"Dann müssen wir eben den Uefa-Cup gewinnen" - reloaded
In Lissabon scheiterte Borussia Dortmund vorzeitig in einer auf dem Papier leichten Gruppe und kam überhaupt nicht mit einem Gegner zurecht, der auf Destruktivität und unfaire Mittel in der entscheidenden Phase statt auf flotten Fußball setzte. Zu lieb und naiv für den Wettbewerb, werden nun Durchhalteparolen zwischen Zweckoptimismus und Hybris wieder in den Mittelpunkt rücken. Die Europa League, ja die fehlt uns noch in der Vitrine...
Borussia Dortmund international! Nach den Sauregurkenjahren unter Thomas Doll, Jürgen Röber und Co war das vor einigen Jahren eine große Verheißung, bevor sich die Leidenschaft nach dem x-ten Trip nach London oder Madrid bisweilen zu einer Art netter Routine abgekühlt hatte. Beim Auswärtsspiel in Lissabon, nach knapp zwei Jahren erzwungener Pause, war die Leidenschaft zumindest teilweise wieder zu spüren. Dazu beigetragen hatte auch das Zielland Portugal, das - abseits der in südlichen Gefilden üblichen Schikanen einer wenig entspannten Polizei - mit großer Freiheit aufwartete.
Mit einer Impfquote um die 90 Prozent, die zu überschaubaren Infektionsraten und relativer Ruhe in den Krankenhäusern führte, konnten Kneipen, Clubs und Sehenswürdigkeiten weitgehend ohne Einschränkungen öffnen, Fangetränk und Glühwein in Strömen laufen und das Stadion ohne Kontrollen von Impfausweisen oder aktuellen Tests betreten werden. Hätten wir auch haben können, doch im Heimatland von Tönnies-Bratwurst, Pfeffi und Taxiteller erklärten wir unsere Körper ja lieber zu Tempeln und entdeckten plötzlich unsere Leidenschaft für Stoffe, die wir unseren Prachtleibern nicht zumuten möchten.
Aber genug zu diesem Thema, den nächsten Geisterspielmarathon kriegen wir ja auch irgendwie rum und wir waren ja eigentlich bei Fußball, Fangetränk und anderem Gedöns, bei dem sich in den vergangenen Wochen und Monaten ja einiges an Gesprächsstoff angesammelt hatte. Unsere Freunde in Gelsenkirchen stellten nach dem sauber eingetüteten Abstieg auch in der zweiten Liga fest, dass Knappen eher selten auf Augenhöhe mit Rittern agieren. Die Führungsriege des FC Bayern hatte ihre innigliche Liebe zu Katar vertieft, die nach den Uhrengeschenken für die Münchener Emirati von Welt, der größten Sklavenbefreiung der Neuzeit und einem Filetstück auf der Sponsorenwand nun für Neid und Missgunst unter den Taliban der Fans sorgte. Und ja, der BVB hatte das schönste Trikot aller Zeiten präsentiert und eine Champions League Gruppe erwischt, die er im Vorbeigehen überstehen und mit Normalform locker gewinnen können sollte. Perfekte Ausgangslage also für ein gemütliches Spiel, wenn man sich gegen Ajax nicht wie Larry angestellt und sich das Leben selbst schwer gemacht hätte.
Zahlreiche Fans hatten sich deshalb für einen Abstecher nach Lissabon entschieden, der mehr als die üblichen eineinhalb Tage umfassen sollte. Ob die bunten Paläste von Sintra, der Cristo Rei in Almada, die Küste samt Seefahrerdenkmal in Belem, die Aussicht vom Castelo de São Jorge samt Lissaboner Altstadt oder auch weitere Ballspiele in der Region – sämtliche Destinationen wurden intensiv angesteuert und mit Sonnenschein genossen. Am Vorabend des Spiels kehrte man dann mit großer Kapelle im Kneipenviertel in der Oberstadt ein und genoss Jelly Beans zwischen Birne, Popel und faulem Ei, bevor Sagres und Super Bock zum schmalen Taler und das einarmige Stemmen in der Halbliterklasse auf Olympianorm auf der Agenda standen.
Der Spieltag begann am Fantreffpunkt Rossio, einem recht netten Platz inmitten der tiefer gelegenen Altstadt mit Weihnachtsmarkt und direkter Metroanbindung zum Stadion. Ein Sonderzug, der ohne Halt zum Stadion fuhr, wurde zugunsten eines längeren Aufenthalts in der Stadt noch nicht bestiegen – im Nachhinein eine wohl kluge Entscheidung, wartete doch direkt an der Metro die Polizei mit einem wenig freundlichen „bleibt hier stehen und irgendwann bringen wir euch schon zum Stadion“. Immerhin wurde ein angrenzender Garten als Freiluft-Pinkelfläche angeboten (nicht unbedingt zur Freude des Besitzers und der Anwohner) und war von hier mit zwei kleineren Haken der Weg frei zum Bierstand vor dem Stadion. Mit freier Sicht auf den riesigen Pulk, der sich unkoordiniert und umgeben von haufenweise Vertretern der örtlichen Staatsmacht vor dem Stadion sammelte, wurden hier noch einige Minuten in netter Runde verbracht und bei entspannterer Lage die letzten Meter zum Stadion zurückgelegt. Hier waren die Sicherheitskräfte dann erstmalig hilfreich und wiesen den direkten Weg zum Gästeblock, der ohne Anstehen und größeres Tamtam geentert wurde.
Angekommen im Oberrang, bot sich erst einmal ein recht netter Anblick, der nur von den mittlerweile leider üblich engmaschigen Fangnetzen gestört wurde. Mit gut gefülltem Block ging es in die Partie, munter angeheizt von The Unity (im Gegensatz zur Bundesliga, wo noch deutliche Einschränkungen bei der Kapazität bestehen, hat sich die Gruppe international für eine Rückkehr entschieden – das war auch sehr schön so und tat der Stimmung gut). Die Startelf des BVB war durchaus Champions League-tauglich besetzt und vom Papier her gesehen klar überlegen, die Ersatzbank hingegen schon etwas weniger üppig besetzt. Denn mit Erling Haaland, Mats Hummels und Torgen Hazard mussten drei bittere Ausfälle verkraftet werden, die zu kompensieren dann doch kein Zuckerschlecken ist.
Das Spiel begann so, wie man es hatte befürchten können: der BVB grundsätzlich bemüht um offensive Aktionen, Sporting lauernd auf Konter und das Dortmunder Kreativspiel mit jeder Menge Destruktivität nahezu vollständig unterbindend – mehr brauchte es eigentlich nicht, um die erste Halbzeit zu beschreiben. Immer wieder liefen sich Marco Reus und Axel Witsel im Niemandsland fest, fanden keine richtige Idee und umzingelt von Gegenspielern auch keine Anspielstation. Nach knapp 30 Minuten dürftiger Fußballkost geschah dann, was bei einem solchen Spielverlauf geschehen musste: Sporting hatte den Ball etwa auf Höhe der 25m Marke vor dem eigenen Strafraum, ein langer Pass fand seinen Weg bis 20m vor das Dortmunder Tor, wo Nico Schulz grazil wie eine Elfe am Ball vorbeisegelte und Marin Pongragic in erster Reihe bedächtig zusah, wie Pedro Goncalves am machtlosen Gregor Kobel zum 1:0 einschob.
Jau, kacke. Denn wer nun irgendwann in den vergangenen 15 Jahren mal ein Spiel des BVB gegen einen unangenehmen Gegner in Spanien oder Portugal verfolgt hatte, wusste ziemlich genau, was im weiteren Verlauf passieren würde: Nervosität in den eigenen Reihen würde für einige Minuten zunehmen, begleitet von der Angst einer unnötigen Niederlage. Der Spielfluss würde weiter leiden, nun mit dem zusätzlichen Handicap, eine schnelle Antwort erzwingen zu wollen. Dabei würden nicht nur Kontersituationen provoziert werden, sondern auch noch völlige Hilflosigkeit zutage treten, insbesondere wenn der Gegner das dreckige Weiterkommen im Millionenspiel höher als Fairplay und die Freude am schönen Spiel gewichten würde, der BVB vor lauter Ballzirkulierenlassen und Freundlichkeitbiszumumfallen aber wieder einmal nicht realisiert haben sollte, dass iberische Teams sowohl Zeitspiel über 90 Minuten als auch feierlich zelebrierte Wadenkrämpfe in der 35. Minute beherrschen. Immerhin blieb die Hoffnung, dass im Rahmen der Vorbereitung auf den europäischen Südwesten irgendjemand die kluge Idee gehabt haben könnte, auf die ein oder andere Finesse zu verzichten und stattdessen eine Aufzeichnung des sechsten Spieltags 2010/11 der Europa League beim FC Sevilla zu zeigen.
Pustekuchen. Denn natürlich kam es genauso wie erwartet: Fünf Minuten nach dem Gegentor zog Pablo Sarabia den Ball aufs Tor und hätte Kobel mindestens vor arge Probleme gestellt, wenn nicht Witsel gerade noch die Haxe dazwischen gekriegt hätte. Weitere fünf Minuten später wurde erst planlos im Strafraum gewurschtelt und die Pille dann direkt vor dem freistehenden Goncalves abgelegt, dessen satter Schuss erneut mit Schmackes und unhaltbar für Kobel im Netz landete.
Zwei Tore Rückstand hießen zu diesem Zeitpunkt bereits das sichere Aus in der Champions League, was den weiteren Spielverlauf abermals vorgezeichnet erschienen ließ: Dortmund würde jetzt richtig Gas geben und noch bemühter agieren, um wenigstens den Abstand zu verkürzen und sich irgendwie ehrenhaft aus der Affäre zu ziehen. Sporting würde mauern, notfalls ruppig holzen und jeden Einwurf so weit in die Länge ziehen, wie ein durchschnittlicher Beamter beim vormittäglichen Dienstschiss für die Lektüre des ersten Buchs der FAZ Arbeitszeit von der Uhr nimmt.
Und ja, natürllich kam es genauso: eine Minute nach dem zweiten Gegentreffer ging es erstmals richtig schnell nach vorne, eine zauberhafte Kombination zwischen Witsel und Julian Brandt setzte Donyell Malen in Szene und führte nur deshalb nicht zum Tor, weil Goncalo Inacio seinen Körper noch irgendwie zwischen Ball und Tor wuchten konnte. Aus der Pause kam der BVB mit noch mehr Schwung und mit Emre Can anstelle des völlig überforderten Schulz, lief aber direkt in den ersten gefährlichen Konter: Sarabia und Pedro Porro nahmen die Beine in die Hände und mit einem simplen Doppelpass die gesamte Defensive auseinander, sodass nur noch Kobel mit einer wahren Heldentat den dritten Einschuss verhindern konnte. Irgendwann hatte man fast zwangsweise den Eindruck, das Spiel schon einige Male gesehen zu haben.
Und dann ging es für Emre Can auch schon mit rot unter die Dusche, nachdem er von allen guten Geistern verlassen Mentalität zeigen wollte und doch nur das wohl dümmste getan hatte, was ein Führungsspieler in diesem Kick hätte tun können: ein rüder Tritt Porros in die Hacken machte Can so wütend, dass er sich schnurstracks umdrehte und wütend umherfuchtelte, Porro die Einladung zur Schauspieleinlage nur annehmen und weinend auf dem Boden kullern musste. Ein weiterer Griff in Richtung Gesicht führte zu einer satten Rudelbildung, die sämtliche Akteure der Portugiesen bis hin zu Zeugwart, Busfahrer, Mannschaftskoch, Spielerfrauen und Ticketabreißern auf den Rasen lockte. Weil das noch nicht reichte, erwischte Dan-Axel Zagadou weitere fünf Minuten später Paulinhos Fuß und durfte sich Porro noch selbst in die Torschützenliste eintragen, nachdem Kobel Goncalves Strafstoß noch hatte parieren können. Lemma: einen Homer bauen.
Während sich auf Lissabonner Seite in der Folge akute Nahtoderfahrungen meist doch nur als falscher Alarm wegen kleiner Flatulenz herausstellten (gerade in solchen Spielen muss man auf Nummer sicher gehen und sich für die Anamnese auf dem Rasen Zeit nehmen, es geht ja um viel Geld) und unser Beamter während des Wartens auf einen Einwurf schon Hemingways Der Alte Mann und das Meer zur Hälfte durchgeackert haben konnte (typischer Donnerstagvormittag zwischen zweitem Frühstück und Kantine, weil Natopause), wirbelte Blondschopf Brandt noch einmal bis zur Grundlinie und brachte die gefühlt erste sinnvolle Flanke des Spiels auf Reus, der perfekt für Malens Ehrentreffer auflegen konnte.
Mega, jetzt nochmal Vollgas, Männer! Da wir aber erst die 93. von 98 Minuten Spielzeit schrieben, also immerhin noch satte fünf Minuten blieben, um mit einem weiteren Treffer zumindest nicht direkt aus der Champions League auszuscheiden, setzte die Mannschaft lieber noch einmal auf Ruhe und einen konzentrierten Aufbau von hinten. Vier bis fünf Pässe nach links, wieder zurück nach hinten, kleiner Raumgewinn auf rechts, wieder Ball nach links und sicher nach hinten – routiniert wurde die Zeit über die Runden gebracht, leider eben nur zum falschen Ergebnis. Jedenfalls ging es nun mit einer völlig unnötigen Klatsche nach Hause – latent unverdient angesichts des gezeigten Einsatzes und zugleich hochgradig verdient angesichts der Naivität und absurden Ideenlosigkeit gegen einen überschaubar starken Gegner.
Immerhin durften die mitgereisten Fans der Borussia noch etwas länger Champions League-Stadionluft schnuppern. Die Blocksperre nach dem Spiel hätte jedenfalls locker gereicht, um Kafkas Briefe an den Vater zu analysieren und für eine handelsübliche Schultheaterbühne zu interpretieren; die sinnlose und endlose Warterei mit Stop and Go vor dem Stadion, bis die freundlicherweise direkt mit Gummigeschosswummen ausgerüstete Polizei (Deeskalation wird einfach groß geschrieben) endlich einen Gaudiwurm in gewünschter Länge zusammen hatte und für einen Eskort zur Metro würdig befand… Nein, lassen wir jetzt lieber Witze über Leute, die sich zu viel Zeit für alles nehmen. Ihr habt ja diesen epischen Text auch bis zum Ende durchgehalten, der rein sachlich und gut abgewogen zwischen donnerstäglichem Genuss in der Lissabonner Markthalle mit Freunden und ein bisschen Arbeit hier und da selbst ein wenig Zeit zur vollen Reife benötigte.
Weiter geht’s mit Borussia Dortmund international im Februar vermutlich irgendwo in Russland oder Serbien, gefolgt von Transnistrien im März. Spieler und Fans haben sich das auch redlich verdient – die einen können ihre Bucket Lists abarbeiten, die anderen dürfen zur Belohnung für eine großartige Champions League Saison am Arsch der Heide Fußball spielen. Vielleicht steht bis dahin ja auch eine Übungsstunde auf dem Plan, was man so tun könnte, wenn der Gegner nicht technisch fein mitspielen oder Fairplay-Trophäen gewinnen möchte. Aber ja, nur so ne Idee.