Im Gespräch mit...

Interview zur Fankultur in Israel

01.12.2020, 16:32 Uhr von:  Nicolai

Die Pandemie hat die Arbeit von uns allen verändert. Das Fanprojekt Dortmund bietet daher jetzt eine digitale Vortragsreihe zu Fußball- und Fankultur in anderen Ländern an. Wir von schwatzgelb.de haben das Glück, dass wir mit den Experten im Vorfeld kleine Interviews führen konnten. Wer Interesse an mehr hat, kann sich für die digitalen Veranstaltungen unter veranstaltung@fanprojekt-dortmund.de anmelden.

Eine Übersicht über die Termine der digitalen Vortragsreihe.
Digitale Vortragsreihe im Fanprojekt
© Fanprojekt Dortmund

sg.de: Hallo Felix,
erst einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns genommen hast. Du wirst am 03.12.2020 im Rahmen der Reihe die israelischen Fußballfanszene vorstellen. Kannst du dich erst einmal kurz mit deinem Hintergrund vorstellen?

Felix: Gerne. Ich bin in Israel geboren und da aufgewachsen. Seit ein paar Jahren lebe ich in Köln und arbeite als Journalist bei der Sportredaktion der Deutschen Welle. Meine Hauptthemen sind Fankultur, Fanrechte und Politik im deutschen Fußball und in den Kurven. Meine Berichte werden vor allem auf Englisch veröffentlicht. Ich versuche darin, den Sinn hinter der Fankultur und ihren Strukturen in Deutschland einem internationalen Publikum zu erklären. Ich bin selbst Teil einer 1. FC Köln-Fangruppe und besuche fast alle Spiele des FC, sowohl zuhause als auch auswärts. Auch abgesehen von meiner Arbeit empfinde ich Fankultur als einen spannenden, dynamischen Bereich, wo es immer Neuigkeiten und Entwicklungen gibt, von denen man vieles über das Leben, die Kultur und die Gesellschaft in einer Stadt, Region oder einem Land lernen kann. Durch mein Interesse an Fankultur habe ich vieles erfahren von dem, was ich über Deutschland, die Deutschen, die Gesellschaft und die Politik hier weiß – übrigens inklusive der deutschen Sprache – und dasselbe kann man über viele andere Länder sagen, inklusive meines Heimatlandes Israel. Deswegen freue ich mich sehr auf den Vortrag und vor allem auf die Diskussionen und Fragen danach.

sg.de: Erst einmal zum israelischen Fußball generell: Welche Rolle spielt der Fußball überhaupt dort in der Gesellschaft? Israel ist in Europa ja eher für Basketballspitzensport bekannt?

Felix: Obwohl es tatsächlich stimmt, dass das Niveau des israelischen Basketballs sehr hoch ist, ist der Fußball immer noch die populärste Sportart, sei es in Sachen Zuschauer*innenzahlen, Interesse in der Politik, der Gesellschaft und vielem mehr. Das betrifft den Fußball an sich, aber vor allem betrifft es die Fankultur. Die israelische Gesellschaft ist im Allgemeinen sehr, sehr stark polarisiert und politisiert, aber es gibt meiner Meinung nach kaum ein Feld, das das so sehr zeigt wie der Sport – insbesondere der Fußball und seine Fankultur. Nachdem ich das erste Angebot bekomme habe, einen Vortrag zu dem Thema zu halten, habe ich erfahren, wie viel ich durch den israelischen Fußball und seine Fankultur über Israel und den Zionismus erzählen kann. Es ist manchmal nicht einfach, es ist manchmal krass, es wirkt für eine/n Deutsche/n manchmal kaum vorstellbar, aber das ist genau der Punkt: So ist Israel auch.

sg.de: Welches sind denn die wichtigsten Vereine und Fankurven?

Felix: Es gibt in Israel ein paar große Vereine, die auch eine große Fanszene bzw. Ultraszene haben. Maccabi Tel Aviv ist der größte Verein Israels in Sachen Erfolge, quasi der FC Bayern München Israels, und sie haben sehr viele Fans überall im Land. Bei Maccabi Tel Aviv gibt’s die Maccabi Fanatics, eine Ultragruppa, die das Sagen in Gate 11 im Bloomfield Stadion haben. Die größten Rivalen von Maccabi Tel Aviv sind Hapoel Tel Aviv, der auch ein erfolgreicher Verein im israelischen Fußball ist. Auf der anderen Seite vom Bloomfield Stadion Gate 11 ist Gate 5, wo Ultras Hapoel 99 beheimatet ist. Die Gruppe ist auch international ziemlich bekannt für ihre antifaschistische Haltung, was in der israelischen Gesellschaft der letzten 25 Jahre gar nicht selbstverständlich ist. Maccabi Haifa ist noch ein erfolgreicher israelischer Verein und der erste israelische Verein, der in der Gruppenphase der Champions League gespielt hat (MTA und HTA kamen später). Bei MHFC gibt’s untypischerweise eine diverse Ultraszene mit ein paar Gruppierungen, aber die größte, bekannteste Gruppe sind die Green Apes 2002. Beitar Jerusalem kennen ja alle von der Doku Forever Pure und der Verein und seine Fanszene haben tatsächlich viele Verbindungen mit rechten, rassistischen Elementen in Israel, weswegen es eine große Rivalität gibt zwischen FCBJ und Hapoel Tel Aviv. Der andere Verein in Jerusalem, Hapoel Jerusalem (früher Hapoel Katamon), hat hingegen eine linke, antifaschistische Fanszene. Weitere wichtige Vereine und Fanszenen sind Hapoel Be’er Sheva und Hapoel Petach Tikva. Und wenn jemand denkt, dass ich gerade meinen ganzen Vortrag gehalten habe, kann ich euch beruhigen: Israel und seine Fankultur sind viel, viel komplexer (und daher auch spannender) als das.

sg.de: Welchen Einfluss hat denn die aktuelle Situation auf den Fußball und Fankurven in Israel?

Felix: Das ist sehr unterschiedlich. Im ersten Lockdown gab’s noch Fans, die sich vor dem Stadion versammelt haben, um den Verein von außen zu unterstützen. Es gab auch mindestens eine Situation, in der Fans versucht haben, ein Stadion zu stürmen. Aber im Grunde genommen ist es genauso wie es momentan mit Ultragruppen in Deutschland ist: Es ist eine schwierige Zeit. Man trifft sich manchmal woanders und besucht die Trainingsgelände vor wichtigen Spielen, um die Spieler zu unterstützen. Aber das Stadion fehlt allen. Es gibt aber einen Bereich, wo manche Ultragruppen trotzdem aktiv waren: politische Demos. Rechte Ultras haben in den Protesten für Premierminister Netanyahu teilgenommen, teilweise auch mit Gewalt gegen Journalist*innen, Araber*innen und linke Protestierer.

sg.de: Wenn man im Internet recherchiert, findet man viel über rechte Vorfälle, die ja auch bereits thematisiert hast. Auch Forever Pure behandelt das Thema sehr intensiv. Ich selber war einmal bei Hapoel Tel Aviv, die gelten als einzige Szene als „links“. Kannst du einen Überblick geben?

Felix: Das Feld Fankultur und Politik steht im Zentrum meines Vortrags und es gibt einen Grund dafür. Die israelische Fankultur, wie die Gesellschaft Israels, ist sehr stark von verschiedenen historischen und gesellschaftlichen Aspekten beeinflusst. Von der zionistischen Bewegung, durch die Geschichte des jüdischen Volkes und bis zum Leben in modernem Israel. Rechte Tendenzen in den Stadien Israels stellen zum Beispiel sehr gut den Rechtsruck in der israelischen Gesellschaft dar, der seit mindestens 20 Jahren stattfindet. Ultras Hapoel 99 definieren sich in der Tat als eine antifaschistische Ultragruppe, aber sie sind zum Glück nicht die einzigen. Brigade Malcha, von Hapoel Jerusalem, ist auch so eine Gruppe. Zudem muss man sagen, dass, obwohl manche Fanszenen nicht unbedingt „links“ sind, sie trotzdem gegen Rassismus sind, wie zum Beispiel die Green Apes aus Maccabi Haifa, eine Gruppe, in der es meines Wissens auch nichtjüdische Mitglieder gibt.

sg.de: Bist du eigentlich selber Fan von einem israelischen Verein?

Felix: Fan von einem israelischen Verein bin ich ehrlich gesagt nicht. Ich habe mich nie in einem israelischen Verein gefunden. Ich sage immer halb als Witz, halb als Wahrheit, dass ich alle israelische Vereine gleich hasse. Aber im Ernst: Ich habe ehrlich gesagt mehr Freundschaften und Verbindungen mit aktiven Fußballfans in Deutschland als in Israel und das hat unter anderem damit zu tun, dass ich als Linker in einer konservativen, rechten, religiösen Stadt groß geworden bin, wo sehr viele Leute Vereine wie Beitar Jerusalem oder Maccabi Tel Aviv unterstützen. Vereine, die ich aus verschiedenen Gründen nicht cool finde. Nichtsdestotrotz habe ich in meiner Vergangenheit Verbindungen mit Leuten aus verschiedenen Fanszenen gehabt, vor allem bei Maccabi Haifa. Während meines letzten Israel-Besuchs war ich zum ersten Mal bei einem Spiel von Hapoel Jerusalem (damals noch Katamon) und fand es sehr cool. Und zum Glück ist der 1. FC Köln manchmal so chaotisch, dass man denken kann, dass es sich um einen israelischen Verein handelt. Pures Heimatsgefühl für mich.

sg.de: Vielen Dank für den kurzen Einblick!

Am 10.12.2020 - Fankultur im Kriegsgebiet: Fußball ist unsere Waffe
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