Die gewollte Eskalation – Cui bono?
Wer an diesem Wochenende in deutschen Fußballstadien war, wird sich vermutlich ob der Absurdität der Ereignisse mehrfach selbst gekniffen haben. Zu irreal waren die Vorkommnisse. Und wenn man näher drüber nachdenkt, kommt man nicht umhin, dass die Eskalation von vielen Seiten vielleicht nicht geplant aber durchaus gewollt war. Von Hopp, vom DFB und auch von den Ultras und der aktiven Fanszene. Doch warum und wem nutzt das?
Dietmar Hopp
Ich kenne Herrn Hopp nicht persönlich und kann dementsprechend über seine Motive nur mutmaßen. Ich nehme ihm das Bild des gekränkten und schockierten Milliardärs, der nur geliebt werden will, genauso wenig ab, wie ich es Monty Burns in der Simpsons-Episode „Burns möchte geliebt werden“ abgenommen habe. Stattdessen überwiegt der Eindruck, dass Dietmar Hopp mit aller Kraft die Auseinandersetzung sucht.
Die TSG Hoffenheim war vor einigen Jahren im Profifußball quasi angekommen, wie auch in unserem Vorbericht vor einem Jahr beschrieben. RB Leipzig hatte sie als Feindbild abgelöst, die Schmähgesänge waren leise geworden. Just in diese Phase hinein, wurde mit irrsinnigem Aufwand eine Überwachung des Gästeblocks installiert. In der Folge gab es Anzeigen, Hausverbote und eine Kraichgauer Justiz, die offenbar im Gegensatz zum Rest der Justiz-Republik eher unterbeschäftigt war.
Es ist nicht davon auszugehen, dass Dietmar Hopp naiv ist. Seine Biographie inklusive der gerne unterschlagenen Teile, beispielsweise wie er Profit aus Hoffenheimer Transfers schlug oder bei SAP einen Betriebsrat verhindern wollte, deuten nicht auf einen blauäugigen Menschen hin. Ganz im Gegenteil, Hopp setzt seine Macht und Wirkung sehr gezielt ein. Bereits 2007 setzte er Kritik vom damaligen Mainzer Manager Christian Heidel an der TSG Hoffenheim mit Rassismus gleich und forderte beides gleich zu ahnden. Wohlgemerkt, Heidel hatte ihn nicht beleidigt, sondern lediglich Kritik an der Methode Hoffenheim geäußert. Das Schreiben, in dem Hopp sich über Heidel beschwerte, ging übrigens nicht nur an Heidel, sondern auch an den DFB, die DFL, Oliver Bierhoff und diverse Medien. Allein dieser Verteiler lässt Hopps Intention erahnen.
Nun, 13 Jahre später muss man feststellen, dass Hopp mit seinem Ansinnen, Angriffe gegen Hoffenheim analog zu Rassismus zu behandeln, gescheitert ist. Schließlich ist Rassismus beim DFB gar nicht mal so ein großes Problem.
Wenn Hopp sich heute hinstellt und behauptet, dass er gar nicht wüsste, was die Leute gegen ihn haben, so sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, dass es 2012 ein Treffen zwischen schwatzgelb und Hopp gab, in dem diesem sehr sachlich die Probleme mit seinem Engagement dargelegt wurden.
Hopps Verhalten ist berechnend, es ist Teil seiner Agenda gegen die, die ihn und sein Wirken in Hoffenheim kritisieren und beleidigen. Dafür nutzt er nicht nur die (ihm selbstredend offenstehende) juristische Ebene, er hat es offenbar geschafft, auch den DFB für seine Zwecke einzuspannen. Und auch diesem kommt die gewollte Eskalation entgegen.
Der DFB
Seit Jahren befindet sich der DFB auf einem Schlingerkurs. Die eigenen Verfehlungen rund um die WM-Vergabe wollte man lieber nicht aufarbeiten, bei UEFA und FIFA verbiegt man sich so sehr, dass Fritz Keller und Co. eigentlich als Schlangenmenschen im Zirkus auftreten könnten, beim Kampf gegen Rassismus folgt ein Fehltritt dem nächsten und der Dialog mit den Fans ist schon lange ein einziges Kommunikationsdesaster. Nach der Blamage um die Pyrodiskussion vor einigen Jahren, als man den Fans in Aussicht stellte, dass Pyrotechnik unter gewissen Bedingungen erlaubt werden könnte und plötzlich alle Gespräche abbrach, kommt nun das nächste Desaster. Vor zwei Jahren wurden die Kollektivstrafen ausgesetzt, nur um sie jetzt plötzlich wieder einzuführen. Beim VAR stellt Lutz-Michael Fröhlich nach zwei Jahren fest, dass man die Zuschauer im Stadion irgendwie vergessen hat zu informieren. Der DFB hat in den vergangenen Jahren auf vielen Ebenen komplett versagt. Entweder arbeitet beim DFB ein Haufen Dilettanten oder insgeheim hofft man, mit dem Konflikt mit den Fans vom eigenen Versagen abzulenken. Wahrscheinlich eine Mischung aus beiden.
Die sowohl fußball- als auch gesellschaftspolitisch meinungsstarken Fankurven sind dem DFB schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge. Klar, wer lässt sich schon gerne immer wieder das eigene Fehlverhalten vorhalten. Dass gerade jene Fankurven in den letzten zwei Jahrzehnten beispielsweise im Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung mehr erreicht haben, als der DFB, wird dabei gerne weggewischt. Nun sieht man offenbar die Chance, diese Fans aus den Stadien zu drängen. Wer den Platz einnehmen könnte, sieht man bei Länderspielen der DFB-Elf, wo sich der stromlinienförmige Fanclub Nationalmannschaft die Kurve mit den alten Nationalisten teilen muss.
Karl-Heinz Rummenigge
Für Rummenigge und seine Ambitionen auf (noch mehr) katarisches Geld für den FCB, sind die Ultras der Schickeria München seit Jahren ein Stachel im Fleisch.
Wie üblich war der Vorstandsvorsitzende der Bayern einer der Ersten, die medienwirksam mit Dietmar Hopp posierten. Nun ist Rummenigge in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit nicht zwangsläufig als empathischer Menschenfreund aufgefallen, sondern eher als berechnender Funktionär. Und genau so ist sein Auftritt am Samstag auch zu bewerten. Für Rummenigge und seine Ambitionen auf (noch mehr) katarisches Geld für den FCB, sind die Ultras der Schickeria München seit Jahren ein Stachel im Fleisch, werden diese doch nicht müde, immer wieder auf die zweifelhafte Rolle des Staates Katar hinzuweisen.
Und auch in weiteren vereinspolitischen Belangen mischen sich die Schickeria sowie die Fan-Vereinigung Club Nr. 12 immer wieder ein. Für den Geschäftsmann Rummenigge ein Ärgernis, dem er sich nun mit Rückendeckung durch die Medien und Teilen der Öffentlichkeit entledigen will. Bereits am Abend gab es erste Maßnahmen gegen die Ultras. Es ist davon auszugehen, dass Rummenigge dabei weniger das Seelenheil Hopps, als katarische Dollar im Kopf hatte. Da gerät es fast in den Hintergrund, dass SAP als Sponsor der Bayern auch ein gewisses Interesse haben dürfte, dass der eigene Gründer gut wegkommt.
Zudem verzückte Rummenigge noch mit folgender Aussage: „Ich werde mich mit dem heutigen Tag nicht mehr wegducken. Auch auf die Gefahr hin, dass ich irgendwann mit Leibwächtern durch die Gegend laufen muss.“ Für diesen heroischen Einsatz seines Lebens gibt es übrigens die Kraichgauer Opferrolle in Gold.
Die TSG Hoffenheim
Apropos Kraichgauer Opferrolle. Letzte Woche twitterte der Hoffenheimer Pressesprecher Holger Kliem mit kaum verhohlener Genugtuung in Richtung 11Freunde, ob das in Gladbach denn die so viel beschriebene schützenswerte Fankultur gewesen wäre. Leider waren die Antworten, die ihn darauf erreichten, wohl nicht in seinem Sinne. Also schnell die nächste Stufe gezündet und den Anschlag in Hanau ins Spiel gebracht und dabei seine persönliche Betroffenheit als Hanauer ins Spiel gebracht. Auch hier wurde ihm geduldig erklärt, dass die Instrumentalisierung der Opfer ziemlich widerlich sei. Zudem wurde auf das Plakat „Fo… Freiburg“ hingewiesen, dass mehrfach in Sinsheim zu sehen war. Es folgte eine so dermaßen nichtssagende Pressesprecherantwort, dass ein User fragte, ob da gerade der Praktikant twittert.
Die Hoffenheimer haben es sich in ihrer Opferrolle sehr bequem gemacht. Ist es doch das einzige, was ihren Verein noch etwas interessant macht. Gegen das Image der Kraichgauer ist selbst die graue Maus aus Bochum noch farbenfroher als ihre einstigen Trikots.
Die Sportjournalisten
Der jämmerliche Zustand des deutschen Sportjournalismus wäre alleine einen Artikel wert. Ein Eindruck, der sich auch gestern wieder verfestigte. Es verlangt mit Sicherheit keiner, dass Journalisten die Beschimpfungen gutheißen oder verteidigen. Aber eine Einordnung der Gesamtthematik sollte für Journalisten zum Grundhandwerk gehören. Leider gefallen sich zu viele Journalisten in ihrer Rolle als Gesprächspartner der Stars und was Katrin Müller-Hohenstein und ein sichtlich überforderter DFB-Präsident Fritz Keller im ZDF präsentierten, hätte unter dem Namen „Satire Gipfel“ und nicht „Sportstudio“ gesendet werden sollen. Da hätte auch der Kicker-Ticker vom Hoffenheim-Bayern-Spiel reingepasst, der eher einer Kriegsberichterstattung galt. (Wegen eines Banners!!! Ich komm nicht drüber weg.) Natürlich bringen Eskalationen wie die am Wochenende Auflage, aber deswegen muss doch nicht jegliches journalistisches Handwerk außer Acht gelassen werden.
Doch halt: Es ist nicht alles schlecht. An dieser Stelle sei stellvertretend ausdrücklich auf Christian Spillers hervorragenden Kommentar in der ZEIT hingewiesen, ebenso auf Marco Fuchs‘ Kommentar im Spiegel.
Die Ultras
Wenn jemand jahrelang mit einer Wand diskutiert, darf man sich nicht wundern, wenn er irgendwann einen Vorschlaghammer nimmt.
War es klug, auch von Seiten der Ultras die Eskalation zu suchen? Vermutlich nicht. Und stumpfes Pöbeln à la Hurensohn ist verständlicherweise auch nicht jedermanns Sache. Leider haben sich aber kreative Proteste in den vergangenen Jahren als wenig wirksam erwiesen. Oder erinnert sich noch jemand an die Spruchbänder „Den Fußball den wir leben, kann euch Hopp mit Geld nicht geben.“ oder „Hochgezüchtet wie ein Schwein, bleibt ihr doch ein Dorfverein.“? Wer sich mit Vertretern der aktiven Szene unterhält, merkt schnell, wie desillusioniert viele sind. Desillusioniert von falschen Versprechungen der Verbände, desillusioniert von Medien, die bei Pyrotechnik reflexartig bürgerkriegsähnliche Zustände ausrufen, desillusioniert von der Polizei, für die Fußballspiele häufig ein Anlass ist, die eigenen Machtbefugnisse auf ihre Dehnbarkeit zu testen, desillusioniert von Politikern, für die Fußballfans auf Stehplätzen eine größere Gefahr für dieses Land sind, als rechtsextreme Terrorgruppen.
Diese Verbitterung, verbunden mit der Tatsache, dass es sich bei Ultras um eine sehr heterogene, jugendliche Subkultur handelt, ist eine Erklärung, warum sich bei vielen mittlerweile die Sichtweise durchsetzt, dass nur die Eskalation zu einer entsprechenden Wahrnehmung führt. Diese Sichtweise muss keiner gutheißen, aber wenn jemand jahrelang mit einer Wand diskutiert, darf man sich nicht wundern, wenn er irgendwann einen Vorschlaghammer nimmt. Insbesondere der DFB hat in den letzten Jahren so oft sein Wort gebrochen, dass Gespräche mit Verbandsfunktionären nur noch als nutzlose Zeitverschwendung wahrgenommen werden.
Besonders erschreckend ist, dass auch die Vereinsfunktionäre sich in Verurteilungen und Pauschalisierungen überbieten. Dass nicht einmal im Ansatz versucht wird, sich mit dem Ansinnen der Leute zu beschäftigen, die den Vereinen quer durch Europa hinterherreisen, Choreos durchführen und zu einem nicht kleinen Teil für die Attraktivität des Fußballs in Deutschland verantwortlich sind, ist entweder unfassbar ignorant oder unfassbar unterwürfig. Und dass ein Max Eberl sich nicht entblödet, die Transparente mit dem rassistischen Anschlag in Hanau in Verbindung zu bringen, sagt schlussendlich mehr über Max Eberl aus, als über die Ersteller der Transparente.
Natürlich dürfen, müssen und sollen auch die Aktionen der Ultras hinterfragt und reflektiert werden. Und jeder und jede darf den Ultras grundsätzlich kritisch gegenüberstehen. Doch jeder und jede muss sich auch bewusst machen, dass die Ultragruppen respektive die „aktive Fanszene“ in den letzten Jahrzehnten auch für den Gelegenheitsstadionbesucher viel erreicht haben. Aktionen wie „Fußball muss bezahlbar“ sein, der (erfolgreiche) Kampf gegen Montagsspiele, all dies wurde nicht durch die VIP-Logen oder die Reihen der Haupttribüne initiiert (ohne diesen Reihen in irgendeiner Weise ihre Daseinsberechtigung abzusprechen). Sehr häufig haben sich die aktiven Fans in den letzten Jahren als Bremse für allzu große Fehlentwicklungen erwiesen. Von einem Korrektiv möchte ich angesichts der atemberaubenden Geschwindigkeit mit der sich alles in die falsche Richtung entwickelt, nicht mehr sprechen wollen.
Wer gestern in Dortmund im Stadion war, wird bemerkt haben, dass die entsprechenden Gesänge mitnichten nur aus Block Drölf kamen, sondern von großen Teilen der Süd getragen wurden. Der DFB könnte einer gefährlichen Fehleinschätzung aufsitzen, wenn er davon ausgeht, dass er die aktiven Fans isolieren kann. Und tatsächlich sollte es im Interesse jeden Zuschauers sein, die aktive Fanszene nicht pauschal zu verurteilen und auf ihren Ausschluss zu hoffen. Dazu gibt es zu viele Funktionäre, die nur auf diesen Moment warten, um den Fußball endgültig in die englische Richtung zu treiben. Ohne Stehplätze und mit Preisen, die für viele nicht mehr bezahlbar sind.
Und nun?
Der vergangene Spieltag könnte eine neuerliche Zäsur im schwierigen Verhältnis zwischen Fans, Vereinen und Verbänden darstellen. Der DFB hat sich mit seinen vollmundigen Ankündigungen von Spielabbrüchen in die Ecke manövriert und zeitgleich ist davon auszugehen, dass es Teilen der Fanszene mittlerweile egal ist, ob es Spielabbrüche gibt. Gespräche sind aufgrund der vergangenen Erfahrungen wohl nutzlos, so dass es in den nächsten Wochen wohl darauf hinausläuft, wer zuerst nachgibt. Es bleibt zu hoffen, dass der Schaden, der bis dahin angerichtet wird, gering bleibt.