Derby vom Tonband
Am Samstag startet die Bundesliga aus ihrer Corona-Zwangspause. Der BVB lädt zum Geisterderby. Ist ein Derby ohne Fans überhaupt ein Derby? Egal. Die Stimmung erzeugen wir einfach vom Band.
Nun geht es also wieder los. Es fühlt sich ein bisschen so an, als steht der erste Spieltag nach der Sommerpause auf dem Programm. Niemand kann wirklich abschätzen, in welcher körperlichen Verfassung sich die Mannschaften befinden. Nach dem Sommer kommen einige Spieler etwas weniger fit aus der Pause als andere. Ander wiederum bringen einfach direkt ein paar ganze Kilo zu viel mit. Nach der Zwangspause wird das vermutlich ähnlich gewesen sein. Wer will das den Spielern verübeln? Wenn lange nicht feststeht, wie und ob weitergespielt werden soll, versprühen die süßen Sünden des Lebens wie Schokolade oder ein paar Erfrischungsgetränke gleich eine ganz andere Anziehungskraft.
Wenn sich der Fitnesszustand sonst rein auf die physischen Attribute wie Ausdauer, Spritzigkeit oder körperliche Gesundheit bezieht, betrifft dieses Frage dieses Mal aber umso mehr die Psyche. Sind alle Beteiligten im System Profifußball bereit und in der Lage dazu, die Saison fortzusetzen? Der Eklat um Ex-Hertha-Spieler Salomon Kalou oder auch das Zahnpasta-Shopping von Augsburgs Heiko Herrlich sprechen zumindest nicht dafür. Bestätigen die Ausnahmen hier die Regel oder sind das schlicht und ergreifend einfach nur Ausnahmen?
Fast alle Fankurven haben sich zuletzt dafür ausgesprochen, die Saison nicht ohne die Fans fortzuführen. Auch wir haben in der Vergangenheit oft betont, wie wichtig die Fans für den Fußball sind. Vor allem bei Derbys. Die Fans machen die Spiele überhaupt erst zu den besonderen Paarungen, die sie sind. Bringen das Feuer rein, die Leidenschaft, die Emotion – und auch die gewisse Abneigung für die Spinner auf der gegenüberliegenden Seite im Gästeblock.
Die Fans sticheln sich gegenseitig wochenlang auf der Arbeit und stellen den KollegInnen, die es mit Königsblau halten, BVB-Tassen vor die Nasse. Grüßen an Montagen nach Derbysiegen mit dickem Grinsen und einem „Wie war das Spiel?“ statt eines „Guten Morgens“ die gebeutelten Verlierer. Und an manche Spiele wird man sein Leben lang erinnert werden. Ihr alle werdet beim Lesen dieser Zeile bestimmte Derbys im Kopf haben.
Nun steht am Samstag also das Spiel aller Spiele für Borussia Dortmund auf dem Plan. Mental bin ich persönlich gar nicht bereit für dieses Spiel. Hat mir der Fußball in den letzten Wochen gefehlt? Um ehrlich zu sein: Nein, kein Stück. Ich hatte mich damit arrangiert, dass die Saison gelaufen und vorbei ist. Ich war gedanklich schon in einer verlängerten Sommerpause und habe den Abstand zum Fußball auch etwas genossen. Und plötzlich, wie Kai aus der Kiste, steht das wichtigste Spiel der Saison auf dem Plan. Damit kann ich mich nicht so richtig identifizieren.
Bürki fordert Verständnis
Bei den Spielern sieht es dahingehend ganz anders aus. BVB-Spieler Julian Brandt freut sich, dass es wieder los geht: „Ich habe Bock darauf, es war jetzt eine lange Zeit, in der man nur begrenzt trainieren durfte". Der Nationalspieler weiß aber auch, dass es kein „richtiges Derbygefühl“ geben wird. Roman Bürki stellte in einem Interview der Schweizer Nachrichtenagentur Keystone-SDA fest, dass die "Akzeptanz" gegenüber dem Profifußball und der Fortführung der Bundesliga "bei der breiten Bevölkerung gefühlt markant gesunken" sei.
Die Gründe dafür sind in seinen Augen vielfältig, es liegt aber auch daran, dass "Teile der Fans den gewählten Weg nicht unterstützen, andere schon." Für Bürki geht es aber nicht primär um die Fans, sondern "um das Überleben der Klubs. Somit verstehe ich, dass dieser Weg gewählt werden musste." Gleichzeitig warb der 29-Jährige auch für Verständnis: "Letztlich wollen wir alle unseren Beruf wieder ausüben - so wie das andere Branchenvertreter auch tun wollen. Und wir sind sachlich betrachtet ja nun wirklich nicht die Ersten, die in Deutschland starten."
BVB mit Personalsorgen, Generalprobe im leeren Stadion
Im Derby verzichten muss BVB-Trainer Lucien Favre auf seine zentrale Mittelfeldachse bestehend aus Emre Can und Axel Witsel. Beide fallen aufgrund von Faserrissen aus. Am Dienstag fuhren sie ohnehin im privaten PKW am Trainingsgeländer vor, um sich behandeln zu lassen. Die Corona-Bestimmungen besagen, dass sich die Mannschaften eine Woche vor den Spielen komplett abschotten müssen. Sie werden in Bussen zum Training und danach ins Hotel gefahren. Selbst wenn sie wieder gesund wären, dürften sie also nicht auflaufen. Dazu fallen auch Kapitän Marco Reus und Innenverteidiger Dan-Axel Zagadou auf jeden Fall verletzt aus.
Um die Spieler auf die erneute Ausnahmesituation vorzubereiten, greift der Verein zu kreativen Maßnahmen. Am Mittwoch wurden die Spieler zum Training ins leere Westfalenstadion zitiert – inklusive Einlaufmusik. Stilecht begann auch das Training um 15:30 Uhr. Favre räumte auf der Pressekonferenz vor dem Spiel ein, dass "alle Trainer und alle Mannschaften" vor einer Herausforderung stehen. Aber: "Das wissen wir, das ist unser Job." Der BVB könnte in diesem Spiel einen kleinen psychologischen Vorteil haben, schließlich haben einige Spieler bei der Partie in Paris schon erste Geisterspielerfahrung sammeln dürfen.
Bezahlsender belegt die Wichtigkeit der Fans für den Fußball
Für den Aufreger des Spieltags sorgt der Pay-TV-Sender Sky, bevor der Spieltag überhaupt angepfiffen wurde. Entgegen der Empfehlung zahlreicher Fans und Kurven möchte der Bezahlsender Stadiongeräusche vom Band einspielen. Über eine zusätzliche Audio-Option können "zum Spielgeschehen passende Fan-Gesänge der beteiligten Mannschaften und Publikumsreaktionen eingespielt" werden. Ein Beweis mehr dafür, dass der Fußball von seinen Fans lebt – und ohne sie das gesamte Produkt Bundesliga weniger attraktiv ist.