New Boss In Town
Am Dienstag machte man es offiziell: Emre Can gehört von nun an uns. Eine goldrichtige Entscheidung, denn der Sechser konnte der Mannschaft in Rekordzeit seinen Stempel aufdrücken.
Eine wirklich große Armee erkennt man daran, dass sie nur mit dem Säbel rasseln muss, um einen Krieg zu gewinnen. Erkennt man demnach einen großen Defensivspieler daran, seinen Gegner nur bedrohlich anschnauben zu müssen, um einen Zweikampf zu gewinnen? Fragt man Emre Can, könnte man sich durchaus eine Bestätigung für diese These abholen. Denn Neymar, in seiner Rolle als Superstar der Pariser Milliardentruppe, erlebte wohl seinen persönlichen “oh hell no” Moment, als er unser neues Mentalitätsmonster aus dem Augenwinkel heranrauschen sah und verkrümelte sich brav ins Seitenaus, anstatt auch nur den Versuch zu unternehmen, den Ball zu behaupten. Eine Szene, so sinnbildlich für eine unglaubliche Willensleistung, die in einem absolut magischen Fußballabend endete. Und ebenso sinnbildlich für Cans Spielweise und seinen Einfluss auf unser Team.
Der deutsche Nationalspieler verkörpert derzeit alles, was unsere Mannschaft in jüngster Vergangenheit nur zu schmerzlich vermissen ließ. Aggressivität, den unbedingte Siegeswillen, die Bereitschaft, auch mal dahin zu gehen, wo es weh tun könnte. Attribute, die das Dortmunder Publikum durchaus zu schätzen weiß. Can wirkt nicht, als würde er das Verlieren eines Zweikampfes überhaupt als mögliche Option ansehen - was natürlich nicht nur der Gegner zu spüren bekommt, sondern auch seinen Kollegen einen gewissen Anschub bereitet. Bezeichnend, dass sein zuletzt öfter schwächelnder Partner auf der Sechs, Axel Witsel, prompt seine Qualität wiederentdeckte und am Dienstag an die überragende Form seiner ersten Halbserie erinnerte. So bildeten die Beiden ein erschreckendes Duo, das ohne Kompromisse alles auffraß, was ihnen in die Quere kam.
Seine leidenschaftliche Abwehrleistung lässt leicht übersehen, dass Can auch innerhalb kürzester Zeit großen Einfluss auf den Weg nach vorne nehmen konnte. Seine - zumeist selbst eroberten - Bälle verteilt er klug, bildet eine dringend benötigte Brücke zwischen Abwehr und Offensive und lenkt in manchen Momenten das Spiel, als stünde er schon seit Jahren für den BVB auf dem Platz. Und in Leverkusen dürfte sich der ein oder andere Mitspieler überrascht die Augen gerieben haben, ob der Erkenntnis, dass man einen Ball durchaus auch mal aus der zweiten Reihe auf das Tor bringen kann.
Es ist unglaublich, welchen Einfluss der Neuzugang in dieser kurzen Zeit auf die Mannschaft nehmen konnte. Es zeigt auch nur zu deutlich, wie schmerzlich ein Spieler dieses Formates vermisst wurde. Ein Spieler, der dirigiert, der sich auch die Kollegen zur Brust nimmt, der sich nicht zu schade ist, auch mal richtig dreckig zu werden. Ein “aggressive Leader”, wie es so schön heißt. Eine Rolle, die ein Marco Reus nie erfüllen wird (und auch nicht soll). Natürlich braucht es die Künstler und Schönspieler, die uns mit ihren Fertigkeiten verzaubern, den Gegnern Knoten in die Beine dribbeln und sie im eins gegen eins völlig auseinandernehmen. Aber es braucht eben auch denjenigen, der eben diese Künstler der Gegner in ihre Schranken weist.
Im Gegensatz zum zweiten, wohl auch auffälligeren Winter-Coup in Form von Erling Haaland hat Can auch einen entscheidenden Vorteil: Er ist kein aufstrebendes Talent mehr, er ist ein Fußballer in den besten Jahren, spielte in Liverpool unter Klopp und bei Juve an der Seite von Cristiano Ronaldo. Man kann schlussendlich nur vermuten, warum Maurizio Sarri so gar nicht auf ihn setzen wollte. Aber es kann Can zu einem Spieler machen, den wir durchaus ein paar Jahre halten könnten. Eine Etage über uns hat er bereits erfolglos angeklopft, für unser Niveau und unsere Ansprüche scheint er derzeit jedoch goldrichtig zu sein. Er könnte, wenn er denn will, das künftige Herzstück unserer Mannschaft darstellen.
Bleibt abzuwarten, wie lange die Topform des Mittelfelders anhalten wird. Noch spielen auch vermutlich weiche Faktoren keine unwesentliche Rolle. Nach dem unglücklichen Ende in Juve, wird er zur Zeit nicht nur gebraucht, sonder auch mit Wertschätzung förmlich überschüttet. Leicht vorstellbar, dass dies einen gewissen Schub bescheren dürfte. Ich bin jedoch guter Dinge, dass “einfach Emre” auch über die Anfangseuphorie hinaus einen dicken Gewinn darstellen wird. Und wer weiß? Möglicherweise können wir am Samstag mit seiner Unterstützung gar unsere horrende Auswärtsbilanz etwas aufbügeln...