Spielbericht Profis

Zu Gast an der Alten Försterei – mit negativen Höhepunkten

01.09.2019, 17:52 Uhr von:  Tim
Zu Gast an der Alten Försterei – mit negativen Höhepunkten

Tumulte mit der Polizei und der Verlust der Tabellenführung. Das Erlebnis Alte Försterei haben sich viele Fans am Samstag Abend anders vorgestellt.

Detailverliebte Choreo der Union-Ultras in der Heimkurve

Hier die Einleitung, wie sie ursprünglich geplant war für diesen Spielbericht…

Fußballromantik an. Und rein in die Alte Försterei. Schon jetzt ist klar – und das ist natürlich nichts Neues – dass Union Berlin eine absolute Bereicherung für die Liga ist. Der Klub ist längst Kult, weil er Dinge anders angeht und dabei seit vielen Jahren seiner Linie treu bleibt. Und dann allein dieses Stadion. Mit den Flutlichtmasten. Da geht einem das Fußballherz auf. Wer in diesem Stadion das Glück hat, ein Fußballspiel verfolgen zu dürfen, der genießt jede Sekunde an dieser altehrwürdigen Spielstätte mit ihrem ganz eigenen Flair und der besonderen Historie.

Zumal der Rahmen heute sozusagen die inoffizielle Bundesliga Heimspiel-Premiere der Unioner bildete, denn den Auftakt gegen den Plastik-Dosen-Klub aus Leipzig hätte die DFL sich auch sparen können bei der Erstellung des Spielplans. Da war das heute gegen ein Schwergewicht mit großer Tradition schon viel angebrachter für diesen Aufsteiger und seine Fans. In der Vorwoche schossen die Eisernen ihr erstes Bundesliga-Tor und sicherten sich dadurch auch den ersten Bundesliga-Punkt in ihrer Vereinshistorie. Das Ganze spielte sich in Augsburg ab, bei jenem Gegner, der am ersten Spieltag im Westfalenstadion auseinandergespielt wurde. Quervergleiche taugen ja aber ohnehin nichts, deswegen startete diese Partie im Berliner Bezirk Köpenick unter gänzlich neuen Vorsätzen.

Fest stand nur, dass unsere Borussia ihre Tabellenführung verteidigen wollte und mit keinem anderen Ziel als einem Auswärtserfolg aufs Feld lief.

Bis hierin alles fein für diesen warmen Fußballabend.

Mit Paco's Ausgleich war noch alles in Ordnung

Den Führungstreffer durch Union – wieder einmal nach einer Standard-Situation – schenken wir uns einfach mal, denn die Reaktion der Mannschaft daraufhin war zufriedenstellend. Als hätte man dieses weckende Element gebraucht. Denn bis dato hatte Union auch tatsächlich die gefährlicheren Torraumszenen und wäre bereits vorher fast durch einen Neven Subotic Kopfball in Führung gegangen. Dieser emotionale Spagat blieb unserem Dortmunder Jung‘ und uns zum Glück erspart. Wie gesagt, die Reaktion auf den sozusagen schon üblichen Rückstand – zum dritten Mal im dritten Spiel – war sehr gut und führte nur wenige Zeigerumdrehungen später zum verdienten Ausgleich. Nach schöner Kombination von Reus und Sancho musste Paco in typischer Mittelstürmermanier nur noch den Fuß hinhalten und erzielte so bereits seinen vierten Saisontreffer.

Dann aber kam die Phase zwischen der 25. und 30. Spielminute. Nach einer zugegebenermaßen schönen und durchaus beeindruckenden Choreo der Unioner Waldseite zum Einlauf der Mannschaften befanden sich eine Handvoll Unioner noch immer auf dem Tribünendach. Mit Gurten und Seilen gesichert. Also in offizieller und durch den Verein abgesegneter Mission – mehr oder weniger. Merkwürdig war nur, dass diese Unioner (sicherlich der Köpenicker Ultra-Szene zuzuordnen) das Dach nicht direkt verließen nach Abschluss der Choreo. Vielmehr machten sie sich ab Minute zehn langsam über die Gegengerade auf zum Gästeblock. Wie ein Unioner Fanbetreuer dann in der Halbzeit berichtete, befindet sich dort tatsächlich die einzige Treppe zum Dach. Die Unioner – es werden so um die 8-10 Personen gewesen sein – standen dann ein paar Minuten direkt über dem Gästeblock und erlebten dort oben die Führung ihrer Mannschaft. Wiederholt steckten sie die Köpfe zusammen und es schien, als überlegten sie entweder, wie sie das nun mit dem Dachabstieg nah am Gästeblock vorbei regeln sollen oder auch, was man aus dieser sehr ungewöhnlichen Position heraus vielleicht anstellen könnte.

Aufregung um Union-Ultras auf dem Dach der Gästetribüne

Als der Abstieg dann begann gingen in der vom Spielfeld aus gesehen rechten Ecke des Dortmunder Blocks erste Unruhen los. Denn die Unioner wurden gesichtet. Darauf war natürlich keiner vorbereitet, deswegen war das Überraschungsmoment groß gepaart mit Verunsicherung und einer entsprechenden Abwehrreaktion. Doch plötzlich ging auch auf der linken Seite an der Plexiglas Scheibe zum Union Block Tumulte los. Unten am Zaun wurden schnelle alle Banner eingerollt. Es wirkte wie ein gezielter Angriff, sodass keiner wusste, was als nächstes passieren würde.

Es dauerte keine 60 Sekunden bis eine Hundertschaft der Polizei in den Gästeblock marschierte. Schiri Brych hatte da schon das Spiel kurz unterbrochen, denn die Vorgänge hinter dem Tor von Roman Bürki blieben auch den Spielern nicht verborgen.

Schlagstöcke wurden gezückt und Unmengen Pfefferspray eingesetzt. Die Unioner hinter der Scheibe provozierten weiter, immer mehr Dortmunder drängten an den Rand, um Stellung zu beziehen. Pfefferspray erwischte auch viele Frauen und Kinder, die im oberen Randbereich des Blocks standen. Von einigen Verletzten war später die Rede, was auch umgehend durch unsere Redaktionskollegen bestätigt wurde.

Unschöne Szene am Trennzaun zum Gästeblock

Viele Fans verließen daraufhin den Block und positionierten sich im Bereich vor dem Stadion. Ein unrühmlicher Höhepunkt dieser sportlich dürftigen ersten Halbzeit. Es ist unbegreiflich, wie es der 1. FC Union gestatten konnte, die eigenen Fans noch lange nach der Choreo allein dort oben auf dem Dach verweilen zu lassen. Das Ganze war ganz klar der Auslöser für die chaosartigen Zustände, auf die die Polizei mal wieder völlig unangemessen überzogen und überhaupt nicht durchdacht reagierte. Erste Anzeigen gegen Polizisten wurden bereits gestellt. Man darf auf die Darstellung der Polizei im Nachgang gespannt sein und wie sie diese Übergriffe auf vollkommen Unbeteiligte diesmal begründen wird.

Warum hat der Union nicht einfach angeordnet, dass die eigenen Fans zwar für die Ausführung der Choreo aufs Dach dürfen, dann aber bitte bis nach Abpfiff und Leerung des Gästeblocks dort oben zu verweilen haben, um nicht während des Spiels die einzige Treppe durch eben jenen Gästeblock nutzen zu müssen. Auch auf den Verein werden hoffentlich unangenehmen Fragen zukommen, denen er sich genauso stellen muss. Auch hier muss eine entsprechende Aufarbeitung stattfinden, den Menschen wurden verletzt.

Mats Hummels gegen Anthony Ujah

Das Erlebnis Alte Försterei war nach diesen Ereignissen leider nicht mehr dasselbe. Fußball wurde aber dennoch gespielt. Mit einem Unentschieden gingen die Mannschaften in die Kabine.

Zum Wiederanpfiff ersetzte Dahoud den angeschlagenen Delaney, der sich eine Kopfverletzung bei einem Luftzweikampf zugezogen hatte. Und dann nahm das sportliche Unheil seinen Lauf. Die Berliner verteidigten schon in der ersten Hälfte sehr klug, intelligentes und wohl dosiertes Vorchecking führte dazu, dass unseren Jungs mal wieder die Ideen fehlten, weil das beim eigenen Spiel so wichtige Tempo nicht aufgenommen werden konnte. Nach nur fünf Minuten im zweiten Durchgang führte Union erneut. Der momentan fehleranfällige Akanji patzte bei der Ballannahme kurz hinter der Mittellinie und ließ dann Andersson frei auf Bürki zulaufen, der großartig reagierte. Nur waren alle anderen offensichtlich im Tiefschlaf, sodass Bülter mit einem flachen Nachschuss seinen zweiten Treffer an diesem Abend markierte. Und die Reaktion diesmal? Blieb bis zum Ende der Partie komplett aus. Nichts. Es war nicht mal so, dass Union komplett über den Kampf kam sondern die Begegnung auch spielerisch dominierte.

Bezeichnend dann die kurze Trinkpause in der 68. Spielminute. Alle Unioner bauten sich mit ihren Trinkflaschen am Hals in einem Kreis auf und wurden von ihrem Coach Urs Fischer auf die Schlussphase eingestimmt. So eine Chance, als Trainer nochmal direkten Einfluss innerhalb eines Spiels nehmen zu können, gibt es schließlich nicht oft und sollte daher genutzt werden. Und bei unseren Jungs? Da sah das ganz anders aus. Sie standen jeder für sich mit gesenkten Köpfen und schlürften ihr Wasser. Lucien Favre blieb sitzen und sah sich nicht in der Pflicht aufzustehen und mit den Spielern zu sprechen. Ein nicht nachvollziehbares Coach-Verhalten wie ich finde. Gerade bei diesem Spielstand und dem Spielverlauf.

Ungläubigkeit bei Lukasz nach dem Gegentreffer zum 3:1

Und so kam es dann wie es kommen musste. Union stellte hochverdient auf 3:1. Überflüssig zu erwähnen, dass dies wieder nach einer Ecke passierte. Unsere Anfälligkeit bei Standards ist absolut besorgniserregend. Zumal sich diese Schwäche seit Jahren von Saison zu Saison zieht. Na ja, andere Baustelle. Das Spiel war damit entschieden und die Feierlichkeiten erreichten ihren Siedepunkt. Jetzt wurde es wieder zu einem Alte Försterei Erlebnis, denn die Tribünen schaukelten und schrien sich in einen ekstatischen Zustand.

So hatten sich Team und Fans den Auftritt in der Hauptstadt nicht vorgestellt

Schön zu beobachten war, dass im Stadion nach den Toren der Heimmannschaft keine Musik eingespielt wird, sondern man einfach für ein bis zwei Minuten diesen reinen Torjubel der Menschenmenge genießen kann, ohne laute Beschallung mit irgendwelchen nervigen Ballermann-Beats. Fußballromantik.

Tabellenführung weg und jetzt in der Länderspielpause Zeit, um über die gezeigte Leistung nachzudenken. Bei einem Aufsteiger eine so verdiente und deutliche Niederlage einzustreichen, darf nicht spurlos an Mannschaft und Trainer vorbeigehen. Mit Leverkusen und Barcelona warten nun zwei Gradmesser, die gern als Fingerzeig für den weiteren Saisonverlauf zu Rate gezogen werden können.

Weitermachen!

„Wir müssen aufhören, daran zu glauben, dass wir nur mit Qualität die Spiele gewinnen."

Stimmen

Kapitän Marco Reus: „Wir müssen aufhören, daran zu glauben, dass wir nur mit Qualität die Spiele gewinnen. Wir müssen einfach die Tugenden an den Tag legen, die wir auch in der letzten Saison gezeigt haben. Mit Willen und Leidenschaft."

Julian Brandt: „Wir haben natürlich heute zu einfach die Tore kassiert. Es ist gerade hier nicht leicht, in Rückstand zu geraten und dann die Tore aufzuholen. Das haben wir in Köln vor einem großartigen Publikum gemerkt, das haben wir hier gemerkt. Die Unioner haben alles reingeworfen und wenn wir dann immer anrennen und uns leichtfertige Gegentore passieren, ist das sehr schwer für uns. Man hat gemerkt, dass die Berliner heute einen größeren Willen hatten.“

Union Trainer Urs Fischer: "Für uns ist es eine Voraussetzung, dass du diese Leidenschaft auf das Feld bringst. Du musst über das Kämpferische und über die Laufleistung ins Spiel kommen. Letztendlich ist das das Entscheidende. In den ersten 30 Minuten war der Respekt noch zu groß."

Statistiken

Union Berlin: Gikiewicz - Trimmel , Friedrich , Subotic , C. Lenz - Schmiedebach (63. Gentner), Andrich, Becker , Bülter (76. Mees)- Ujah (80. Kroos), Andersson

Borussia Dortmund: Bürki - Piszczek , Akanji , Hummels , Hakimi - Weigl (76. Guerreiro), Delaney (46. Dahoud) , Brandt (85. Bruun Larsen) , Reus , Sancho - Paco Alcacer

Torschüsse: 15:13

Ballbesitz: 26 % - 74 %

Ecken: 7:4

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