Glorreiche Champions-League
Was für Halbfinalspiele. Das Wort „episch“ ist sehr wahrscheinlich die treffende Bezeichnung für die zwei Rückspiele der UEFA Champions-League in dieser Woche. Liverpool war gegen Barça nach dem 0:3 Resultat aus dem Hinspiel ebenso bereits sicher ausgeschieden wie Tottenham nach der 2:0 Führung von Ajax. Dann verhauen Klopps Jungs den großen FC Barcelona um Superstar Lionel Messi mit 4:0 und Tottenham schießt in der 95. Minute das 3:2, das sie aufgrund der Europapokalarithmetik der geschossenen Auswärtstore ebenfalls ins Finale nach Madrid bringt. Die Spiele hatten alles, was sich der Fußballfan wünscht. Den Underdogfaktor, technisch hochklassige Spielweisen, Tempo, Dynamik und natürlich ein Höchstmaß an Dramaturgie.
Es dürfte keinen Fan geben, bei dem diese Spiele so nebenbei im TV gelaufen sind. Wer diesen Sport liebt, musste zwangsweise mitfiebern und absolut begeistert sein. Vor allen in den Ligen, in denen Wettbewerb seit Jahren mehr oder weniger nur noch simuliert wird. Selbst die Premier League lebt in dieser Saison davon, dass gleich zwei Vereine eine gigantische Saison spielen. Normalerweise würde Guardiolas, mit Geldern aus Abu Dhabi hochgezüchtete, Truppe von Manchester City bei aktuell 95 Punkten schon seit Anfang April meistersektschlürfend entspannt dabei zuschauen, was denn der Rest der Liga so treibt.
Gottlob hat uns die UEFA also diese Champions-League beschert. Dort sind die vier Titel, die Real Madrid am Stück gewinnen konnte, epochal. Vorher gab es keine Mannschaft, die den Henkelpott überhaupt nur im zweiten Jahr verteidigen konnte. In der italienischen Serie A steht Juventus Turin bereits jetzt zum achten Mal in Folge als Meister fest, in Frankreich war es in der Spielzeit 2016/2017 eine große Sensation, dass der Meister AS Monaco statt Paris St. Germain hieß. In Spanien ist es in den letzten fünfzehn Jahren nur einmal vorgekommen, dass der Meistertitel nicht an Real Madrid oder den FC Barcelona verliehen wurde. Die Bundesliga kann bekanntermaßen von so viel „Spannung“, dass sich wenigstens zwei Großkopferte permanent auf Augenhöhe bekämpfen, nur träumen. Der „zweite Leuchtturm“ strahlt hier bekanntermaßen nur dann, wenn an der Säbener Straße mal die Glühbirnen gewechselt werden müssen. Also, Dankeschön liebe UEFA, lieber Herr Ćeferin und auch liebe European Club Association rund um Karl-Heinz Rummenigge, dass Ihr euch so tapfer dafür eingesetzt habt, uns Fans einen Wettbewerb zu schenken, bei dem man noch anständig mitfiebern kann.
Wer so denkt, ist voll in die Falle getappt. Die Ödnis vieler nationaler Ligen ist das direkte Ergebnis dieser hochgezüchteten Champions-League, in der die Einnahmen immer weiter und auf immer weniger Clubs verdichtet werden und in deren Hochglanz alle anderen Ligen verblassen. Zum einen sind dort die direkten Einnahmen aus dem Spielbetrieb, die alle Vereine, die nicht zum elitären Kreis der Stammgäste gehören, vor Neid erblassen lassen. Unser BVB hat zum Beispiel in dieser Spielzeit, die sportlich mit dem Erreichen des Achtelfinals auch eher mit dem „Normalziel“ endete, schätzungsweise 77 Millionen Euro eingenommen. Zur Einordnung: Fortuna Düsseldorf hat nach dem Aufstieg einen Gesamt-Etat von 65 Millionen Euro für die aktuelle Bundesligasaison festgesetzt. Fairerweise muss man dagegenhalten, dass der 1. FC Köln für den sofortigen Wiederaufstieg eine 100-Millionen-Euro-Brechstange verwendete, aber selbst dieser Etat wäre bereits zu ¾ aus den Champions-League-Einnahmen des BVB gedeckt gewesen.
Dazu kommt der Fliege-Haufen-Effekt. Dort wo die größten Haufen gemacht werden, kreisen die meisten Fliegen – in diesem Fall die Geldgeber. Abu Dhabi hätte nicht große Beträge in Manchester City gepumpt, nur damit der Verein nach vielen Jahren der Durststrecke mal wieder die Meisterschaft gewinnen kann. Genauso wenig wie adidas z.B. mit Real Madrid und dem FC Bayern München Ausrüsterverträge abschließen würde, in denen die Zahlen in Richtung des dreistelligen Millionenbereichs gehen, wenn diese Vereine den Sportartikelhersteller nicht garantiert permanent in der Königsklasse präsentieren würde. Und zu guter Letzt hat Katar allein fast eine Viertelmilliarde PSG nur für die Verpflichtungen von Mbappé und Neymar zur Verfügung gestellt, damit man in den VIP-Logen mit den Reichen und/oder Mächtigen, die sich dort im Glanze der Festspiele sonnen, in Kontakt bleibt. Der Gewinn der nationalen Meisterschaft ist dort schon lange nur noch eine Fußnote.
Und so bleibt, wenn sich die erste, helle Aufregung am Ende der Halbfinalpartien gelegt hat, ein mehr als fader Beigeschmack. Natürlich kann man den Moment genießen und das alles sehr geil finden. Nur sollte man auch daran denken, dass vermutlich in der nächsten Saison die Frage, wer denn am Ende der Saison die Salatschüssel in den Goldflitterhimmel hebt, wieder de facto schon zu Beginn des Frühjahrs entschieden ist. Den Preis der Spannung im Mai zahlen viele Fans mit gähnender Langeweile im Rest des Jahres. Es wird auch definitiv nicht besser, weil der Verband genau diese dramaturgisch hochklassigen Spiele nutzen wird, seine Vermarktungserlöse noch weiter in die Höhe zu schrauben. Die ECA wird das tun, was sie schon immer tut: ein noch größeres Stück vom Kuchen verlangen – oder sich langfristig in einen noch lukrativeren Wettbewerb verabschieden. Maßgeblich befeuert von den großen Vereinen, die Dienstag und Mittwoch die Spiele auch nur am TV verfolgen durften und nach mehr Kohle für höhere Wettbewerbsfähigkeiten blöken.
Am Ende muss man wohl wirklich Jürgen Klopp, Ajax Amsterdam und Tottenhams Lucas danken. Weil sie uns gezeigt haben, was uns in den übrigen elf Monaten des Jahres mittlerweile fehlt.