Homosexualität im Fußball – Warum 11Freunde fetzt und Philipp Lahm mal besser die Klappe gehalten hätte
Ich bin Fußballfan. Ich bin queer. Und Philipp Lahms Aussagen machen mich wütend.
In ihrer aktuellen Ausgabe setzt 11Freunde ein Statement von nicht zu unterschätzendem Wert. 800 Fußballerinnen und Fußballer in Deutschland sind am Zeichen gegen Homophobie beteiligt, umgesetzt durch eindrucksvolle Fotos und – mal mehr, mal weniger – deutliche Statements. Und – das muss man einfach mal so sagen – das ist tatsächlich einfach nur hammergeil. Ich bin selbst nicht „heteronormativ unterwegs“, wie es ein Kollege einst so schön sagte, und als ich beim Vormittagskaffee durch die Coverfotos und Statements klickte, hatte ich einfach nur Herzklopfen und richtiggehend Gänsehaut – der positiven Art, versteht sich. Diese Aktion ist vor allem deshalb so schön, weil es wirklich mal etwas Handfestes ist. Menschen, die sich mit ihrem Gesicht und ihrem Namen ganz klar zu einem wichtigen Thema positionieren, das eigentlich keins mehr sein sollte.
Dass es auch anders geht, zeigten noch am selben Tag die Zitate aus dem Buch des nicht ganz unprominenten Ex-Fußballers Philipp Lahm. Nun ist es mir ja im Großen und Ganzen relativ egal, was irgendwelche Ehemaligen auf der Suche nach ihrer schwindenden Relevanz so an literarischer Kunst in den Äther pusten. Aber bei dem Thema, das mich auch irgendwie persönlich betrifft, las ich dann doch mal genauer rein – und bekam recht zügig das kalte Kotzen. Das recht plakative „Philipp Lahm rät vom Coming-Out ab“ der meisten Medienvertreter ist nicht einmal das (Haupt-)Problem. Dass es bei so einer Aktion wohl ordentlich scheppern dürfte, wird leider niemand abstreiten können. Der springende Punkt liegt viel eher in den von Lahm gewählten Gründen und Formulierungen.
Der Betroffene würde nicht mit genügend „Reife bei vielen Gegnern im Sport und ganz sicher nicht in allen Stadien rechnen dürfen“, schreibt er da zum Beispiel. Denn natürlich dürfen mal wieder die Stadien, also die Fans – der gemeine Pöbel, herhalten.
Dass es auf keinen Fall nur positive Resonanz von Seiten der Tribünen geben würde, ist glaube ich ebenfalls kein Punkt, über den wir streiten müssen. Nur: Ist es denn dagegen so angenehm, als „Arschloch, Wichser, Hurensohn“ beschimpft zu werden? Wenn Beleidigungen von Fans so ein riesiges Thema sind, warum wechseln dann noch Spieler zum verhassten Vereinsrivalen? In der heutigen Zeit hat man als Fußballer doch ohnehin nur noch in Mikrodosen Kontakt zu den Fans. Und man darf auch nicht vergessen, dass wir uns nicht mehr in den 80ern befinden und gerade die organisierten Fanszenen in dieser Beziehung vielerorts inzwischen deutlich fortschrittlicher denken, als die Chefetagen vieler Bundesligavereine. Aber dass die Allgemeinheit den Inhalt der deutschen Kurven immer noch als eine Ansammlung tumber Proleten mit der Hirnleistung einer Amöbe ansieht, zeigte ja jüngst erst die „Überraschung“ darüber, dass Fußballfans tatsächlich in der Lage waren, Corona zu verstehen und verantwortungsbewusst mit der Situation umzugehen.
Bitte nicht falsch verstehen: Fans sind mit Sicherheit auch ein Teil davon, weshalb man sich so eine Entscheidung gut überlegt. Jedoch sind sie nicht der einzige – oder der wichtigste.
Auch bei den vermeintlich problematischen Mitspielern wäre ich mir nicht so sicher, ob das Problem wirklich überall so ein großes wäre. Allein die in der 11Freunde vertretenen 800 Akteure sprechen doch eigentlich eine deutliche Sprache. Vielleicht bin ich in dieser Beziehung auch einfach zu naiv oder zu viel im Frauenfußball, wo Queerness nun mal als völlig normal akzeptiert wird, unterwegs, aber irgendwie kann und will ich mir einfach nicht vorstellen, dass in der heutigen Fußballergeneration wirklich nur emotional verkrüppelte Hohlfritten unterwegs sind, die völlig am Rad drehen, weil der Nachbar in der Mannschaftsdusche jetzt halt auf Bart und Pimmelmann steht.
Was aber zumindest bei der Vorstellung des Buches überhaupt kein Thema zu sein scheint, sind die wirklich Mächtigen im Fußball. Da ist zum einen natürlich die Riege der alten, weißen Männer, in deren Köpfen gleichgeschlechtliche Beziehungen immer noch eher als Krankheit, denn als Normalität wahrgenommen werden.
Und zum anderen der wachsende Einfluss von Ländern, in denen LGBT+ ein komplettes Tabuthema oder gar eine Straftat ist. Ein homosexueller Spieler, der gewisse Ambitionen mitbringt, wird sich unweigerlich fragen (müssen), in wieweit ihm ein Outing die Karriere verbaut. Denn viele (Top-)Vereine dürften dann vom Tisch sein. Wird der katarische Sponsor begeistert von der Aussicht sein, dass seine Kohle für eine Schwuppe draufgeht? Wohl kaum. Was ist mit Trainingslagern in Ländern, in denen man für Homosexualität schlichtweg in den Knast wandert? Gibt es dann eine Sondergenehmigung für den Betroffenen? Muss derjenige dann zum Schutz zu Hause bleiben? Darf er das Hotel nur unter Schutz verlassen?
Und natürlich der große Elefant im Raum: die WM in Katar. Wo gefordert wird, doch bitte auf die homophobe Kultur Rücksicht zu nehmen und gleichgeschlechtliche Liebe mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft wird. Als Bundestrainer ist man da sicherlich weniger erfreut über die Aussicht, einen „Störfaktor“ in Form eines offen homosexuellen Spielers im Gepäck zu haben. Dass es der UEFA und FIFA scheißegal ist, wenn Spieler in Ländern diskriminiert werden und nicht erwünscht sind, sah man ja vor nicht allzu langer Zeit am Beispiel von Mkhitaryan. Der hatte dann im EL-Finale halt einfach Pech gehabt.
So zu tun, als wären Diskriminierung im Fußball ein reines gesellschaftliches Problem, ist nicht nur engstirnig und unreflektiert, sondern gegenüber sehr vielen Fans schlicht und ergreifend unverschämt.
So richtig schön wird es bei Lahms Buchvorstellung dann aber bei diesem Zitat: "Wenn er so etwas planen und mir davon erzählen sollte, würde ich ihm empfehlen, sich sehr intensiv mit seinen engsten Vertrauten zu beraten und sich selbst ehrlich Rechenschaft zu geben über seine Beweggründe für diesen Schritt."
Entschuldigung Fipsi, aber brennt bei dir eigentlich noch Licht? Was ist das denn für eine beschissene Art der Formulierung und des Framings? Ein Spieler soll sich also selbst darüber Rechenschaft geben, einfach ein beschissenes normales Leben, ohne sich in der Öffentlichkeit verstecken und verleugnen zu müssen, führen zu wollen. Na herzlichen Glückwunsch. An dieser Stelle würden mich übrigens die „richtigen“ Beweggründe für ein Coming-Out brennend interessieren. Dass es einfach absolut gestört ist, dass sich Menschen für etwas, für das sie weder etwas können, noch mit dem sie irgendjemandem schaden würde, für etwas, dass einfach normal sein sollte, verstecken müssen, scheint ja kein richtiger Beweggrund zu sein…
Ich verstehe grundsätzlich, aus welcher Ecke Lahm kommt. Er möchte vermutlich einfach den Spieler schützen. Zwischen gut gemeint und gut gemacht liegen bei seiner Ausführung allerdings Welten. Mit seinen Aussagen verschiebt er das Täter-Opfer-Bild in die komplett falsche Richtung, stellt die Homophobie der Gesellschaft und des Sports als etwas unumstößlich Gegebenes dar und treibt den Spieler, der einfach nur sein Leben leben möchte, in die Verantwortlichkeit.
Dabei sollte es nicht darum gehen, ob oder warum sich jemand outet. Es sollte darum gehen, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich jeder, aus welchen Gründen auch immer, outen kann – oder sich gar nicht outen muss, weil ein von der Heteronormativität abweichender Lebensstil etwas ganz Normales ist.
Im Grunde verstärkt Lahms Büchlein noch einmal die Bedeutung von dem, was 11Freunde geleistet hat. Denn statt den Betroffenen zu erklären, was sie zu tun und zu lassen haben, um sich ein Coming-Out zu verdienen, machen sie den richtigen Schritt und arbeiten proaktiv daran, den steinigen Weg zum ersten Coming-Out eines aktiven Spielers ein wenig zu glätten.
Homo-, Bi-, Pan-, Wasauchimmersexuelle Spieler brauchen keine Hete, die ihnen erklärt, dass es homophobe Deppen gibt. Das wissen sie in der Regel. Sie brauchen Menschen, die sie unterstützen und sie „vor den Idioten draußen schützen“, um mal Max Kruse zu zitieren.
Und wehe, einer kommt jetzt mit der „Homosexualität sollte egal sein, also sollte man nicht drüber reden“-Schiene. Denn ja, es sollte egal sein. Im Idealfall würde sich der Spieler, der sich in einer Beziehung mit einem Mann befindet, mit seinem Partner genauso in der Öffentlichkeit zeigen, wie seine Kollegen in heterosexuellen Beziehungen. Und es wäre tatsächlich egal. Das ist es aber nicht. Und solange das nicht so ist, besteht Handlungsbedarf.
Zum Abschluss bleibt noch eins zu sagen: Liebe Fußballer der LGBT+-Fraktion, die diesen Text sicherlich zu Hauf lesen werden: Sollte euch irgendwer wegen eurer Sexualität doof kommen, könnt ihr gerne bei mir durchklingeln. Meine Boxkünste sind zwar nicht unbedingt überdurchschnittlich ausgeprägt, aber dafür kann ich super treten und kenne mich zudem mit Triggerpoints aus. Auf mich könnt ihr also auch zählen.