So falsch, dass nicht einmal das Gegenteil richtig wäre: Die ARD verhebt sich am BVB
Ein Bogen von BVB-Fans über Rechtsextreme bis Auschwitz, hergeleitet über Hauptsponsor Evonik und Zyklon B - ein irres Unterfangen, das in die Hose gehen musste. Obwohl die Gesprächspartner durchaus kluge Dinge zu sagen hatten.
Eine Kultursendung des ÖRR verhebt sich mit einem Beitrag, der auf so vielen Ebenen daneben liegt, dass man gar nicht mehr weiß, worauf man eingehen und an welcher Stelle man es besser lassen soll: Was erst einmal unspektakulär klingt und normalerweise mit „das versendet sich“ abgetan werden könnte, tut diesmal leider weh und ist so deutlich in die Hose gegangen, dass ein Schweigen nicht in Frage kommen kann.
Der Beitrag, der in der Sonntagsausgabe von ttt in der ARD über die Bildschirme flimmerte, war jedenfalls nichts weniger als eine rufschädigende Zusammenfassung von Bemühungen Borussia Dortmunds, ihres Hauptsponsors Evonik sowie der BVB-Fans selbst im Umgang mit Rechtsextremen in den eigenen Reihen. Doppelt ärgerlich, dass Berichte in derartigen Formaten rar gesät sind und für viele Zuschauer auf lange Sicht die einzige Informationsquelle zu BVB-Fans bleiben könnten. Und fast schon tragisch, dass Journalisten den im Grunde richtigen Personen die richtigen Fragen stellten, sinnvolle Antworten erhielten und dennoch über ihren Zusammenschnitt samt Moderation einen so falschen Eindruck erweckten.
Der gut fünfminütige Beitrag beginnt im folgenden Wortlaut: „Der Ballspielverein Borussia 09 e. V. Dortmund, Spitzenteam der Bundesliga, hat Sonntag für Sonntag Rechtsextreme und Antisemiten als ungebetenen Beifang in den Fanreihen. Und das ist mehr als nur ein Imageproblem, besonders weil der Hauptsponsor seinerseits ein Naziproblem in der Vergangenheit hatte. Das Chemieunternehmen Evonik ist hervorgegangen aus Degussa und der IG Farben, die nicht nur Zwangsarbeitslager betrieben haben, sondern auch Zyklon B herstellten. Jenes Gift, das beim industriellen Massenmord in den KZs verwendet wurde. Nun wollen Funktionäre wie auch der Sponsor gegensteuern.“
Es folgen kurze Schnitte über die Südtribüne, die von Fans nur „Wand“ genannt werde, weil sie wie eine Wand hinter der Mannschaft stehe; düstere Bilder wütender BVB-Fans vor der Roten Erde (wohl aufgenommen vor dem ersten Bundesliga-Gastspiel RB Leipzigs), die laut Stimme aus dem Off ein großes Hooliganproblem der „Wand“ dokumentierten; sowie Aufnahmen eines Gästeblocks, die die Banner der Dortmunder Ultragruppierungen The Unity, Jubos und Desperados mit Gewalt in Verbindung bringen („gewaltbereite Hooligans – sie bringen die Borussia immer wieder in Verruf“) und optisch über die Klammer der Pyrotechnik in direkte Nähe zu einer rechten Demonstration rücken. Der Schluss, den ein unbedarfter Zuschauer aus diesen Bildern wohl ziehen muss, liegt nahe: wer in einem solchen Block steht, gehört auch zu denen, die Frauen und Kinder schlagen sowie bei rechten Demos ihr Unwesen treiben.
Kurzum: Der Frame ist gesetzt, das Priming des Zuschauers ist erfolgt – jeder weitere Satz steht fortan im Licht Hunderter rechtsextremer und antisemitischer Fans, die Woche für Woche in den Fanblöcken der Bundesliga ihr Unwesen treiben sollen.
Ob in der Folge Markus Langer als Markenverantwortlicher von Evonik noch so kluge Wortbeiträge liefert, Daniel Lörcher das Engagement des BVB in noch so prägnanter Form widergibt oder Teilnehmer von Studienfahrten nach Ausschwitz eben dieses Engagement in noch so hohen Tönen loben – der Zuschauer hat längst verstanden, dass es hier nur um Kosmetik gehen kann. Denn selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass er vom rechten Weg abgekommen sein könnte, weiß die Stimme aus dem Off eine Antwort. Sie schiebt nonchalant die passende rhetorische Frage ein („Ist das Kulturprogramm nur ein Feigenblatt für den Verein?“) und leitet über zu Hauptsponsor Evonik, der als Nachfolgeunternehmen von Degussa und IG Farben ja selbst eine dunkle Vergangenheit habe. So entfaltet sich dem Zuschauer zu diesem Zeitpunkt die Dramaturgie in ihrer ganzen Pracht: von Nazi-Hooligans auf den Rängen führt die Linie über Hauptsponsor Evonik direkt nach Ausschwitz, weshalb „Funktionäre wie auch der Sponsor nun gegensteuern wollen“ (als ob das Engagement gänzlich neu oder nur eine Absichtsbekundung wäre) und aus Sorge vor einem Imageproblem Studienreisen nach Ausschwitz anbieten (als ob das Engagement eine PR-Nummer wäre).
Was soll man dazu sagen?
Bleiben wir einfach bei den gröbsten Schnitzern, die die Problemferne der Redaktion auch für Laien nachvollziehbar dokumentieren.
Da wären die offensichtlichen Kleinigkeiten: In dieser Saison lagen/liegen 2 von 39 bereits gespielten bzw. terminierten Pflichtspielen auf einem Sonntag. Nur donnerstags (0) und montags (1) spielte der BVB seltener, der übliche Bundesligaspieltag ist (noch immer) der Samstag. Zudem nennen Fans die Südtribüne nicht "Wand", sondern "Gelbe Wand" – ein kleiner, aber feiner Unterschied, der für Unkundige in größtmöglicher Schrift auch direkt über der Tribüne festgehalten steht. Bereits bei diesen Details ließen die Macher des Beitrags, die Redaktion sowie Moderator Max Moor die Zügel der Qualitätssicherung schleifen. Dies schien ihnen möglicherweise verkraftbar, hatten sie doch einen wesentlich größeren Bogen von Fußballstimmung bis Zyklon B zu spannen – wer mag sich schon mit Wochentagen aufhalten, wenn er eine solche Geschichte zu erzählen hat?
Blöd nur: "Hunderte Rechtsextreme und Antisemiten" hat der BVB gar nicht "im Schlepptau" (auch wenn es zusätzlich zur Anmoderation auch auf der ttt-Webseite in dieser Form ergänzend festgehalten wurde) - und das schon gar nicht auf wöchentlicher Basis! Dies wird schnell feststellen, wer das Stadion zu einem Heimspiel besucht oder Fans zu einem Auswärtsspiel begleitet. Oder jemanden fragt, der das zumindest gelegentlich tut.
Leider aber entschieden die Redakteure, sich auch diese Mühe lieber nicht zu machen. Immerhin hatte ja bereits BVB-Geschäftsführer Aki Watzke unter Verweis auf die deutsche Sozialstruktur lakonisch angemerkt, dass unter 81.000 Besuchern allein aus statistischen Gründen schon bis zu 1.600 Rechte zu finden sein dürften, und eignete sich diese Aussage ganz vorzüglich, um kontextbefreit ein neues Fixum zu schaffen. Nur wenn wir uns allen Ernstes auf dieser Ebene bewegen wollen: Wie viele Rechtsextreme und Antisemiten mag die ARD wohl unter den fast 14 Mio. Zuschauern ihres im Vorprogramm ausgestrahlten Münster-Tatorts "im Schlepptau" gehabt haben? Hunderttausende? Würde ttt vor diesem Hintergrund einen Beitrag "Das Erste und die Rechten" liefern, garniert mit einem Einspieler aus der Deutschen Wochenschau und einem Bezug auf Leni Riefenstahl? Wahrscheinlich nicht, aus gutem Grund - es wäre zu wünschen gewesen, die gleiche Sorgfalt wäre im Fall des BVB an den Tag gelegt worden.
So ging trotz inhaltlich guter Darstellung der bereits erwähnten Protagonisten im bunten Allerlei leider unter, dass Fanabteilung und Fanbetreuer sehr gute Arbeit rund um das Thema Erinnerungskultur leisten, die rein gar nichts mit einem Feigenblatt zu tun hat. Die Studienfahrten nach Ausschwitz sind seit Jahren etabliert, die zusätzlichen und nicht weiter erwähnten Angebote des Fanprojekts sind eine große Hilfe. Leider war den Machern auch das Engagement der Fans und nicht zuletzt Ultras keine Würdigung wert, obwohl diese ein starkes Bollwerk gegen politischen Extremismus und Antisemitismus bilden. Stattdessen wurden ihre Fahnen im großformatigen Eintopf "IG Farben, Degussa, Rechtsextremismus, Antisemitismus" verrührt und bekamen diejenigen, die im Kampf gegen Extremismus regelmäßig im Stich gelassen werden, zum wiederholten Mal sogar medial noch auf den Deckel.
Was genau die wiederholten Verweise auf Degussa und die IG Farben mit rechtsextremen Fans zu tun haben sollten, die in Dortmund zweifelsohne für Unruhe sorgen, behielten die Redakteure letztlich ganz für sich. Halbwegs klar scheint mir als diesbezüglich Außenstehendem nur, dass man in rechten Dortmunder Kreisen mit größter Wahrscheinlichkeit nicht aufgrund der Firmengeschichte Evoniks auf die Idee gekommen ist, der BVB könne ein gutes Vehikel für rechtsextreme Politik bilden (falls dieses historische Detail dort überhaupt bekannt oder von Relevanz gewesen sein sollte). Die Wahrheit scheint mir auch hier ein ganzes Stück glanzloser und langweiliger zu sein: Rechtsextreme und Antisemiten suchen sich den BVB als Vehikel, weil sie wissen, dass der BVB Millionen Menschen in Deutschland begeistert und mit dem Westfalenstadion den mit Abstand wichtigsten gesellschaftlichen Treffpunkt der Stadt bietet. Oder natürlich auch, weil sie sich wie jeder andere Fan ganz banal für Fußball interessieren. Treten sie agitierend in Erscheinung und zeigen sie verbotene Symbole oder Gesten, wie es leider tatsächlich schon vorgekommen ist, erhalten sie Stadionverbote. Ansonsten kann man auch Menschen wie ihnen nur vor den Kopf schauen, was in einer rechtsstaatlichen Demokratie seine absolute Berechtigung hat und schon für sich allein genommen ein hohes Gut darstellt.
Letzten Endes bleibt zu diesem missglückten Beitrag also festzuhalten: Viel schlechter hätte man ein so wichtiges Thema nicht aufarbeiten können. Wer diesen Beitrag als unbedarfter und unkundiger Zuschauer gesehen hat, war im Anschluss wahrscheinlich dümmer als zuvor – trotz eigentlich guter Gesprächspartner, die eigentlich Richtiges und Sinnvolles gesagt hatten.
Schade.
P.S.: Wie es besser geht, zeigt ein Beitrag der CNN, der gestern zum gleichen Thema veröffentlicht wurde.