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Vom Leid des Zwangsentzuges

28.04.2021, 16:29 Uhr von:  Gastautor
Vom Leid des Zwangsentzuges

Die Corona-Pandemie stellt vieles auf den Kopf. Selbstverständlich auch den Bezug zum Fußball, der bei vielen Menschen fest im Tagesablauf war, jetzt aber fehlt. Unser Gastautor Yosh beschreibt, wie er den "Zwangsentzug" seit mehr als einem Jahr erlebt.

Wanderin in Fürstenwalde

Sonntagmorgen kurz nach halb sieben. Ein leichter, aber beständiger Regen fällt vom grauen Wolkendach und ich bin bereits hellwach. Dabei habe ich so überhaupt gar nichts vor und bin auch nicht in Aufregung oder Vorfreude. Meine Stimmung ist ein Spiegelbild des Wetters: Trüb und niedergeschlagen. Ich wüsste auch gerade nicht, was heute passieren sollte, das meine Stimmung aufheitert. Natürlich kann noch die Sonne herauskommen, die Vitamin D Produktion angekurbelt werden, die Zeit zum Wandern oder Schraten im Garten genutzt werden. Hab‘ ich aber gestern schon alles gemacht und heute kommt es mir sinnlos vor.

Generell wandere ich in letzter Zeit sehr viel. Was soll man auch sonst tun? Irgendwie muss sich ja jeder von uns eine Alternative suchen, die es wert ist, sich auch nur ansatzweise aufs Wochenende zu freuen. Nicht selten führt es mich am Müggel-Spree-Weg entlang. Ich mag die Ruhe und Natur hier; da hinten die Spree, davor diese riesige Wiese, daneben eine wahrscheinlich mindestens 800 Jahre alte Eiche und dann noch unser kleines, aber feines Stadion.

Zugegeben, mit meinem Heimatclub, dem FSV Union Fürstenwalde, kann ich jetzt auch nicht so viel anfangen, aber zumindest konnte man hier unbeschwerten, familiär wirkenden Fußball gucken, der auch hin und wieder ganz nette Gegner in die kleine Domstadt brachte.

Carl Zeiss Jena, Energie Cottbus, Chemie und Lok.Leipzig, BFC Dynamo... nur um mal ein paar zu nennen. Selbst die mittlerweile emporgestiegenen Unioner aus Köpenick waren hier schon (Wen wunderts, besteht das Friesenstadion auch aus ehemaligen Bauteilen der Alten Försterei).

Ein paar Mal war ich schon im Friesenstadion, wirklich angetan war ich nie so richtig.

Wenn ich allerdings jetzt am Stadion vorbeilaufe, lodert da was in mir. Diese Sehnsucht nach einem Fußballspiel. Egal wo, Hauptsache zwei Mannschaften, Bierchen und Bratwurst. Fürstenwalde könnte auch gegen die letzte Rumpeltruppe spielen, gegenwärtig würde ich mir sogar eine Dauerkarte holen.

Voller Demut gehe ich dann weiter und versuche gar nicht erst daran zu denken, was meine Freunde und ich, sowie tausende, ach was, hunderttausende, wohl eher Millionen, Menschen entbehren müssen.

Auf dem Bild erkennt man einen leeren Fußballplatz ohne Personen, gefilmt aus der Sicht im Stehplatzbereich mit einigen Wellenbrechern.
Leere Fußballfelder sind gerade im Bereich des Amateursports der neue Standard

Hauptsache Fußball?!

Würde ich am heutigen Sonntag das Stadion erblicken, bekäme ich wohl unerträgliche Zustände. Wie muss es wohl den Dortmunder Jungs und Mädchen gehen, die unser Westfalenstadion erblicken „müssen“, in dem Wissen einfach nicht hin zu dürfen obwohl unsere Jungs da später auflaufen?

Gut, nun gibt es einige Personen, die mein Gedankenbild nicht nachvollziehen können, denen das vermutlich auch egal ist. Die sagen „Ja egal, Hauptsache Fußball, man!“ Pay-TV angeschmissen und zack, kannste Fußball gucken. Aber Fußball gibt mir gerade gar nichts. Fußball im TV, allen voran in dem Wissen kein einziger Fan ist im Stadion, ist wie alkoholfreies Bier in der Kneipe. Wie Methadon für Junkies, wie ein Konzert seiner Lieblingsband auf DVD anzuschauen, für das man Karten hatte, aber nicht hin konnte. Es gibt mir so gut wie gar nichts.

Das hat sicher mit meiner Haltung zum Fußball zu tun. Fußball ist für mich in erster Linie ein Gemeinschaftsgut. Etwas ideelles, das ich mit Menschen teilen kann. Ich erspare mir jetzt irgendwelche Floskeln und Phrasen, die sicher schon unzählige Male von unzähligen Stadionfahrern auf unzähligen Plattformen erwähnt wurden.

Ich fühle mich wie auf Zwangsentzug und dabei grinst mich die widerliche Seite des Fußballs auch noch dreist an. Stellt euch vor, da sitzt ein trockener Alkoholiker und seine Freunde prosten ihm zu.

Ich gucke mir Borussia an, die Mannschaft läuft aufs Feld, „Heja BVB“ dröhnt aus den Boxen und anstatt fahneschwenkend mitzugröhlen sitze ich vorm Fernseher... sitzen WIR vorm Fernseher, anstatt uns später noch bierbecherwerfend in die Arme zu fallen.

Das wäre vielleicht noch etwas anders, würde in den unteren Klassen auch gespielt werden. Aber die Tatsache, dass unter der Regionalliga alles ruht, gibt einen faden Beigeschmack. Ja, der Motor muss irgendwie am Laufen gehalten werden. Die Proficlubs haben ja nicht nur Fußballspieler unter Vertrag. Aber nach einem Jahr Stadionentzug kommt es mir so vor, dass wir als Fans verzichtbar sind. Hauptsache die Spiele finden statt, Hauptsache die Sendeanstalten zeigen weiterhin Live-Fußball, Hauptsache, die Sponsoren bekommen ihre Werbeflächen.

Im Hintergrund des Bildes ist das Westfalenstadion zu erkennen, im Vordergrund ein Gitter als Absperrung zum Spielfeld, das mit zahlreichen BVB-Aufklebern versehen ist.
Bald wird man auch wieder an Plätzen wie diesen stehen können

Die Hoffnung

Und wir? Wir werden ausgegrenzt und können nur zusehen, wie der Fußball nur noch all das ist, was wir eigentlich so gar nicht wollen. Ein reines kommerzielles Konstrukt ohne jene Menschen, die den Fußball so schön machen. Ohne jene, die auch mal den mahnenden Finger heben. Kein Support, kein Protest. Und uns bleibt keine Wahl als tatenlos zuzuschauen. Also was machen? Eiskalter Entzug und auf das ganze Gebolze geschissen? Funktioniert nicht, zumindest nicht bei mir. Borussia ist mir nach wie vor zu wichtig und ich versuche die schönen Erinnerungen in mein Bewusstsein hervorzuheben.

  • Mit seinen Freunden das Bordbistro des ICEs belagern.
  • Leicht angeglimmert am Schwimmbad oder der Roten Erde stehen
  • Mal wieder auf den letzten Drücker ins Stadion rein. (natürlich nicht hinten an der Riesenmasse der Wartenden angestellt, sondern vorbei an allen an der Seite ran ans Drehkreuz.
  • Die beste Krakauer der Welt auf die Faust nehmen
  • Den Stammplatz einnehmen und den bekannten Gesichtern zugenickt
  • Auf diese immer noch obligatorische Frage „Ey samma, ihr seid doch die Berliner, ne“ mit einem bescheidenem „Jup“ antworten und sich nach all den Jahren immer noch darüber freuen, dass es Menschen gibt die uns Exilfans, egal ob aus Berlin, Bremen, Leipzig, München, Stuttgart und was weiß ich woher, mit so viel Respekt begegnen
  • Das einklatschen
  • Das Fahnen schwenken
  • Das Singen, Freuen, Schreien, Pöbeln
  • Das Abklatschen und „Tschüss, bis in zwei Wochen“ sagen
  • Das erneute Belagern des Bordbistros auf dem Rückweg
  • Sich auf nächstes Wochenende freuen.

Alles selbstverständlich, alles nicht mehr da.

Was bleibt ist die Hoffnung, dass dieses Grauen endlich zu Ende geht. Noch nie habe ich mich so sehr auf ein Saisonende und die Sommerpause gefreut. Das nimmt mir nämlich den Druck des Zwangsentzuges.

Yosh

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