Die Sache mit der Einstellung
Es gibt im Fußball unfassbar viele Dinge, die weniger nerven als die erste Länderspielpause. Man hat sich gerade wieder an den Bundesligaalltag gewöhnt, das Wetter bietet vielleicht zum letzten Mal im Jahr die Chance auf einen Stadionbesuch im Kurzarmtrikot – und dann ist Pause. Aber sie markiert auch eine Art Zäsur zwischen „Saisonstart“ und „richtiger Saison“. Eine Gelegenheit für eine kleine Zwischenbilanz.
Unterm Strich stehen sechs Punkte aus drei Spielen und ein Torverhältnis von 9:5 für unsere Borussia. Angesichts der Tatsachen, dass gerade zu Saisonanfang oftmals kuriose Ergebnisse und merkwürdige Tabellenkonstellationen auftreten, weil die Mannschaften unterschiedlich eingespielt sind, und zwei der drei Spiele in fremden Stadien ausgetragen wurden, an sich keine so schlechte Bilanz. Von der anderen Seite aus betrachtet hat man allerdings auch „nur“ gegen zwei Aufsteiger und einen Abstiegskandidaten gespielt und neun Punkte wären aus diesen Spielen eigentlich, wenn man Meister werden möchte, die Pflichtausbeute gewesen. Am Ende ließen einen die Auftritte in Köln und Berlin daran zweifeln, dass man wirklich souveräner gegen die sogenannten kleinen Gegner auftritt, als es in der letzten Saison der Fall war. Dabei ist vor allem die bereits hohe Anzahl von Gegentoren bedenklich. Fünf kassierte Treffer nach drei Spielen konterkarieren jede Aussage aus der Sommerpause, dass man vor allem defensiv stabiler werden wollte.
Eine beliebte und auch naheliegende Erklärung ist die Mentalität. Die rennen ja gar nicht, die hauen sich nicht richtig rein und meinen, dass ein bisschen „zocken“ schon ausreicht, um den Dreier einzufahren. Dass der Trainer Lucien Favre dabei an der Seitenlinie nicht gerade den Eindruck erweckt, unter Starkstrom zu stehen und im Nachgang sogar mehr Ruhe statt „Arsch aufreißen“ anmahnt, ist für einige dann die finale Bestätigung für eine zu lasche Einstellung. Zumindest die zweite Halbzeit in Berlin macht es auch schwer, dagegen zu argumentieren. Frühzeitig war klar, dass es aufgrund einer Spielunterbrechung wegen des Polizeieinsatzes auf der Tribüne, wegen einer Trinkpause und auch aufgrund zweier Tore eine längere Nachspielzeit geben würde. Selbst in der 80. Minute wäre noch genug Zeit gewesen, den Zwei-Tore-Rückstand zu egalisieren. In der Hinrunde der letzten Saison beeindruckte der BVB vor allem in diesen Situationen damit, sich nicht geschlagen zu geben und das Ruder noch einmal herum zu reißen. Gegen Union dagegen wirkte man schon frühzeitig so, als hätte man die Niederlage akzeptiert und würde sich in sein Schicksal fügen. Das war schon ein trauriger Anblick und die auf dem Platz stehenden Spieler haben sich dafür deutliche Kritik auch aufrichtig verdient.
Es lohnt sich allerdings, die Dinge differenzierter zu betrachten. Paradoxerweise spricht nämlich die allseits beliebte Zweikampfstatistik eine ganz andere Sprache. Gegen Augsburg wurde das Spiel souverän dominiert, allerdings war die Quote gewonnener Zweikämpfe mit 48 % negativ. Beim schlechteren Spiel in Köln fiel sie mit 53 % leicht und gegen die Eisernen mit 68 % sogar deutlich zu unseren Gunsten aus. Man kann also nicht generell sagen, dass man dem Gegner im direkten Duell das Feld freiwillig überließ. Das Problem lag eher daran, dass man in den falschen Zweikämpfen die notwendige Konsequenz gezeigt hat. Schon Jürgen Klopp hat zu Hochzeiten der „Pressingmaschine“ erklärt, dass es nicht darauf ankomme, alle Zweikämpfe für sich zu entscheiden, sondern nur die wichtigen. So haben die Unioner und zu weiten Teilen auch die Kölner unseren Borussen die Zweikämpfe im Mittelfeld überlassen, was dann letztendlich auch zu gewohnt hohen Ballbesitzwerten führte, gingen dann aber an beiden Strafräumen umso entschlossener zu Werke. In Köln wurde vor dem 1:0 ein entscheidendes Kopfballduell am Fünfer gewonnen, in Berlin ging man vor dem 2:1 entschlossen auf Manuel Akanji, der sich zwar selten dämlich anstellte, aber auch mit Druck zum Ballverlust gezwungen wurde. Vor dem 1:0 verweigerte Paco Alcácer schlicht das direkte Duell und folgte seinem Gegenspieler bei der Ausführung des Eckballs nicht nach.
Und so ist es vielleicht das, was Favre meint, wenn er mehr Ruhe und mehr Konzentration einfordert. Das Halten der Grundordnung, den Blick auf die wichtigen Momente schärfen und dort fokussiert zu Werke gehen. Das mag nicht im spannendsten Fußball münden und es wird erst Recht nicht die Leute begeistern, die noch den kloppschen Messern zwischen den Zähnen nachtrauern, aber es wird Erfolg bringen. Die Mannschaft ist den meisten Teams der Liga individuell deutlich überlegen und diese Überlegenheit wird immer spielentscheidender, je mehr man das Spielgeschehen in geordnete Bahnen lenken kann. Im Gegensatz dazu sinken die Aussichten eben geradezu, wenn man der Stammtischlehre vom Rennen und Grätschen folgt, weil man sich damit auf das ureigene Spielfeld der Mannschaften begibt, die mit Leidenschaft und Einsatz um die Punkte kämpfen wollen bzw. müssen. Auf diesem Gebiet ist der Gegner ebenbürtig, vielleicht sogar überlegen.
Man muss mit dem fußballerischen Ansatz, den Favre verfolgt, nicht zufrieden sein, aber wenn er erfolgreich umgesetzt werden soll, dann ist eben mehr Ruhe wirklich wichtiger als das, was man landläufig mit „Mentalität“ gleichsetzt.