Stellungnahme von ballspiel.vereint!: Strafanzeige wegen häuslicher Gewalt gegen Nico Schulz
Wir veröffentlichen im Folgenden eine Stellungnahme von ballspiel.vereint!, einer Initiative von BVB-Fans gegen Diskriminierung:
Am 06.08.2022 wurde medial darüber berichtet, dass die ehemalige Partnerin von Nico Schulz Strafanzeige gegen diesen gestellt hat und ihn beschuldigt, in mehrfacher Hinsicht gegen sie gewalttätig geworden zu sein. Darum möchten wir unsere Solidarität mit allen Frauen erklären, die von häuslicher Gewalt betroffen sind und unterstreichen, dass ballspiel.vereint! immer auf der Seite jener steht, die von Diskriminierung und Gewalt betroffen sind. Denn als ballspiel.vereint! haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, im Umfeld von Borussia Dortmund eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder sexueller Orientierung, wohlfühlen können. Sexismus und ein patriarchal geprägtes Wertesystem gehören dabei im Kontext Fußball zu den drängendsten Problemen.
Bedingungslose Solidarität mit Opfern hat nichts mit der juristischen Gültigkeit der Unschuldsvermutung zu tun, sondern ist notwendige Parteinahme für marginalisierte Gruppen, deren Stimmen in einer von strukturellen Diskriminierungsformen geprägt Gesellschaft zu wenig Gehör finden. Denn Gewalt gegen Frauen ist ein weitreichendes Problem, das auf einer frauenfeindlichen Grundeinstellung fußt. Weltweit sterben täglich mehr als 100 Frauen durch die Hand ihres (Ex-)Partners oder Familienangehöriger. In Deutschland statistisch alle drei Tage. Diese Taten, auch Femizide genannt, geschehen nicht irgendwo am Rande der Gesellschaft, sondern überall.
Die Dunkelziffer bei Straftaten häuslicher Gewalt ist enorm hoch und es erfordert großen Mut von Frauen, solche Fälle strafrechtlich zur Anzeige zu bringen. Denn in vielen Fällen häuslicher Gewalt besteht eine „Aussage-gegen-Aussage“-Situation zwischen Opfern und Tätern [1]. Zudem befinden sich betroffene Frauen oft in einer ökonomischen, sozialen und emotionalen Abhängigkeit vom Täter. In der Beziehung selbst wird häufig ein Zyklus der Gewalt durchlaufen, in dem der Täter vermeintliche Reue zeigt, sich selbst als Opfer eines Ausnahmezustands darstellt und sich damit der Verantwortung für seine Taten entzieht. Diese Dynamiken haben oft zur Folge, dass Betroffene über Monate oder Jahren fortwährend Gewalt erfahren. Bringen Frauen den Mut und die Kraft auf, ihr Schweigen zu brechen, sehen sie sich häufig mit den Vorwürfen konfrontiert, wieso sie nicht schon viel früher etwas gesagt hätten. Zusätzlich existieren oft keine handfesten Beweise wie Wunden oder Zeug*innen für die Taten mehr, wenn die gewaltvolle Beziehung schon einige Zeit zurückliegt. Im Sinne der Unschuldsvermutung werden Täter vor Gericht dann oft aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Dies ist juristisch richtig und ein wichtiges Prinzip des deutschen Rechtssystems. Trotzdem erschwert es Betroffenen, über das Erlebte zu sprechen. Die Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, und die Retraumatisierung durch ein potenziell erfolgloses Verfahren stellen für Opfer also ein hohes Risiko bei Strafanzeigen dar.
Aufgrund dieser spezifischen Dynamiken von häuslicher Gewalt haben wir als ballspiel.vereint! vom BVB, einem großen gesellschaftlichen Akteur mit hoher Reichweite und Einfluss, ein klareres Statement zur Causa Schulz und dem Thema häuslicher Gewalt im Allgemeinen erwartet. Auch wenn wir Verständnis dafür haben, dass der BVB aus juristischer Zurückhaltung bis dato noch keine arbeitsrechtlichen Schritte gegen den beschuldigten Spieler ergriffen hat, würden wir uns doch etwas mehr wünschen als das sehr kühle Statement vom 07.08.2022, in dem sich nur allgemein „von jeglicher Form der Gewalt“ distanziert wurde.
Wieso ist von Vereinsseite bisher noch keinerlei breitere thematische Einordnung der Vorwürfe hinsichtlich der oben angerissenen großen gesellschaftlichen Dimension häuslicher Gewalt zu lesen? Wieso wird im Statement nicht einmal die Mühe aufgebracht, Beratungsmöglichkeiten für Opfer häuslicher Gewalt aufzulisten, obwohl derartige Anlaufstellen existieren?
In Dortmund erfahren Betroffene Unterstützung durch die Frauenberatungsstelle (Tel.: 0231521008) oder das Frauenhaus (Tel.: 0231800081). Bundesweit können sich von Gewalt betroffene Frauen beim „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ melden. Das Hilfetelefon ist unter der Nummer 08000 116 016 jeden Tag rund um die Uhr und in 18 Sprachen erreichbar.
Wer schweigt, ist Teil des Problems. Auf Schweigen gründet Gewalt, auf Gewalt gründen Femizide.
ballspiel.vereint! e.V. im August 2022
[1] Es gibt männliche und weibliche Täter*innen und Betroffene Häuslicher Gewalt. Mehrheitlich wenden jedoch Männer Gewalt gegen Frauen an. Deshalb und im Kontext des konkreten Vorwurfs, wird hier ausschließlich von „Tätern“ gesprochen.