BVB gewinnt Fantoken vom ADAC
Es ist der 3. Januar und der BVB spielt schon wieder Fußball. Bundesliga-Fußball. Was unter normalen Umständen so richtig geil gewesen wäre, ist in dieser Saison nur ein weiteres Kapitel in der Fragerunde, die sich meine Fußball-Bubble seit Mai gefühlt jeden Tag hin und her schreibt: „Was? Heute ist Fußball?“ - „Oh, wer spielt?“
Noch vor einem Jahr wäre es undenkbar gewesen, dass ich und so viele andere in meinem Stadionumfeld tatsächlich von Twitter oder einer Push-Nachricht der BVB-App darauf aufmerksam gemacht werden, dass der BVB spielt und es dann im Laufe des Tages trotzdem wieder vergessen. Doch Corona macht es möglich und zeigt dabei eben auch, wie wertlos Fußball für so viele Leute ist, wenn man nicht im Stadion sein kann. Oder anders formuliert: Neues Jahr, altes Problem: Fußball ist nichts ohne Fans.
Der BVB hat das
natürlich auch erkannt und sofort reagiert. Die BVB-Fantoken für
mehr Fannähe sind die neusten Tabellenführer im Bullshit-Bingo der
Marketingabsurditäten und sinnlosen Geldausdertaschezieh-Tools der
Bundesligavereine. Herzlichen Glückwunsch, BVB, das muss man erst
mal schaffen in einem Jahr, in dem die Nachbarn in Blau, die
Geißböcke und noch einige andere so richtig ins Klo gegriffen haben
mit ihren Fan-Interaktionen. Mal wieder einen Titel holen, so
wichtig!
Apropos Titel holen. Wie wir ja bereits überrascht festgestellt haben, spielte der BVB an diesem Wochenende tatsächlich Fußball und auch wenn die Meisterschaft in weiter Ferne ist (mal ehrlich: ist eigentlich auch egal, wer will schon ne Meisterschaft feiern, ohne zu feiern? Lasst das die Bayern machen, die können das.), wäre es doch ganz dufte, nicht jetzt schon zwei Siege weg von den Championsleauge-Plätzen zu schwimmen. Denn da schwimmt ja auch das Geld und je weniger Geld, umso mehr Bullshit-Bingo. Für die Annäherung an die Plätze mit mehr Geld benötigte man aber einen Sieg gegen die Abgasfreunde aus Wolfsburg, die – völlig überraschend – ganz gut klar kommen ohne Fans und dementsprechend weit vorne stehen.
Die ersten 10 Minuten konnte man dann auch meinen, dass es sich um die erste Runde DFB-Pokal gegen die Amateure handelt und das nicht aufgrund der immer noch sehr gewöhnungsbedürftigen Kreisliga-Atmosphäre mit Betonecho, sondern weil die Grünen den Gelben so richtig den Schneid abkauften und mit dem hohen Pressing und den vielen Chancen so richtig Angst vor diesem Spiel machten. Dann aber schienen sie keine Lust mehr zu haben auf das Gerenne und das am-leeren-Tor-vorbei-schießen und überließen dem BVB den Ball zum lustigen Hin-und-Herschieben an der Mittellinie, was das Spiel sehrrrrrrrrrrrrrrrr………. chrrrrrrrrr………. Tschuldigung, eingenickt.
Irgendwann kurz vor der Halbzeit entdeckte der BVB dann, dass man es ja tatsächlich auch mit Fußballspielen versuchen könnte und es wurde wieder etwas interessanter. Es sprangen sogar ein paar Chancen heraus auf Seiten des BVB, sodass man am Ende mit einem fast schon verdienten Unentschieden in die Pause ging. Das war so nach diesem Anfang nicht zu erwarten gewesen. Dazwischen hatte der VAR mal wieder VAR-Dinge gemacht, wodurch gefühlt fünf Minuten Nachspielzeit nötig wurden, geändert hat aber weder der VAR (abgesehen von ungesundem Puls) noch die Nachspielzeit etwas.
In der zweiten Halbzeit wurde es dann sogar noch etwas besser, denn der BVB spielte da weiter, wo er aufgehört hatte und in der 66. Minute war es dann tatsächlich passiert. Hummels köpfte den Eckball ins Tor. Weil da aber noch der Kopf von Akanji als Buffer dazwischen war, durfte sich der arme Mats den Treffer nicht auf seine Haartolle schreiben. Wir sagen: Egal, Innenverteidiger ist Innenverteidiger und Tor ist Tor.
Danach passierte zuerst mal wieder relativ wenig, ehe sich der Gegner zehn Minuten vor Schluss daran erinnerte, dass er ja hinten lag und tatsächlich eine Schlussoffensive startete, die größtenteils Magenschmerzen bereitete. Überrascht darüber, dass ich in diesen „wir betteln um den Ausgleich“-Situationen auch vor dem Fernseher mit Blick auf ein leeres Stadion noch immer so nervös werde wie Viertliga-Innenverteidiger beim Anblick von Haaland, zitterte ich zusammen mit der Mannschaft dem Abpfiff entgegen. Dann aber bewies der Automobilclub, dass der BVB nicht die einzige Mannschaft ist, bei der die eigenen Ecken meistens eine größere Gefahr für das eigene Tor darstellen. Ein lupenreiner Konter über MVP Raphael Guerreiro (mal ernsthaft: der ist unsere absolute Lebensversicherung und der beste Spieler auf dem Platz, nur irgendwie scheint das keiner zu merken – hoffen wir das bleibt noch ne Weile so!) und den eingewechselten Emre Can (sein einziger Ballkontakt?) ließ Sancho fast schon in Rosicky-HSV-Manier auf das Tor zulaufen. Den Verteidiger, den er nochmal an sich rankommen ließ, nur um ihn dann gedemütigt am Boden liegen zu lassen und den Torhüter, den er eiskalt ausguckte, waren zwar noch da, doch so viel schwieriger als bei Rosicky sah das eigentlich auch nicht aus. Sanchos erstes Saisontor (ja, so hab ich auch geschaut) ist hoffentlich ein Dosenöffner, auf jeden Fall war es aber ein Stein, der von den Nerven gefallen ist.
Erwähnenswert ist auch noch, dass sich Tigges nach seiner Einwechslung für Haaland (ja, der hat auch gespielt, aber er hat ja noch 362 weitere Tage dieses Jahr, um wichtige Tore zu machen, wir wollen nicht kleinlich sein) einen richtig guten Eindruck machte. Den würde ich gerne öfter mal eingewechselt sehen.
Am Ende steht ein Arbeitssieg, der bestimmt nicht so schlecht war, wie ihn viele geredet haben, zumal der Gegner auch schon anderen das Leben sehr schwer gemacht hatte, ein weiterer Schritt in die richtige Richtung für hoffentlich mehr Selbstvertrauen, Selbstverständnis und einfach wieder etwas mehr Borussia. Wenn man so weiter arbeitet, dann kommt auch die Fannähe irgendwann wieder wie von selbst (wenn es denn wieder möglich ist) – und das ganz ohne Token.
Falls einer von Euch mehr Mitspracherecht möchte beim BVB, kauft euch einen Mitgliedsausweis und besucht die Mitgliederversammlung. Es könnte so einfach sein.
Statistiken
Bor. Dortmund: Bürki – Meunier, Akanji, Hummels, Guerreiro – Witsel, Delaney – Sancho, Reus (85. Can), Reyna (90.+2 Zagadou) – Haaland (81. Tigges)
VfL Wolfsburg: Casteels – Baku, Pongracic (78. Lacroix), Brooks, Paulo Otavio – Schlager (87. Bialek), Arnold – Steffen (87. Ginczek), Gerhardt (71. Mehmedi), Brekalo (71. Joa Victor) – Weghorst
Tore: 1:0 Akanji (66., Eckball Sancho), 2:0 Sancho (90.+2, Can)
Eckstöße: 10:5 (Halbzeit 5:1), Chancenverhältnis: 10:2 (5:3)
Schiedsrichter: Gräfe (Berlin), Gelbe Karten: Hummels, Delaney, Haaland – Steffen