habe Kyiv verlassen und wohnte erst in einem kleinen Dorf. Nur 2 km entfernt, im Nachbarsdorf, schlug eine Fliegerbombe auf ein Wohnhaus ein. Neun Menschen starben, nur ein Mann, der nicht zu Hause war, ist am Leben geblieben. Er ist vermutlich nicht froh, dass er noch lebt. Ich bin nur einen Tag vor diesem Vorfall umgezogen und wohne jetzt in einem anderen Dorf. Als ich erfahren habe, dass die Bombe explodiert ist, fühlte ich mich ehrlich gesagt ziemlich unwohl. Viele meiner Freunde haben keinen Kontakt mehr zu ihren Familienangehörigen. Was in Tschernigow und Mariupol passiert, ist der Horror. Die Städte sind komplett zerstört – das ist die Realität und alle Aufnahmen sind echt und nicht gefakt.

Igor, wie sieht es bei euch in Russland aus?

Igor: Es gibt noch vernünftige Menschen, aber leider nicht so viele, wie man sich wünschen würde. Die Mehrheit ist wirklich vom Revanchismus und dem Wahn besessen, dass um uns herum nur Feinde sind. Wir brauchen die alle nicht, wir können es alleine mit der ganzen Welt aufnehmen. Die Menschen, die früher „neutral“ waren, sagen jetzt auch, dass man die Ukraine schon längst einnehmen müsste und man sollte sich nicht an der westlichen Welt orientieren. Die Wirtschaft ist dabei komplett am Ende, die Löhne liegen im Schnitt bei 250 - 300 Euro. Viele Freunde von mir, die eine gesunde und vernünftige Einstellung haben, versuchen das Land mit der Familie zu verlassen.

Dabei sind sich viele in Russland sicher, dass es alles nur für eine kurze Zeit ist. Man wird die Ukraine einnehmen und dann werden die Sanktionen wieder zurückgenommen und man hätte dann wieder ein Leben wie früher.

Twitter und Instagram sind blockiert, YouTube ist wohl als nächstes dran. Im Fernsehen läuft nur widerliche Propaganda. Es wird berichtet, dass die Ukrainer selbst auf die Häuser schießen, dass dort überall Nazis sind, dass der Beschuss von Mariupol ein Fake (des Westens) ist, die westlichen Länder hätten Russland ausgeraubt und man müsste alles renationalisieren.

Auf der Anzeigetafel im Westfalenstadion steht (auf der ukrainischen Fahne) #StandWithUkraine und Stop war
Anzeigetafel im Westfalenstadion

Gibt es in Russland Proteste gegen den Krieg?

Igor: Ja und an denen nehmen relativ viele Menschen teil. Aber die Proteste werden brutal niedergeschlagen. Zum Teil ist es komplett absurd: Es werden Menschen mit den leeren Plakaten oder Antikriegsplakaten aus der UdSSR-Zeit verhaftet. Vor der größten Kirche des Landes wurde eine Frau verhaftet, bei der auf dem Plakat ein Zitat aus der Bibel stand: „Du sollst nicht töten“.

Leider bringen die Proteste nichts, aber man versucht alles Mögliche.

Welche Träume, Wünsche und Hoffnungen habt ihr?

Oleg: Ich wünsche mir eigentlich nur zwei Sachen: dass der Krieg aufhört und dass meine Familie und ich wieder vereint sind. Ich vermisse sie sehr.

Igor: Ich möchte, dass das menschliche Leben niemals unter die abscheulichen Ambitionen gestellt wird, die durch Pseudopatriotismus gerechtfertigt werden sollen.

Oleg, kann man dir oder deiner Familie helfen?

Oleg: Meine Familie befindet sich zurzeit in Deutschland, um dem Krieg zu entfliehen. Wir überlegen, was wir weiter machen können. Wenn wir in Deutschland bleiben, würde ich mir wünschen, dass meine Frau und Kinder nach Dortmund gehen, weil hier die Borussia spielt. Ich mag die Stadt und die Fans. Aber es gibt zurzeit keine freien Wohnungen hier, wo sie für ein paar Monaten unterkommen könnten. Sie haben natürlich auch kein Geld mit. Sie sind sofort aufgebrochen als der Krieg anfing. Ein Krieg ist natürlich ganz schlimm.


Auch wenn die Frage komisch und vielleicht unpassend ist: Schaut ihr die BVB-Spiele?

Igor: Ja, ich schaue die Spiele weiter. Noch kann man sie sehen. Als es im Stadion eine Aktion gegen den Krieg gab, hat der russische Sender auf die Werbung umgeschaltet. Während des Spiels hat man sich überhaupt nicht (zu den Trikots) geäußert.

Oleg: Nein, die Frage ist schon in Ordnung. Ich interessiere mich weiter für die Mannschaft und schaue mir die Ergebnisse an. Ich hätte sogar das Spiel gegen Mainz schauen können. Aber ich konnte es dann doch nicht. Es ist moralisch schwer, wenn man weiß, was hier passiert. Es ist wie mit dem Essen: eigentlich hast du Hunger, aber du kriegst nichts runter. Deswegen habe ich mir nur die Aufstellung und das Endergebnis angesehen. Borussia ist eine der weniger Sachen, die mir noch etwas Freude bringen kann. Deswegen habe ich mich sehr über den Sieg gefreut. Wenn es nur eine kleine Möglichkeit gäbe, dass die Spieler meine Worte lesen, möchte ich mich an die wenden: „Jungs, ihr seid geil, ihr habt ganz viele Fans in der Ukraine. Ja, es gibt ein paar Probleme mit der Aufstellung und Verletzungen, aber ihr seid Borussia Dortmund. Ihr könnt alles! Gebt weiter Gas! Es gibt ein Zitat von Henry Ford: ‚Ob du denkst, du kannst es oder du kannst es nicht – in beiden Fällen hast du Recht‘“. Ich mache (oder besser gesagt, habe gemacht, da der Lehrgang wegen des Kriegs unterbrochen wurde) einen Trainerschein. Ich habe mir gedacht, dass ich dieses Zitat ausdrucke und meinen Fußballern zeige. Das wird das erste sein, das ich meiner Mannschaft versuchen werde beizubringen bzw. klar zu machen. Außerdem möchte ich gerne dem ganzen Verein dafür danken, dass er meinem Land in dieser schrecklichen Notlage zur Seite steht. Ich weiß, dass die Borussia schon humanitäre Hilfe für die Ukraine geleistet hat, dass die Mannschaft mit der blau-gelben Fahne auf der Brust spielt und die Fans mein Land in diesen dunklen Zeiten ebenfalls unterstützen. Vielen Dank euch allen!!! Dieser Krieg wird enden. Echte Liebe!

Vielen Dank euch beiden für dieses Interview.

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