Frankreich zeigt: Der Schutz der Fanrechte geht uns alle an
Wer ein Fußballstadion besucht, der muss keine Angst haben, Opfer einer Gewalttat zu werden. Man muss das leider gelegentlich betonen, weil die mediale Berichterstattung vor allem in den Blättern mit den großen Buchstaben gerne den Eindruck erweckt, als wäre ein Stadionbesuch ohne vorherige Testamentserklärung ein kaum zu vertretenes Risiko. Viele Menschen gehen jahrelang zum Fußball und die einzigen Gewalttaten, die sie sehen, sind die Ohrfeigen von Franck Ribéry.
Während Ribéry in der Regel straffrei bleibt, können Fußballfans kaum mit Gnade rechnen. Es ist auch nicht so, als ob sie es ihren Gegnern schwer machen. Allzu häufig produzieren sie Bilder für die Titelseiten, als seien sie von den Boulevardblättern in Auftrag gegeben worden. Jemandem außerhalb des Fußballkosmos zu erklären, dass der Maskierte mitten im Pyromeer nicht automatisch auch ein Gewalttäter ist, der jeden Samstag (ja, dank DFL & Co. mittlerweile auch täglich) Frauen und Kinder bedroht oder sie zu Witwen und Waisen macht, ist häufig eine Herausforderung. Aber selbst unter denen, die sich nicht von der Hysterie anstecken lassen, haben Fußballfans nur eine schwache Lobby. Das liegt einmal an ihrer relativ geringen Zahl. Obwohl der Fußball Nationalsport Nummer eins ist, gehen nur relativ wenige Menschen regelmäßig ins Stadion, nehmen auch an Auswärtsfahrten teil, bringen sich in den Vereinsalltag ein oder opfern anderweitig Freizeit für den Fußball. Zudem sind Mitglieder der Fanszenen im Alltag als solche kaum erkennbar. Wer weder Schal noch Trikot trägt, wird selten als Fußballfan erkannt. Und dann sind diese Schal- und Trikotträger auch noch oft laut und betrunken. Wer will sich schon für ihre Interessen einsetzen? Für Populisten in Politik und Medien sind Fußballfans jedenfalls ein gefundenes Fressen. Man kann sich als Hüter der Ordnung aufspielen, brutalstmögliche Strafverfolgung einfordern und seinen präventiven Fantasien freien Lauf lassen. Solange man nicht selbst von bestimmten Maßnahmen betroffen ist, klingt mehr Sicherheit immer erst einmal verlockend.
Das Wegschauen beim Thema Fanrechte hat jedoch einen Preis, wie jetzt in Frankreich zu beobachten ist. Das Land wird seit Monaten von heftigen Protesten der „Gelbwesten“ durchgerüttelt, die teilweise auch gewalttätig sind. Bereits vor diesen Ereignissen hatte die konservative Opposition einen Gesetzesantrag eingebracht, mit dem bekannten Gewalttätern die Teilnahme an Demonstrationen verboten werden sollte. Die Maßnahme sollte sich vor allem gegen den „schwarzen Block“ der Antifa richten, der immer wieder für Gewalttaten verantwortlich ist. Nach den Erfahrungen mit den „Gelbwesten“ wurde das Gesetz auch von der Regierung unterstützt und soll sich auf alle potentielle Gewalttäter erstrecken. Als Vorlage hierfür dient ein anderes Gesetz, das in Frankreich schon seit Jahren besteht und Hooligans den Zugang zu Stadien verbietet. Die Argumentation ist identisch: „Wenn von einer Person eine besondere Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgeht, sei ihr die Teilnahme am Stadionbesuch/an der Demonstration zu untersagen“. Wir kennen diese Argumentation selbst aus der Debatte um die G20-Proteste in Hamburg.
Was
auf den ersten Blick manchem vertretbar klingen mag, öffnet in der
Praxis der Willkür Tür und Tor. Das Beispiel der Stadionverbote in
Deutschland zeigt das zur Genüge. Es gibt für sie keinen ordentlichen
Rechtsweg und sie treffen in vielen Fällen auch Menschen, die später von
ordentlichen Gerichten von den Vorwürfen freigesprochen werden.
Ähnliches gilt für Betretungsverbote, die die Polizei für Stadiongebiete
oder ganze Städte ausspricht. Die Präventivlogik der Polizei folgt in
der Regel dem Gedanken der Gruppenhaftung: Wer einmal mit einer Gruppe
zusammen identifiziert wird, gilt als Gefährder, wenn Teile der Gruppe
vorher oder nachher Straftaten oder auch nur Ordnungswidrigkeiten
begangen haben. Oder wie es Monika Lazar, Obfrau der Grünen im
Sportausschuss des Bundestages, im schwatzgelb.de-Interview vor der letzten Bundestagswahl sagte: „Das kann ja wirklich jeden treffen, der zum Fußball geht.“
„Das kann ja wirklich jeden treffen“ gilt nicht nur beim Fußball, wenn man dieses Beispiel auf andere Gesellschaftsfelder überträgt, wie das nun in Frankreich der Fall ist. Hier sollen, wie auch bei den Maßnahmen gegen Hooligans, zukünftig Präfekten darüber entscheiden, wer von Demonstrationen ausgeschlossen wird. Die Präfekten werden vom Staatspräsidenten ernannt und sind ausschließlich Getreue des Staatsoberhaupts. Die Gefahr eines Missbrauchs aus politischen Gründen ist angesichts dieser Konstellation mit den Händen zu greifen. In Frankreich sind die Proteste gegen das gestern beschlossene Gesetz entsprechend groß, selbst die Polizeigewerkschaft hält es für unzureichend. Die Demonstrationsfreiheit ist ein wichtiges Gut eines jeden Bürgers, die Teilhabe am politischen Prozess macht eine Demokratie aus. Das schließt keineswegs aus, dass Gewalttäter bestraft werden. Das Arsenal des Rechtsstaates reicht von Geldstrafen, Sozialstunden bis zur Gefängnisstrafe. Dabei sollte man es belassen, wenn man nicht die Freiheit aller in Gefahr bringen möchte. Denn eines sorgt die Menschen in Frankreich besonders: Was ist, wenn einmal die Rechtsradikale Marine Le Pen mit der Rassemblement National (zuvor Front National) das Instrument in die Hand bekommt? Wer möchte die Entscheidung über die Teilnahmeberechtigung an Demonstrationen in die Hände von Gauland, Weidel, Höcke und Co. legen?
Die Einschränkung von Grundrechten stellt immer wieder eine Bedrohung für unsere freiheitliche Grundordnung dar. Fußballfans kennen die Gefahr der Willkür polizeilichen Vorgehens leider nur zu gut. Nicht ohne Grund sind sie in Deutschland bei den Protesten gegen Verschärfungen des Polizeirechts immer wieder an vorderster Stelle zu finden. Alle, die am Schutz der Grundrechte interessiert sind, sollten den Dialog mit Fußballfans suchen. Und sich bewusst machen: Grundrechteschutz beginnt auch beim Fanrechteschutz.