Coronameister wird nie der BVB
Als Fan blutet einem das Herz, wenn man bedenkt, was in den letzten Tagen hätte los sein können. Mit einem 4:0 Derbysieg aus dem letzten Heimspiel im Rücken und einem donnernden „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ als Gruß des Gästeblocks in Wolfsburg an die Mannschaft, hätte es seit Samstag, 17.20 Uhr kein anderes Thema mehr als das Spiel gegen die Bayern gegeben. Alles hätte elektrisiert auf den Anstoß und die Möglichkeit, zum Saisonende bis auf einen Punkt an den Rekordmeister heranzurücken, hingefiebert und die Stadt wäre gestern noch schwatzgelber als üblich gewesen.
Diesmal allerdings war alles viel gedämpfter, ruhiger. Es fühlt sich einfach nicht richtig an, so ein Spiel vor trostlos leeren Rängen stattfinden zu lassen und der Gedanke an eine Coronameisterfeier, die dann vermutlich aus einer gestreamten Rundfahrt um das Trainingsgelände in Brakel bestanden hätte, ist auch kein schöner. So war es gefühlt für viele nicht das große Spiel um den Titel, das Kräftemessen des Tabellenführers mit dem Verfolger, sondern schlicht und ergreifend ein Geisterspiel Dortmund gegen Bayern.
In den letzten Geisterspielen verstärkte sich der Eindruck, dass die fehlende emotionale Komponente den besseren Mannschaften in die Karten spielt, weil es das Spiel auf einen rein qualitativen Vergleich reduziert. Nicht die besten Voraussetzungen für unsere Borussen, die in der Vergangenheit auswärts von den Bayern regelmäßig amtlich verprügelt wurden und es maximal zuhause mit der Süd im Rücken zu einem Treffen auf Augenhöhe gereicht hat.
Dabei ging eigentlich alles ganz erfreulich los. Bereits in der ersten Minute klärte Koan-Neuer erst in die Füße von Haaland und ließ sich dann von ihm tunneln. Leider kullerte der Ball derart langsam auf die Torlinie zu, dass selbst Boateng seinen altersschwachen Körper noch rechtzeitig auf die Torlinie bewegen und locker klären konnte.
Für wenige Minuten hatte man das Gefühl, als würden unsere Borussen dieses Spiel ungewohnt druckvoll und dominant angehen wollen ... bis die Bayern beschlossen, dass das dann nun auch genug sei und begannen, deutlich nach vorne zu schieben und zu pressen. Allerdings pressen die Bayern im Jahr 2020 noch deutlich weniger eklig und aggressiv als noch unter Jupp Heynckes. Wir wirken dagegen mittlerweile stabiler und ruhiger am Ball, so dass der BVB nur selten wirklich unter Druck geriet. Die einzige Ausnahme gab es in der 19. Spielminute, als man Gnabry mutterseelenallein kurz an den Fünfer laufen lief, von wo aus er die Hereingabe von Coman an Keeper Bürki vorbei schob. „Der ewige Piszczek“ dachte sich aber wohl: „was der Boa kann, kann ich auch“, lief rechtzeitig zur Grundlinie und klärte.
Und der BVB offensiv so? In den wenigen Momenten für ein Umschaltspiel zu unpräzise und nicht gedankenschnell genug. Einzig und allein über die rechte Seite kam es gelegentlich zu Möglichkeiten, den Ball gefährlich vors Tor zu bringen. Die Bälle waren aber entweder zu schlampig gezielt, oder so wenig druckvoll gespielt, dass die Innenverteidigung der Bayern sie locker abfangen konnte.
Als sich alles irgendwie schon auf ein 0:0 zur Pause eingestellt haben, bemerkte Kimmich leider, dass Roman Bürki vielleicht zwei Meter zu weit vor der Linie stand und lupfte die Murmel aus 18 Metern ins lange Eck. Die Idee, den Ball noch über die Latte heben zu wollen, statt ihn eventuell einfach irgendwie nur zur Seite abzulenken, war dann Bürkis zweite, schlechte Idee. So rollte ihm der Ball über die Fingerspitzen und landete im Netz. Ex-Rasenballspieler, aktueller Bayernspieler, Torschütze gegen den BVB … Kimmich ist wirklich der personifizierte Unsympath.
Zur Pause wechselte Lucien Favre zwei Mal. Für den … ähm… eher wenig erfolgreichen Julian Brandt kam Jadon „Blackbeard“ Sancho und Emre Can ersetzte Thomas Delaney. Letzteres zum Leidwesen meiner Tochter, die bei der Nennung seines Namens immer „hihihi… der heißt ‚die Lady‘“ kicherte.
Spoileralarm: Zumindest der Wechsel Sancho gegen Brandt brachte so gar keinen Mehrwert. Mag ein Teil von Sanchos Darbietung daran liegen, dass er körperlich offenbar noch nicht wieder in bester Verfassung ist, muss man allerdings auch feststellen, dass er nicht zum ersten Mal in einem Spiel gegen große Gegner sehr erfolglos den Mister Lässig gibt, der von konzentrierten Gegnern bei seinen Dribblingversuchen locker abgekocht wird und dann nur noch dem Geschehen hinterher sehen kann. Dass Sancho Talent ohne Ende hat, steht außerhalb jeder Diskussion. Dennoch sollte er sich langsam entscheiden, ob er ein großer Kicker werden will, der den Unterschied macht und große Spiele entscheiden will – oder eher der talentierte Zocker bleiben will, der nur gegen Gegner der Mittelklasse an abwärts glänzt.
Die zweite Halbzeit lässt sich dann auch schnell erzählen. Die Bayern waren jederzeit souverän, ruhig und abgeklärt, während die Schwatzgelben noch zappeliger und immer weniger zielstrebig wurden. Der Ball wurde oft zu hektisch weitergespielt, so dass man nie in ein gefährliches Angriffsspiel kam. Ein Schuss von Haaland in der 58. Minute, bei dem man zumindest darüber nachdenken kann, ob Boateng ihn liegend wirklich regelkonform mit dem Arm abblockt und ein Schuss von Dahoud in der 80. Minute sind dann auch einfach arg wenig für 45 Minuten, wenn man die Bayern unter Druck setzen möchte. Die wiederum hatten mit einem Pfostenschuss von Lewandowski noch eine Chance aufs 2:0, die gefährlicher war als alles, was der BVB so zustande brachte.
Der Auftritt des BVB war bei weitem nicht so deprimierend wie noch im Hinspiel und man merkte den Bayern an, dass sie durchaus Respekt vor unserer Offensive hatte – allerdings hätten wir wohl auch noch weitere 90 Minuten kicken können, ohne den Sieg der Bayern ernsthaft in Gefahr zu bringen. Am Ende bleibt die nicht ganz so überraschende Erkenntnis, dass es für den Stern des Südens auch in einer Form, die deutlich von der Zeit 2013 bis 2016 entfernt ist, reicht, um gegen uns ziemlich abgebrüht das Spielgeschehen zu bestimmen. Keine guten Nachrichten für uns, keine guten Nachrichten für die Liga. Die Bayern werden den achten Meistertitel in Folge holen und für die Zukunft ist einfach nicht absehbar, wie sich diese Übermacht abschwächen sollte.
Uns bleibt wenigstens noch der Trost, dass die Niederlage angesichts der Ergebnisse von Leverkusen und Gladbach zumindest tabellarisch verschmerzbar ist und wir weiterhin Kurs auf die Champions League nehmen. Wann immer die auch stattfinden mag.