Das Ende der dunklen Gasse
Gio Reyna filetiert mit 17 Jahren einen gestandenen Bundesligisten, Marco Reus meldet sich eindrucksvoll zurück und Erling Haaland trifft und trifft. Doch die schönste Geschichte des Abends dreht sich um einen 22-Jährigen, der in der Nachspielzeit sein erstes Bundesligator erzielen konnte. Sie dreht sich um Felix Passlack.
Dritter Oktober 2020. BVB – Freiburg.
Es ist Herbst, das Wetter ungemütlich. Das Stadion aufgrund von
Corona nur spärlich gefüllt. Der BVB führt entspannt mit 3:0, das
Spiel ist in den letzten Zügen. Die Geschichte ist an und für sich
schon erzählt, große Momente sind eigentlich nicht mehr zu
erwarten.
Dann kommt die 84. Minute, die
Einwechslung von Felix Passlack. Sechs Minuten später erzielt der
22-Jährige sein erstes Bundesliga Tor, nach einem hübschen Konter
und einem uneigennützigen Zuspiel vom Doppeltorschützen Erling
Haaland.
Es ist endlich einmal wieder was fürs Herz in diesem so kalten Geschäft des modernen Fußballs. Es ist eine besondere Geschichte. Eine Geschichte von viel Auf und viel Ab, von Zweifeln und harter Arbeit. Eine Geschichte, die hoffentlich noch lange nicht zu Ende erzählt ist.
Wir springen einige Jahre zurück, in
die Saison 15/16. Im Rückspiel gegen den SV Darmstadt feiert
Passlack – noch keine 18 Lenze auf dem Buckel – sein
Bundesligadebüt. Erst seit dem Winter gehört der Gewinner der Fritz-Walter-Medaille 2015 in Gold offiziell zum
Profikader, seine Hauptaufgabe besteht immer noch darin, die U19 des
BVB als Kapitän auf den Platz zu führen. Später wird er mit ihr
die Deutsche Meisterschaft feiern. An diesem Abend jedoch dribbelt
und ackert er 69 Minuten lang als Teil der Ersten durch das linke
Mittelfeld.
In der folgenden Saison sammelt er
weitere Einsätze, noch lange kein Stammspieler, aber fester Teil des
Profi-Kaders. Gegen Legia Warschau avanciert er zum damals jüngsten
Champions League-Torschützen des BVB. Bei der U19 ist er nur noch
selten (trotzdem wird er ein zweites Mal A-Junioren Meister werden).
Dann kommt es zum beispiellosen Bruch der Geschichte. Rund ein Jahr nach seinem ersten Bundesligaeinsatz ist Passlack auch Teil der Mannschaft, auf die vor dem Champions League-Spiel gegen den AS Monaco der erschütternde Anschlag verübt wird. Er ist noch keine 19, wird von dem Vorfall schwer mitgenommen, wie er später in Interviews wiedergibt.
Die vielversprechende Karriere gerät
ins Stocken. Bei der TSG Hoffenheim, wohin er 17/18 gegen eine Gebühr
von 500.000 Euro ausgeliehen wird, um Spielpraxis zu sammeln, gerät
er bald aufs Abstellgleis, kommt fast ausschließlich in der zweiten
Mannschaft zum Einsatz. Im Jahr darauf geht es in die zweite
englische Liga. Bei Norwich City soll Passlack unter Ex-U23-Trainer
Daniel Farke wieder Fuß fassen. Doch auch dieser Versuch misslingt.
Gerade einmal sechs Minuten Einsatz in der Championship stehen am
Ende auf dem Papier, in den Cups darf er immerhin etwas häufiger
ran. Die Bundesligatauglichkeit wird ihm bereits abgesprochen.
Für Passlack – immer noch offiziell Spieler von Borussia Dortmund – folgt die Rückkehr aufs Festland. Es geht nach Holland, in die Eredivisie. Dort, nur eineinhalb Stunden vom Heimatort Bottrop entfernt, ist die Maxime, endlich wieder Praxis zu sammeln, befreit aufspielen zu können, den Spaß am Fußball zurückzugewinnen. Mit Fortuna Sittard spiel er gegen den Abstieg, aber er spielt. Nur ein Spiel verpasst er aufgrund einer Gelbsperre. Die Spielfreude scheint zurückgekehrt zu sein.
Als nach diesem Sommer die Leihe endet
und er zum BVB zurückkehrt, ist er für die Meisten nur eine
Randnotiz. Ein „gescheitertes Talent“. Bis 2021 läuft sein
Vertrag noch, er ist einer der Kandidaten, die wohl gehen dürften,
wie es heißt. Doch Passlack hat andere Pläne. Er spielt eine
herausragende Vorbereitung, weiß die Ausfälle etlicher Kollegen für
sich zu nutzen. Am Ende hat kein Mitspieler mehr Testspielminuten auf
dem Buckel als er. Und es bleibt nicht bei Testspielen: Gegen
Borussia Mönchengladbach darf er 71 Minuten lang ran, im Supercup sogar von Beginn an. Und gegen Freiburg dann endlich das erste Bundesligator.
Kaum jemand, der dem inzwischen 22-Jährigen den Treffer nicht von
ganzen Herzen gönnt.
Natürlich ist die Geschichte noch lange nicht auserzählt, ebenso wenig, wie Passlacks Zukunft in Dortmund gesichert ist. Vor allem wenn Thorgan Hazard seinen Muskelfaserriss auskuriert hat, dürfte die Aussicht auf Einsätze erheblich schmaler werden. Doch Felix Passlack hat bereits bewiesen, dass er keiner ist, der vor einer schwierigen Situation zurückschreckt. Auch diese Herausforderung wird er annehmen. Und es wäre doch wirklich schön, wenn zu seinem Treffer gegen Freiburg noch ein bis viele Tore vor einer vollgepackten Gelben Wand hinzukommen würden.