Geldstrafe für Bundespolizist nach Angriff auf schwatzgelb.de Redakteur
Der brutale Polizeieinsatz im Dortmunder Hauptbahnhof nach dem Auswärtsderby 2019, bei dem ein schwatzgelb.de-Redakteur schwere Gesichtsverletzungen davongetragen hat, war nun erstmalig Gegenstand eines juristischen (Straf-)Verfahrens. Das Ergebnis: ein Polizeibeamter wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung im Amt zu einer Geldstrafe in Höhe von 9.000,- € (150 Tagessätzen) verurteilt. Ein mehr als fader Beigeschmack bleibt jedoch.
Es ist paradox: einerseits hinterlässt das Urteil bei den Beteiligten wohl kaum das Gefühl, dass ihnen Gerechtigkeit widerfahren ist. Andererseits lautet die bittere Erkenntnis auch, dass in diesem Fall schon wesentlich mehr erreicht wurde, als man normalerweise hätte erwarten können. Denn: Strafverfahren gegen Polizeibeamte, die zu einer Verurteilung führen, besitzen absoluten Seltenheitswert.
Dr. Andreas Hüttl,
der zusammen mit Rechtsanwalt Stefan Witte das Opfer als Nebenkläger
vertreten hat, spricht diesen Umstand schonungslos an: „Es ist
alles andere als selbstverständlich, dass es überhaupt zu Anklagen
kommt. Statistisch reden wir hier über eine verschwindend geringe
Zahl.“ Eine vielbeachtete Studie der Ruhr-Universität Bochum
beschrieb 2019, dass 80 Prozent aller Fälle von Polizeigewalt nie
angezeigt werden und von den verbliebenen 20 Prozent gerade einmal
zwei Prozent vor Gericht landen. Zu einer Verurteilung von
Polizistinnen und Polizisten kommt es dabei so gut wie nie.
Mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus
Eine (emotionale) Schilderung der Ereignisse haben wir seinerzeit hier vorgenommen. Zur Erinnerung: Nach der Rückkehr der Dortmunder Fanszene aus Gelsenkirchen im Oktober 2019 kam es zu Provokationen eines Schalker Anhängers im Hauptbahnhof. Eine daraus entstandene Auseinandersetzung nahm die anwesende Einheit der Bundespolizei zum Anlass, die Dortmunder Fans wortwörtlich aus dem Hauptbahnhof hinauszuprügeln. Ein völlig unbeteiligtes Mitglied unserer Redaktion wurde dabei von dem Täter mit einem gezielten Faustschlag so schwer verletzt, dass es zu einem dreifachen Kieferbruch kam. In der Folge musste er sich einer aufwändigen Operation unterziehen. Wochenlang konnte er nur flüssige Nahrung zu sich nehmen und verlor über 10 Kilogramm an Gewicht. Noch heute leidet er neben den Taubheitsgefühlen im Gesicht auch unter den psychischen Folgen, etwa die Angst vor uniformierten Einsatzkräften bei größeren Versammlungen.
Nicht nur die Verurteilung zu 150 Tagessätzen, sondern auch weitere Umstände des Verfahrens machen das deutlich, was Hüttl als „völliges Versagen der Justiz, mit solchen Fällen von Polizeigewalt umzugehen“ bezeichnet. Denn: auf den Videoaufnahmen waren noch andere übergriffige Handlungen des Polizeibeamten zu erkennen, die aber nach Ansicht der Staatsanwaltschaft im Verhältnis zum Faustschlag „nicht beträchtlich ins Gewicht fielen“ (§ 154 StPO) und deshalb nicht weiter verfolgt wurden.
Nur ein Zufall identifizierte den Täter
Ein weiterer, für den Betroffenen viel entscheidender Punkt: trotz dieser totalen Eskalation der Gewalt wird der Täter voraussichtlich keine weiteren disziplinarischen Konsequenzen im Sinne einer Entlassung aus dem Polizeidienst befürchten müssen. Eine zwingende Entfernung aus dem Dienst ist disziplinarrechtlich erst ab einer gewissen Grenze vorgesehen, die durch die Verurteilung nicht gegeben ist. Aussagen des Dienstherren, dass sich der betroffene Beamte sonst immer ordentlich verhalten hätte, lassen nicht vermuten, dass der Täter noch weitere Konsequenzen zu befürchten hat. Somit bleiben als Folge der strafrechtlichen Verurteilung lediglich zivilrechtliche Ansprüche, also Schadensersatzleistungen und Schmerzensgelder. Das erhoffte Zeichen gegen diese Form der Polizeigewalt wurde damit aber nicht gesetzt.
Was unterscheidet diesen Fall nun von unzähligen anderen Situationen, in denen sich Polizeibeamtinnen und -beamte gewalttätig verhalten und damit ungestraft davonkommen? Dr. Hüttl nennt hier unmissverständlich zwei Aspekte: die vorliegenden Videoaufzeichnungen und das große mediale Echo nach den Ereignissen im Oktober 2019.
Einzig und allein das Video aus dem Hauptbahnhof, auf dem der Faustschlag ganz klar zu erkennen ist, sei das entscheidende Beweisstück gewesen. Bedingt durch die abgeschaffte Kennzeichnungspflicht der Polizei in NRW gelang es nur durch eine besondere Markierung am Polizeihelm, den Angeklagten Paul R. als Täter zu identifizieren. Ein seltener Zufall, mit dem die wenigsten Opfer von Polizeigewalt rechnen können.
Polizeigewalt als strukturelles Problem
Zeugenaussagen? In Verfahren gegen Polizeibeamte lange nicht so wertvoll. Steht es Aussage gegen Aussage, neigt die Justiz eher dazu, den Beamtinnen und Beamten Glauben zu schenken – schließlich arbeiten sie mit diesen regelmäßig zusammen „im selben Lager“. Im schlimmsten Fall werden Zeugen dann selbst mit Anzeigen und Strafverfahren überzogen. Dass diese Verteidigungsstrategien einem klaren Muster folgen, zeigt auch der Dortmunder Fall: das Opfer habe sich „in Boxerstellung“ auf den Beamten zubewegt, gab der Polizist an – wohl wissend, dass eine Videoaufzeichnung vorliegt, die diese Behauptung klar widerlegt. Sachverhaltsschilderungen, die Hüttl in zahlreichen Verfahren gegen Beamtinnen Beamte in dieser Form begegnen.
Zudem habe auch die überregionale Berichterstattung sicherlich dafür gesorgt, dass ein gewisser öffentlicher Druck auf der Staatsanwaltschaft lastete. Schon am selben Abend kursierten in den sozialen Netzwerken Videos des brutalen Einsatzes. Nicht nur die Dortmunder Fanhilfe oder schwatzgelb.de berichteten über den Vorfall, sondern auch zahlreiche andere Medien. Die Öffentlichkeitsarbeit von Fußballfans in Konflikten mit der Polizei darf daher keinesfalls unterschätzt werden.
Apropos Öffentlichkeitsarbeit: ein weiteres Nachspiel der Ereignisse findet derzeit vor dem Kölner Verwaltungsgericht statt. Hier soll gerichtlich festgestellt werden, dass die Räumung des Hauptbahnhofs insgesamt rechtswidrig war.
Aber auch diesbezüglich ist die Ernüchterung nicht weit entfernt: für die Betroffenen resultieren aus einem Urteilsspruch des Verwaltungsgerichts mitnichten konkrete Entschädigungen oder dergleichen. Ein positiver Ausgang vor dem VG Köln wäre eher ein „moralischer Sieg“, der dafür genutzt werden kann, die Öffentlichkeit für solche Fälle von Polizeigewalt zu sensibilisieren.
Unser Kommentar im Oktober 2019 endete mit den Worten:
„Stellt euch einen Moment lang vor, dass ihr als absolut Unbeteiligte durch einen Polizeieinsatz massiv verletzt werdet und im Anschluss nicht einmal realistisch davon ausgehen könnt, dass der Täter ernsthaft zur Verantwortung gezogen wird. Im besten Fall sieht man die betroffene Hundertschaft ja beim nächsten Auswärtsspiel wieder.“
Eineinhalb Jahre später wurde tatsächlich sogar ein Urteil gesprochen. Wie sich dieses Urteil für den Betroffenen wohl anfühlen mag – da lagen wir mit der düsteren Prognose leider gar nicht so falsch.