Der BVB vor dem Saisonstart: es könnte holprig werden
Das Trainingslager der Borussia in Bad Ragaz neigt sich allmählich dem Ende zu. Was für Rückschlüsse lassen sich also aus den Trainingseinheiten ziehen, die für die Medien zugänglich waren und wie ist der status quo beim BVB derzeit insgesamt?
Mein Fazit nach einer knappen Woche in Bad Ragaz fällt geteilt aus: nach den ersten beiden Tagen in der Schweiz gab es außer wenigen Einheiten am Ball und dem eher ernüchternden Testspiel gegen Athletic Bilbao hauptsächlich Einheiten im Athletikzelt. Der obligatorische morgendliche Blick auf das Personal verriet, dass der BVB ohne zahlreiche Spieler der U23 und U19 einen Trainingsbetrieb überhaupt nicht aufrechterhalten könnte. So war es keine Seltenheit, dass aufgrund kleinerer Blessuren (Reyna, Dahoud) bzw. aufgrund des Trainingsrückstandes nach langen Verletzungen (Zagadou, Coulibaly) nicht wenige Profis allein oder im Einzeltraining ihre Runden über den Trainingsplatz drehten.
So sehr diese Umstände unter den geneigten BVB-Fans Sorgenfalten hervorrufen dürften: gegen Anfang der Woche sah die Lage jedoch schon ein ganzes Stück besser aus. Nicht nur stießen allmählich mehr Spieler zur Mannschaft hinzu (seit Donnerstag fehlen im Grunde nur noch Thomas Delaney und Jude Bellingham), sondern auch die Trainingseinheiten ließen mehr von dem erkennen, was Marco Rose und sein Trainerteam in der kommenden Saison vorhat. Die Simulation von Pressingsituationen, das hohe Anlaufen, schnelle Abschlüsse, Flanken aus dem Halbfeld - die ein oder andere Übungseinheit ließ dann doch erkennen, welche Schwerpunkte unter dem neuen Trainerteam gelegt werden.
Dass die neuen Ideen nicht von heute auf morgen direkt umgesetzt werden können, das deutete auch Kapitän Marco Reus an. In einer Medienrunde machte er deutlich, dass das Training unter Rose durchaus herausfordernd sei und man sich sicherlich nicht schon zum Saisonstart am Maximum des Leistungsvermögens befinden würde - in Anbetracht der personellen Situation rund um die fehlenden EM-Fahrer wäre das in der Tat auch etwas viel verlangt.
Gleichwohl birgt dieser Zustand auch Gefahren: wenn man seit dem Trainingsbeginn Anfang Juli faktisch ohne Profi-Innenverteidiger trainiert, dann kommt man nicht umhin zu denken, dass die erste Pokalrunde in Wiesbaden eine Art drittes Testspiel vor dem Bundesligastart darstellen wird. Schließlich werden in Wiesbaden einige Spieler – wenn überhaupt – erst eine knappe Woche Mannschaftstraining auf dem Buckel haben.
Nichtsdestotrotz hilft alles nichts - schließlich ergeht es den Konkurrenten in der Bundesliga-Spitze auch nicht wirklich anders. Marco Rose betonte nach der 0:2-Niederlage gegen Bilbao auch passenderweise, dass man sich über diese schwierigen Umstände nicht beschweren würde; immerhin war seit Monaten klar, wie die Lage in diesem Sommer aussehen würde.
Einen positiven Effekt hatte die personelle Situation beim BVB jedoch: durch das Fehlen zahlreicher Akteure rutschten einige Jugendspieler in den Kader des Trainingslagers und konnten sich hier der Aufmerksamkeit des Trainingsteams erfreuen. Dass die jungen Spieler dadurch nicht nur der Mannschaft einen wertvollen Dienst erweisen, sondern auch auf sich selbst aufmerksam machen können versteht sich von selbst. Insbesondere in der Innenverteidigung würde es nicht überraschen, wenn in der ersten Pokalrunde Lennard Maloney oder Antonios Papadopoulos bei den Profis aushelfen. Dass sie sich über diese besondere Gelegenheit im Klaren sind, machten beide in den Trainingseinheiten deutlich, indem sie auffallend selbstbewusst und laut in der Kommunikation auftraten.
In einer Sache waren sich alle BVB-Akteure in den Medienrunden einig: man möchte nahtlos an die Leistungen im Endspurt der vergangenen Saison anknüpfen. Dass dem BVB der Gewinn von Titeln durchaus ganz gut zu Gesicht steht, das konnte man den meisten Spielern anmerken. Dies führt unweigerlich zur Frage nach den Saisonzielen, die der Autor dieses Textes auch Geschäftsführer Aki Watzke stellte: der konterte mit all seiner medialen Erfahrung und griff die Formulierung des Fragestellers auf, dass man sich natürlich nicht „aus dem Fenster lehnen“ würde – schließlich sei das ein Anzeichen von Überheblichkeit. Es bleibt also alles beim Alten: Champions League-Qualifikation, Berlin wäre nett, in der Königsklasse in die K.O.-Runde zu kommen schadet auch nicht. Marco Reus schlug in eine ähnliche Kerbe und äußerte in Bezug auf die Bundesliga: „mal schauen“.
Bevor ich falsch verstanden werde: solange man sich intern auf gewisse Ansprüche und Ziele verständigt, ist nichts unwichtiger, als diese auch gebetsmühlenartig öffentlich formulieren zu müssen. Klar ist aber auch: mit der vielleicht letzten Saison eines (künftigen) Weltklasse-Stürmers in Gestalt von Erling Haaland und einem allmählich alternden Marco Reus, der nicht die letzte Saison in Spitzenform beendete und einen wohlverdienten Urlaub sowie eine vollständige Vorbereitung absolvieren konnte, könnte sich in diesem Jahr vielleicht ein kleines Meisterschaftsfenster öffnen. Hierfür kann sich der BVB anfängliche Startschwierigkeiten jedoch eigentlich nicht leisten, weshalb der Saisonstart umso spannender zu beobachten sein wird. Ja, es wird vielleicht etwas holprig werden, aber wird man diese Phase trotzdem ohne größere Ausrutscher überstehen?
Deutlich mehr Zuversicht strahlte hingegen Mo Dahoud aus. Der bekam nach seiner Vertragsverlängerung in einer sehr empfehlenswerten Ausgabe des BVB-Podcasts die Frage gestellt, ob das neue System von Marco Rose den BVB auf ein neues Level heben könne. Antwort: „100 %". Wir sind gespannt auf die neue Saison!