Skibbe-Aus beim BVB: Alles nur eine Schnapsidee?
Der BVB trennt sich von Michael Skibbe. Doch war die Anstellung des U19 Nachwuchstrainer vielleicht von Anfang an eher eine Fehlentscheidung?
„Es stimmt, dass wir uns mit Michael Skibbe darauf verständigt haben, die Zusammenarbeit zu beenden“. Mit diesem Satz bestätigte BVB-Nachwuchskoordinator am Freitag gegenüber den Ruhr Nachrichten, was bereits seit Wochen klar schien und schon seit Monaten zumindest für genauere Beobachter keine unwahrscheinliche Option war.
Für vergleichsweise große Aufmerksamkeit sorgte im vergangenen Jahr die Umstrukturierung im Dortmunder Nachwuchsleistungszentrum. Meistertrainer Benjamin Hoffmann wechselte zum 1. FSV Mainz 05, Ex-Spieler Otto Addo kam als Talentecoach zum BVB und schließlich Michael Skibbe als der neue starke Mann zurück nach Dortmund. Mit der Doppelfunktion als U19-Coach und übergeordnetem Nachwuchs-Cheftrainer verlieh man Skibbe eine durchaus große Menge Kompetenzen und Verantwortung.
Dieser äußerte sich im vergangenen Sommer im Interview auch sehr glücklich „wieder hier zu sein“. Oft erzählt wurde mittlerweile auch die Story, wie der erneute Kontakt zum BVB überhaupt zustande kam. Den Anfang nahm dabei die Feier anlässlich des 60. Geburtstags von BVB-Urgestein Eddy Boekamp. So entstand der Kontakt zu Lars Ricken, der dann letztendlich in der erneuten Anstellung Skibbes beim BVB mündete.
Nun, knapp ein Jahr später lässt sich in diesem Zusammenhang die Frage stellen: War das also alles eher eine Schnapsidee?
Man kennt das: Party, Bierchen, „ach, du auch hier!“, plaudern über die alten Zeiten, „ey, wir müssen mal wieder…“. Diese Idee wird danach in den allermeisten Fällen nicht weiterverfolgt, in diesem jedoch kam es eben zur zweiten Amtszeit von Michael Skibbe beim BVB nach 1989-2000.
Vorab: Dass diese Amtszeit nun eher endet als von allen erhofft und erdacht hat auch zu tun mit Vertrauensverlust und einem Gerichtsprozess um Skibbes Schwager. Dieser Teil der Geschichte soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, der Fokus in der weiteren Betrachtung liegt allerdings ausschließlich auf dem sportlichen Faktor. Und hier pflanzten sich schon in der Sommervorbereitung der U19 unter Michael Skibbe erste kleine Fragezeichen in die Köpfe der Beobachter. Es setzte teils deftige Niederlagen, auffällig dabei waren zum einen eine sehr unorganisierte Defensive und zum anderen eine uninspirierte Offensive. Dann der erste Spieltag. Stadion am Zoo. Ein deutliches 9:2 gegen den Wuppertaler SV. Doch die Fragezeichen in den Köpfen wurden nicht wirklich kleiner. Vorne zeichnete vor allem die große individuelle Klasse von Youssoufa Moukoko und Gio Reyna für die Fülle an Toren verantwortlich, hinten ging es teils vogelwild zu. Der WSV, wahrlich kein Schwergewicht in der U19-Bundesliga, hätte an diesem Tag locker 4-5 Tore erzielen können, wenn nicht sogar müssen.
Die erste vollkommene Ernüchterung folgte dann eine Woche später im Spitzenspiel gegen den 1. FC Köln. Beim 0:2 war der BVB auf allen Ebenen komplett unterlegen. So unterlegen, wie es eine Mannschaft des BVB eigentlich nicht sein darf.
Nun werden nicht wenige fragen, was man sich denn erwartet hätte. Ist Michael Skibbe in seinen bisherigen Stationen jemals mit begeisterndem Fußball und überbordendem Erfolg auffällig geworden? Wahrlich nicht. Die Hoffnung lag wohl auch eher darin, dass Skibbe mit seiner großen Erfahrung den jungen Männern, die am Scheideweg ihrer Karriere stehen, das nötige Rüstzeug für die Karriere als Profifußballer mitgeben kann. Der fußballerische Gedanke blieb dabei allerdings etwas auf der Strecke. Und so gab es weitere spielerische und ergebnistechnische Ernüchterungen. Richtig dicke kam es zum Beispiel beim 0:4 im Derby. Dies war wohl auch der Punkt, an dem aus den kleineren Fragezeichen zum ersten Mal größere Zweifel wurden, und zwar nicht nur bei den Fans. Zweifelsfrei gab es auch lichte Momente. Zum Beispiel ein 6:1 gegen Bayer Leverkusen. Oder zwei Siege gegen den FC Barcelona in der UEFA-Youth-League. Aber über allem schwebte immer die Frage: Wie groß ist der Anteil Michael Skibbes an diesen Leistungen und Ergebnissen? Die Vorwürfe lauten: nicht besonders groß. Eher einfältige Trainingsarbeit, keine wirkliche Vorbereitung auf den Gegner, kaum Videoanalysen. Und als Zuschauer einiger U19-Auftritte in dieser Saison muss man sagen: auch während der Spiele ging die Einflussnahme über „Tempo!“, „nach vorne!“ und „zurück!“ nicht wirklich hinaus und war somit weder taktisch noch emotional etwas, was ein Team auf dem Rasen weiterbringt.
Vielleicht hatte man diesen Umstand beim BVB sogar etwas mit eingepreist und dafür eher auf Skibbes Wirkung auf strategischer Ebene gehofft. Beim DFB hatte der 54-jährige hier durchaus etwas angestoßen und war 2004/2005 zum Beispiel maßgeblich an der Einführung der Nachwuchsleistungszentren beteiligt. Eine „Revolution“ im deutschen Fußball, die man im Nachhinein sogar als den ersten Baustein für den WM-Titel 2014 betrachten kann.
Aber auch seine Aufgabe als übergeordneter Nachwuchs-Cheftrainer ließ Skibbe wohl deutlich schleifen. Impulse Fehlanzeige.
Nun übernimmt der bisherige U23-Coach Mike Tullberg die U19. Ein Trainer, auf den man intern große Stücke setzt. Ein junger, moderner und taktisch versierter Trainer mit einer guten Ansprache und einem guten Draht zu seinen Spielern. Bisher noch offen ist, ob und wenn ja, mit wem die ebenfalls offene Stelle des Nachwuchs-Cheftrainers neu besetzt wird.
Natürlich muss man in dieser ganzen Geschichte auch den Verein in die Pflicht nehmen. Tullberg ist beim BVB nun der vierte U19-Coach in vier Jahren. Diese hohe Fluktuation war ebenfalls verbunden mit kleineren und größeren Paradigmenwechseln. Lange Zeit stand hier vor allem der Mannschaftserfolg im Vordergrund. Mit Michael Skibbe und Otto Addo wollte man die Durchlässigkeit zu den Profis und die individuelle Entwicklung der Spieler wieder deutlicher nach vorne stellen. Tullberg soll diese verschiedenen Ansätze nun bestenfalls vereinigen. Das Potenzial dazu wird ihm durchaus zugestanden.
Die Talentdichte in der U17 und U19 beim BVB ist aktuell so hoch wie seit vielen Jahren nicht mehr und insofern wäre es schade, wenn man dieses Potenzial wegen zu vieler falscher Entscheidungen auf strategischer Ebene nicht optimal nutzen könnte.